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BERLIN. Vor 80 Jahren begann mit der Beschießung der Westerplatte bei Danzig der Zweite Weltkrieg. Die Ursachen für den Konflikt, der sich schließlich zum Weltbrand ausweitete, liegen jedoch weiter zurück. Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof erläutert die Vorgeschichte des 1. September 1939:
Die Hypotheken von VersaillesDer Vertrag von Versailles schuf neben vielen anderen Schwierigkeiten drei Fakten für Polen und für Deutschland, die das nachbarliche Verhältnis beider Länder stark belasten sollten. Zum ersten wurde Danzig von Deutschland abgetrennt und zur teilsouveränen Republik „Freie Stadt Danzig“ erklärt, obwohl knapp 97 Prozent der Bewohner deutschsprachig waren. Damit wurde sie zu einem eigenen Staat gemacht. Die Hypothek, die die Sieger den Danzigern dabei ins „Grundbuch“ schrieben, bestand darin, daß sie der Republik Polen besondere Zoll-, Post-, Bahn- und Handelsrechte in Sie fühlte sich ihren neuen
„Herren“ gegenüber zu keiner Loyalität verpflichtet, und die polnische Regierung
hat ihre Deutschen umgekehrt benachteiligt und kujoniert. Dieser Akt der Sieger,
Menschen gegen ihr nationales Bekenntnis fremden Staaten zuzuschlagen,
widersprach schon damals dem allgemein postulierten Selbstbestimmungsrecht der
Völker. 1920 wurde dazu vertraglich
festgelegt, daß die Verkehrsverbindungen nach
Ostpreußen für Personen, Waren und
vor allem Steinkohle aus Oberschlesien über acht Eisenbahnstrecken durch Polen
laufen sollten und daß die Transitgebühren dafür in Zloty zu entrichten wären.
Das alles war bis zu Beginn der Weltwirtschaftskrise kein Problem, wurde dann
aber zunehmend zu einer schweren Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis.
Mit diesen, im wesentlichen drei Problemen hatten die Siegermächte in Versailles
soviel Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt, daß ein
gedeihliches Nebeneinander zwischen den zwei Nachbarstaaten ohne spätere
Korrekturen fast ausgeschlossen war. Auch William Bullitt, Mitglied der US-Delegation in Versailles, schrieb 1919 aus Paris nach Washington an seinen Präsidenten Woodrow Wilson: „Die ungerechten Beschlüsse der Versailler Konferenz über Shantung, Tirol, (...), Ostpreußen, Danzig, das Saargebiet (...) machen neue internationale Konflikte sicher.“ Pierre Laval, der französische Ministerpräsident, bezeichnete den polnischen Korridor bei seinen zwei Amerikabesuchen 1931 mehrmals als Ungeheuerlichkeit und als Mißbildung. Noch deutlicher bezog sich
Winston Churchill am 24. November 1932 mit seiner Warnung vor dem Unterhaus in
London auf die deutsch-polnischen Probleme: „Wenn die englische Regierung
wirklich wünscht, etwas für die Förderung des Friedens zu tun, dann sollte sie
die Führung übernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseits wieder
aufrollen, solange die Siegermächte noch überlegen sind. Wenn diese Fragen nicht
gelöst werden, kann keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bestehen.“ 1. Die Wiedervereinigung
Österreichs mit Deutschland, 2. die Rückkehr der Sudetendeutschen, Danzigs und
wahrscheinlich des Memellands ins Reich und 3. gewisse Regelungen mit Polen in
Schlesien und im Korridor.“ Diese Ursachen für einen neuen Krieg hatten die
Sieger in Versailles selbst geschaffen und sie nicht beseitigt, als die Zeit
dafür längst reif war und als sie noch die Macht dazu hatten. Ab 1933 rührte
sich mit den Nationalsozialisten eine neue Kraft, die sich verpflichtet fühlte,
mit den parteiübergreifend in Deutschland so bewerteten „Ungeheuerlichkeiten“
von Versailles aufzuräumen. Danzig, der ewige StreitpunktDem
Vertrag von Versailles
folgten zwanzig Jahre zwischen beiden Kriegen, in denen das deutsch-polnische
Verhältnis nicht immer unerfreulich war. Der Anfang war unglücklich und das Ende
tragisch. Von 1934 bis 1938 gab es eine Zwischenzeit der Annäherung und
zunehmender Verständigung. Beide Regierungen hatten im Prinzip zwei
unterschiedliche Staatsaufassungen, was ihre Souveränitätsansprüche anging.
Polen sah sich dabei als Nachfolger des historischen Groß-Litauen-Polen. Alle Regierungen der Weimarer Republik vor Hitlers Regierungsantritt hatten den deutschen Anspruch auf die zwangsweise abgetretenen Gebiete mit deutscher Bevölkerung deshalb nie aufgegeben, auch wenn sie gewaltsame Wiedervereinigungen abgelehnt hatten. Erst Hitler bot 1938 die Anerkennung der polnischen Gebietserwerbungen seit 1920 als Preis für eine Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich an. Endloses Kompetenzgerangel Zugriff des polnischen Staates Außerdem verlangte der
Völkerbund, daß eine Eisenbahndirektion für die Verwaltung der polnischen
Eisenbahn in Polen wieder aus dem Freistaat nach Polen zurückzuverlegen sei.
1921 versuchte die polnische Regierung den Danzigern ihre nationalen
Visa-Bestimmungen aufzuzwingen. Polnische Behörden begannen, die Danziger Pässe
von Danziger Bürgern einzuziehen und durch polnische Papiere zu ersetzen. In
beiden Fällen schob der Völkerbund den Anmaßungen der polnischen Behörden sofort
den Riegel vor. Die wirtschaftliche Existenz war ständig gefährdetDie Streitigkeiten zwischen der
Freien Stadt Danzig und der Republik Polen nahmen bis zum Kriegsbeginn 1939 kein
Ende. Allein bis 1933 mußte sich der Rat des Völkerbunds in Genf 106mal mit
Streitfällen zwischen Polen und dem Freistaat befassen. Sie gipfelten im Sommer
1939 im sogenannten Zollinspektorenstreit, der schon im August fast zur
Kriegseröffnung durch die Polen führte. Der erste Hohe Kommissar des Völkerbunds in Danzig, Sir Richard Haking, hatte Polen 1921, als er die Ausdehnung des Hafens in der Stadt festzulegen hatte, mit seiner Entscheidung im Namen des Völkerbunds schriftlich mitgeteilt, daß mit den zugestandenen Rechten auch Pflichten einhergingen. Er schrieb: „Dem Polen zugestandenen Recht, jederzeit und unter allen Umständen Waren über Danzig ein- und auszuführen, steht die Verpflichtung gegenüber, den Hafen jederzeit voll auszunutzen, unabhängig davon, ob Polen sich in Zukunft auch andere Häfen an der Ostsee bauen sollte.“ Damit sollte die wirtschaftliche Zukunft des Danziger Hafens sichergestellt werden. Rückkehr Danzigs für Polen
ein Kriegsgrund Damit war der von den
Siegermächten vorgegebene Grund für die Abtrennung Danzigs vom Reich entfallen.
Die Sieger gaben den Freistaat Danzig trotzdem nicht aus eigener Entscheidung
zurück an Deutschland. Auch Polen wollte, nachdem es den Hafen nicht mehr
brauchte und entgegen seinen Pflichten nicht mehr auslastete, nicht auf seine
Rechte in der Freien Stadt verzichtet. Vielmehr erklärte die polnische
Regierung, die Rückkehr Danzigs in den Staatsverband des Deutschen Reichs sei
für sie ein Kriegsgrund. Abgeschnittene Provinz Nach den Verträgen waren die Transitgebühren in Zloty zu bezahlen, was zunächst keine Schwierigkeit bereitete. Während und nach der Weltwirtschaftskrise nahm Deutschland im Außenhandel jedoch nicht mehr genug Zloty ein. Um die Gebühren zu entrichten, überwiesen die deutschen Behörden die an Zloty fehlenden Beträge monatlich in Reichsmark. Doch Polen sah darin einen Vertragsbruch, was es streng nach dem Vertragstext auch war, und schloß zur Strafe ab 1936 eine Eisenbahnverbindung nach der anderen. 67 Prozent der Eisenbahntransporte jedoch dienten der Energieversorgung Ostpreußens. Sie fuhren Kohle aus Oberschlesien für Industrie, Gewerbe, den Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Die Kohle war zu jener Zeit der Energieträger, den heute Erdöl und Erdgas darstellen. Unüberwindlicher Widerstand
der Polen So kam im
Reichswirtschaftsministerium die Idee auf, mit der polnischen Regierung statt
über Zloty-Zahlungen über exterritoriale Verkehrsverbindungen von Pommern nach
Ostpreußen in deutscher Hoheit und Regie zu sprechen. Bei den Verhandlungen, die
die deutsche Seite im Oktober 1938 zur Lösung des Problems eröffnete, traf
dieser deutsche Wunsch nach anfänglicher polnischer Bereitschaft bald auf den
unüberwindlichen Widerstand der Polen. Krieg gegen die nationalen MinderheitenDas neugeschaffene Polen war
nach 1919 mit der Angliederung ehemals deutscher, ukrainischer, weißrussischer,
litauischer und weiterer Landesteile ein Vielvölkerstaat mit 19 Millionen Polen
und 11 Millionen Menschen anderer Muttersprachen geworden, darunter auch zwei
Millionen Deutschen. Terrorakte gegen Deutsche Zudem entließ man die
deutschsprachigen Beamten. Etwa die Hälfte der deutschen Schulen und
Universitäten mußten schließen. Der doppelsprachige Unterricht, soweit nach
Kriegsende noch erteilt, wurde per Gesetz verboten. Einem großen Teil der
Deutschen genauso wie der Ukrainer, Weißrussen, Juden und Österreicher wurden
ihre Arzt- und Apothekerapprobationen und die Geschäfts- und Verlagslizenzen
entzogen. Und ansonsten wurde seitens der polnischen Administration geschäftlich
alles boykottiert, was nicht polnisch war. Identität der Minderheiten
gefährdet Der damalige Staatssekretär
Ernst von Weizsäcker schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Unsere diplomatischen
und Konsularberichte zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief und das
ursprüngliche Problem, Danzig und die Passage durch den Korridor überdeckte.“ So war 1939 in Deutschland und
in Rußland niemand mehr bereit, die Polen als die Opfer der drei früheren
Teilungen zu betrachten, denen man historisch etwas schuldete. Man sah in ihnen
mittlerweile die Täter gegen Deutsche, Ukrainer und Weißrussen, denen ein
schlimmes Schicksal das Los der Minderheit in Polen aufgebürdet hatte. Eingezwängt zwischen zwei MilitärmächtenDas deutsch-polnische Verhältnis
zwischen beiden Kriegen war meist risikobeladen. Der Start war schlecht, das
Ende ebenso. Am Anfang standen Polens Forderungen nach den Provinzen Posen und
Westpreußen, nach Teilen Pommerns, nach Oberschlesien, Danzig, ganz Ostpreußen
und dem Memelland. Am Ende stand der Kriegsausbruch. Das mag auf den Leser des Jahres 2009 etwas unwahrscheinlich wirken, aber Polen unterhielt in den zwanziger Jahren mit seinen rund 300.000 Mann im Heer im Frieden immerhin dreimal so viele Soldaten wie das Deutsche Reich mit seinem 100.000-Mann-Heer. Zudem verfügte Polen über drei Millionen Reservisten mit dazugehöriger Bewaffnung, während Deutschland keine Reservisten ausbilden, unterhalten und bewaffnen durfte. Gleichzeitig auf Berlin Diese französisch-polnische
Zange war und blieb eine dauerhafte Bedrohung für das Deutsche Reich bis 1936.
In diesem Jahr stationierte die Reichsregierung in dem nach dem Versailler
Vertrag entmilitarisierten und damit gegenüber Frankreich schutzlos offenen
Rheinland wieder Wehrmachtstruppen und schlug so das bis dahin offene
Einfallstor für eventuelle französische Militäraktionen zu. Zudem trug 1936 die
Wiederaufrüstung der deutschen Wehrmacht ihre ersten Früchte. Zwei weitere Pläne sahen die Eroberung von Teilen Ostpreußens und von Oberschlesien vor. Das 1925 zwischen Polen und Frankreich abgeschlossene Militärabkommen bedeutete eine weitere Bedrohungsstufe. Darin hatte Frankreich Polen zugesagt, ihm im Falle eines Konflikts mit Deutschland ein Flottengeschwader zur Unterstützung in die Ostsee zu entsenden. Der Fall, auf den der Pakt maßgeschneidert war, konnte nur ein deutsch-polnischer Streit um Danzig, Ostpreußen oder Memel sein, in dem die Seeverbindungen dorthin für Deutschland eine Rolle spielten. Bemühen, die
deutsch-polnischen Spannungen zu entschärfen Für viele deutsche
Kriegsteilnehmer war der Krieg gegen Polen deshalb nicht nur ein Feldzug zur
Befreiung der deutschen Minderheit in Polen, um die Wiedervereinigung Danzigs
und um die freien Verkehrswege zum abgetrennten Ostpreußen. Es war auch eine
militärische Abrechnung mit der Militärmacht Polen, die wiederholt versucht
hatte, ihre Überlegenheit in der Zeit der deutschen Schwäche ohne Skrupel
auszunutzen. Danzigs Zukunft wurde zuvor in Prag verspieltDas Jahr 1939 war nicht nur das Jahr des Kriegsausbruchs. Der Herbst 1938 und der Winter, das Frühjahr und der Sommer 1939 waren auch eine Zeit bemerkenswerter Veränderungen und Verhandlungsbemühungen. Alles begann nach der Konferenz von München im Oktober 1938 mit den deutsch-polnischen Gesprächen über die Zukunft Danzigs und um exterritoriale Verkehrsverbindungen nach Ostpreußen. Mit dem Zerfall der
Tschechoslowakei in drei neue Staaten ein halbes Jahr danach fanden die
Verhandlungen zwischen Berlin und Warschau ein abruptes Ende. Hitler vergriff
sich an der Rest-Tschechei und ließ sie völkerrechtswidrig als Protektorat
besetzen. Hitler ging aufs Ganze Zu allem Überfluß entwickelte
sich im Mai 1939 noch der sogenannte Zollinspektorenstreit zwischen der Freien
Stadt Danzig und Polen, der beinahe schon im August 1939 den Krieg ausgelöst
hätte. In den letzten neun Tagen vor Kriegsausbruch ging Hitler dann aufs Ganze,
er verlangte von Polen ein Entgegenkommen bis zum Monatsende. Als das ausblieb,
ließ er die Wehrmacht in Polen einmarschieren und löste so den Zweiten Weltkrieg
aus. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte Einspruch gegen die Annexion von Oderberg in Warschau eingelegt, doch Hitler war hier eingeschritten. Er hatte die Grenzstadt Polen zugestanden. Sein Argument: „Wir können nicht um jede deutsche Stadt mit Polen streiten.“ Seine Hoffnung war, daß Polen dafür der Wiedervereinigung der deutschen Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich zustimmen würde. Anerkennung polnischer
Gebietserwerbungen angeboten Das erste der beiden Angebote
Hitlers war ein großer Schritt Richtung Polen. Alle polnischen Regierungen seit
1924 hatten die Reichsregierungen vor Hitler stets gebeten, ihre Gebietsgewinne
in Posen, Westpreußen und Oberschlesien als endgültig anzuerkennen. Alle
Regierungen der Weimarer Republik hatten dieses abgelehnt. Hitler bot die
Anerkennung als erster deutscher Kanzler an. Beistandspakt gegen Deutschland Polen war zwar bereit, das Recht
anzuerkennen, den Freistaat von Deutschland diplomatisch im Ausland zu vertreten
zu lassen, aber in den territorialen Fragen kam man sich nicht näher. Zu dieser
Zeit, im Winter 1938/39, war Polen wegen seiner außenpolitischen Spannungen mit
fast allen Nachbarstaaten nach 1920 und wegen der erfolgten Teschen-Annexion in
London noch geächtet. Zu diesem Seitenwechsel hatte beigetragen, daß Deutschland im März die von den Slowaken erbetene Schutzherrschaft für ihren neuen Staat übernommen hatte, obwohl die polnische Regierung der Ansicht war, das Privileg der Schutzherrschaft hätte Polen zugestanden. Weitere Faktoren waren die Rückgabe des seit 1923 illegal besetzten Memellands von Litauen an Deutschland und der vom Reich mit Rumänien abgeschlossene Handelsvertrag. Deutschland hatte in kurzer Frist vier Erfolge an Polens Grenzen eingefahren, und Polen war leer ausgegangen. Eiszeit zwischen Deutschland
und Polen Die Mobilmachung setzte sich im
Mai und später in kleinen Schritten fort, wie auch die Verlegung von
Truppenteilen an ihre späteren Einsatzorte. Der polnische Aufmarsch war damit
drei Monate vor dem deutschen eingeleitet. Die deutschen Mobilmachungs- und
Aufmarschvorbereitungen begannen erst am 26. Juni 1939 mit der Verlegung von
neun Infanteriedivisionen an die polnisch-deutsche Grenze. Krieg war nur noch eine Frage der ZeitSeit Großbritannien eine Garantie angeboten und Frankreich seine militärische Unterstützung versprochen hatte, wuchs in Polen ein Gefühl von Siegessicherheit, das sich zwischen Traum und Rausch bewegt hat. Ab Mai 1939 nahmen die Ausschreitungen gegen die volksdeutsche Minderheit in Polen wieder schlimme Formen an. Auf dem Lande wurden Höfe
deutscher Besitzer in großer Zahl angezündet, die Bauern vertrieben, Deutsche in
den Städten verprügelt, in Einzelfällen sogar totgeschlagen. Deutschsprachige
Gottesdienste wurden so häufig gestürmt und aufgelöst, daß sich der Vatikan
genötigt sah, dies bei der polnischen Regierung zu beklagen. „Zollinspektorenstreit“ Polnische Militärtransporte
fuhren durch das Danziger Gebiet, ohne daß sie, wie es vereinbart war, vorher
beim Danziger Senat gemeldet wurden. Die polnischen Wachmannschaften im
Munitionsdepot auf der Westerplatte wurden auf 240 Mann verstärkt, obwohl der
Völkerbund nur 88 Soldaten zugelassen hatte. Die deutschen Beamten arbeiteten daraufhin mit den polnischen nicht mehr zusammen. Die wiederum verzögerten die Ausfuhr Danziger Agrar- und Fischereiprodukte, die im heißen Sommer 1939 schnell verdarben. In dieser angespannten Lage beschwerte sich der Präsident des Danziger Senats, Arthur Greiser (NSdAP), beim polnischen Generalkommissar Marjan Chodacki über die beschriebenen Vorfälle und kündigte an, daß deutsche Zollbeamte von den polnischen in Zukunft keine Weisungen mehr entgegennehmen würden. Einmischung als „Angriffshandlung“ betrachtet Chodacki schickte dem
Senatspräsidenten postwendend ein Ultimatum, diese Weisung bis 18 Uhr des selben
Tags zurückzunehmen, andernfalls „werde die polnische Regierung unverzüglich
Vergeltung gegen die freie Stadt anwenden“. Außerdem teilte Chodacki mit, daß
der polnische Zoll ab sofort bewaffnet werde. Hitler, vom Senatspräsidenten um
Rat gefragt, drängte diesen, für Entspannung zu sorgen und „die Angelegenheit
nicht noch mehr zu vergiften“. Es gelang schließlich, Chodacki zur Aufhebung des
Ultimatums zu bewegen. Angesichts des unbedeutenden Zollstreits in Danzig war das eine ganz massive Drohung, zumal Großbritannien und Frankreich zugesichert hatten, Polen in jedem von Deutschland ausgelösten Krieg zu unterstützen. Hitler zeigte sich über das polnische Ultimatum empört. Verschärfend wirkten Deutungen der polnischen Presse, Hitler habe im Zollstreit „klein beigegeben“ und eine einzige, ein wenig schroffe Note habe genügt, „ihn in die Knie zu zwingen“. Fingierte Brand- und
Sprengstoffanschläge Das „Abfackeln“ deutscher Bauernhöfe im polnischen Grenzland ging unvermindert weiter. Im August griffen die Überfälle und Brandstiftungen der Polen auch auf die deutsche Seite der Grenze über. Um diese Geschehnisse dann für die Propaganda gezielter ausschlachten zu können, inszenierte der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) in den letzten Tagen vor Beginn des Krieges beiderseits der Grenze fingierte Brand- und Sprengstoffanschläge. Diese illegalen Aktivitäten des
SD wären angesichts der Vielzahl der polnischen Übergriffe wohl nicht
erforderlich gewesen, zu offen sprachen gegenüber der entsetzten deutschen
Öffentlichkeit die Bilder der Flüchtlingsströme, der Schießereien und Angriffe
auf deutsche Bauern jenseits der Grenze. Als am 31. August, dem Tag vor
Kriegsbeginn, auch noch der deutsche Konsul in Krakau umgebracht wurde,
überraschte der Krieg gegen Polen im Deutschen Reich wohl niemanden mehr. Stalin verhandelte zweigleisigDer August 1939 war ein in jeder
Hinsicht turbulenter Monat. Der Zollinspektorenstreit in Danzig war kurz davor,
zum Krieg umzuschlagen. Die Verfolgung der Deutschen in Polen und die
Fluchtwelle von Volksdeutschen aus Polen in das Reichsgebiet erreichten ihren
Gipfel. So konnte es kaum wundern, daß viele Regierungen die Katastrophe eines
neuen Krieges kommen sahen und parteiergreifend oder auch neutral versuchten, in
den polnisch-deutschen Streit einzugreifen. Die deutsche Seite sagte sofort
zu. England ließ wissen, daß mit einer englischen Antwort erst nach Ablauf
einiger Zeit zu rechnen wäre. Die Engländer und Franzosen verhandelten nämlich
zu der Zeit mit den Sowjets in Moskau, um ein Kriegsbündnis gegen Deutschland
abzuschließen. So waren sie zu diesem Zeitpunkt nicht an einer
Verhandlungslösung interessiert. So war auch Dahlerus’ erster Ansatz
gescheitert, doch er sollte in der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch noch
einmal als Vermittler eine Rolle spielen. Moskau wollte unbedingt diese an
Polen verlorenen Gebiete zurückbekommen, bestenfalls mit Hilfe Englands und
Frankreichs. Am 17. April 1939 schlug die sowjetische Regierung den Briten und
Franzosen deshalb einen Dreibund gegen Deutschland vor. Und am gleichen Tage
ließ sie ihren Botschafter in Berlin vorstellig werden und versichern: „Die
Sowjetunion hat die jetzigen Reibereien zwischen Deutschland und den westlichen
Demokratien nicht gegen Deutschland ausgenutzt und wünscht auch nicht, das zu
tun.“ Deutsch-russische
Verständigung Am 12. August, dem Tage als die französisch-britische Verhandlungsdelegation in Moskau eintraf, nahm die sowjetische Botschaft in Berlin Kontakt zum Auswärtigen Amt auf und zeigte das Interesse ihrer Regierung, über Wirtschaftsfragen und „das polnische Problem“ zu verhandeln. Die deutsche Reichsregierung wurde dann für ein paar Tage mit den Vorbereitungen eines Wirtschaftsabkommens beschäftigt und hingehalten. Am 15. August, während Briten,
Franzosen und Sowjets noch über den Durchmarsch der russischen Armee durch Polen
sprachen, fragte der sowjetische Außenminister den deutschen Botschafter, ob das
Gerücht stimme, daß Deutschland an einem Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion
und an einer deutsch-russischen Garantie für die drei baltischen Staaten
interessiert sei. Am 16. August antwortete Außenminister Joachim von Ribbentrop
seinem sowjetischen Kollegen Wjatscheslaw Molotow offiziell, daß Deutschland
einen Nichtangriffspakt für 25 Jahre Dauer anbiete und auch bereit wäre, die
Baltenstaaten gemeinsam mit der Sowjetunion zu garantieren. Von Ribbentrop hatte zwar mit
einer Aufteilung des Ostseeraums in eine sowjetische und eine deutsche Sphäre
gerechnet, nicht aber damit, daß zwei der drei baltischen Staaten allein der
sowjetischen Sphäre zugeschlagen würden. Von einer gemeinsamen Garantie für
Estland, Lettland und Litauen war nun keine Rede mehr. Von Ribbentrop bat Stalin
um eine Konferenzunterbrechung, telefonierte mit Hitler und ließ sich erst
dessen Zustimmung geben, bevor er unterschrieb. So ist das geheime
Zusatzabkommen vom 23. August 1939 ein Coup der Sowjetunion gewesen. Die finale VerhandlungsrundeHitler war entschlossen, die offene Danzig-Frage, das Problem der Verkehrsanbindung Ostpreußens und den Minderheitenschutz für die Volksdeutschen in Polen noch vor dem Winter auf dem Verhandlungswege oder – wenn das nicht möglich war – mit Gewalt zu lösen. Die Generalität hatte ihn zwar mehrmals gewarnt, daß ein Krieg mit Polen auch Krieg mit Großbritannien, mit Frankreich und bei längerer Dauer auch mit den USA nach sich ziehen werde. Sie hatten aber auch beraten,
daß militärische Operationen, falls es zum Kriege kommen sollte, aufgrund der
Klima- und Wetterverhältnisse in Polen nicht nach dem 2. September begonnen
werden dürften. Die Straßen- und Wegeverhältnisse würden für das Heer und das
Flugwetter für die Luftwaffe danach in Osteuropa bald zu schwierig werden. So
waren Hitlers Entscheidungen und sein Drängen nicht frei vom Einfluß dieses
Datums. Schwedische Vermittlung Als zweites sprach er die
Warnung aus, daß sein Land im Falle eines Krieges auf Polens Seite stehen würde.
Da Deutschland bereits seit Oktober 1938 erfolglos mit Polen verhandelt hatte,
schien Hitler ein weiteres Warten ohne Sinn. Am gleichen Tag noch antwortete er
auf Chamberlains Brief, verwies dabei auf seine konzilianten Kompromißvorschläge
gegenüber Polen vom Oktober 1938 und vom Januar 1939 und appellierte an
Großbritannien und Frankreich, die in Versailles geschaffenen deutsch-polnischen
Probleme selber aus der Welt zu schaffen. Damit war der Weg für eine
Verständigungslösung unter der Regie der Siegermächte wieder offen. Nun schaltete die deutsche Seite den schwedischen Vermittler Dahlerus wieder ein. In den folgenden neun Tagen flog Dahlerus ein oder zweimal täglich zwischen Berlin und London hin und her, überbrachte die Noten Hitlers und Chamberlains und erläuterte den Empfängern, wo nach seiner Auffassung die Verhandlungsspielräume lägen und wo unverhandelbare Eckpunkte. Polen hatte sich derweil auf Englands Beistandspakt verlassen und war nicht mehr bereit, über Danzig zu verhandeln. Handstreichaktionen beider
Seiten Es gab Zusammenstöße und
Handstreichaktionen beider Seiten. Noch immer wurden deutsche Bauernhöfe auf der
polnischen Seite der Grenze abgebrannt. Deutsche Stoßtrupps vergalten die
Brandstiftungen in gleicher Nacht noch auf der Gegenseite. Auch der
Flüchtlingsstrom hielt weiter an. Polnische Grenztruppen trieben deutsche
Flüchtlingsgruppen mit Gewehr- und MG-Feuer von der Grenze weg. Deutsche
Infanterie drang auf polnisches Gebiet vor und bemühte sich, die Flüchtenden
dort freizukämpfen. Und polnische Flak versuchte ein paarmal, deutsche
Passagierflugzeuge über der Ostsee abzuschießen. Hektische BetriebsamkeitAm Mittwoch, dem 30. August, erarbeitete eine Gruppe von Diplomaten und Juristen nach Hitlers Weisungen und Görings Vorschlägen dieses neue Verhandlungsangebot an Polen. Hitler hatte in diesem letzten Angebot vor Kriegsbeginn alle früheren Wünsche aus der Zeit der Weimarer Republik weit zurückgefahren. Er hatte Ost-Oberschlesien und die Provinz Posen endgültig abgeschrieben. Hitler wollte die Briten offensichtlich mit einem moderaten Vorschlag dazu bringen, daß sie die Polen guten Gewissens zu einem Entgegenkommen drängen würden. Dennoch, der neue Vorschlag verlangte mehr als der von Polen ausgeschlagene deutsche März-Vorschlag. Die Auflistung der deutschen Wünsche und Angebote umfaßte 16 Punkte. Dazu gehörten unter anderem:
Nach allen Zugeständnissen
wollte Chamberlain Hitler nun „zähmen“ Anstelle eines polnischen Beauftragten traf um 17:30 Uhr die Nachricht ein, daß seit morgens in ganz Polen die Generalmobilmachung öffentlich bekanntgegeben wurde. Als bis zum Abend immer noch kein Unterhändler eingetroffen, geschweige denn angekündigt war, verschob Hitler den auf den 31. August festgelegten Angriffsbeginn ein drittes Mal um 24 Stunden. Hitler räumte sich damit selbst noch einmal eine Chance ein, ohne Blutvergießen zum Erfolg zu kommen. In Warschau war indessen nur Hitlers Ultimatum mit der Forderung nach Entsendung eines Unterhändlers angekommen. Die britische Regierung hatte die Ankündigungen zum Inhalt des deutschen Vorschlags nicht nach Warschau übermittelt. Die polnische Regierung war derweilen nach wie vor der Überzeugung, daß Hitler bluffte. Man hielt seine letzte Drohung, am 26. August in Polen einzumarschieren, nachträglich für ein mißglücktes Einschüchterungsmanöver, dem nun ein zweites folgen würde. Verhängnisvolle Dramatik Gerüchte über einen
bevorstehenden Aufstand der Wehrmachtsgenerale und die Gewißheit der britischen
und französischen Waffenhilfe bestärkten die polnische Regierung in ihrem
Glauben. Die Polen schickten niemanden nach Berlin. Auch aus Paris und
Washington kam an diesem Tage kein Impuls an Polen, das Risiko des
Kriegsausbruchs zu mindern. Man beschwor sich gegenseitig, hart zu bleiben. Er riet, Deutschland sollte den
normalen diplomatischen Weg einschlagen und die Vorschläge dem polnischen
Botschafter direkt übergeben. Das war nach den fast sechs Monate währenden
erfolglosen Verhandlungen zwischen Warschau und Berlin seit Oktober 1938 und der
gerade eine Woche alten britischen Rückversicherung für Polen kaum ein seriöser
Vorschlag mehr. Von Ribbentrop begann dem Botschafter den deutschen
16-Punkte-Vorschlag vorzulesen, weigerte sich aber, ihn auszuhändigen, mit der
Begründung, der Vorschlag sei nun hinfällig, da kein polnischer
Verhandlungspartner erschienen sei. Der Text des
16-Punkte-Vorschlags wurde Henderson schnellstens übermittelt. Ein britischer
Botschaftsangehöriger eilte, diesmal mit dem 16-Punkte-Vorschlag in der Hand, in
die polnische Botschaft, um ihn an Lipski zu übergeben. Doch der erklärte nur:
„Ich habe keinerlei Anlaß, mich für Noten oder Angebote von deutscher Seite zu
interessieren. Ich kenne die Lage in Deutschland. (...) Ich bin überzeugt, daß
hier im Falle eines Krieges Unruhen ausbrechen werden und daß die polnischen
Truppen gegen Berlin marschieren werden.“ Versuch, Deutschland
hinzuhalten Lipski sollte sich dort bereit
erklären, neue deutsche Vorschläge entgegen zu nehmen und nach Warschau zu
übermitteln. Warschau könnte dann ebenfalls Vorschläge vorlegen. Auch dieses
Telegramm enthielt noch keinen Hinweis auf Hitlers Forderung, einen zur Aufnahme
von Gesprächen bevollmächtigten polnischen Gesandten zu schicken. Es wirkte so,
als versuchten Chamberlain und Halifax Hitler in diesem Punkt so lange
hinzuhalten, bis er schwach würde oder von sich aus mit dem Krieg begänne. Die letzten Stunden vor dem KriegsausbruchAm Mittag des 31. August 1939 kam noch einmal Bewegung in das verhängnisvolle Spiel. Um 12.40 Uhr ging eine Depesche per Funk vom polnischen Außenminister Józef Beck an Botschafter Józef Lipski in Berlin, wo sie von der deutschen Funkaufklärung mitgeschnitten und entschlüsselt wurde. Danach hatte diese Weisung einen Anhang, der lautete: „Lassen Sie sich unter keinen Umständen auf sachliche Diskussionen ein. Wenn die Reichsregierung mündliche oder schriftliche Vorschläge macht, müssen Sie erklären, daß Sie keinerlei Vollmacht haben, solche Vorschläge entgegenzunehmen oder zu diskutieren, und daß Sie ausschließlich obige Mitteilung Ihrer Regierung zu übermitteln und erst weitere Instruktionen einzuholen haben.“ Mit der Vorlage dieser mitgehörten Weisung bei Hitler, Göring und von Ribbentrop platzte die beinahe letzte Chance für den Frieden. Es war inzwischen 13 Uhr, noch 16 Stunden bis zum festgesetzten Beginn des Wehrmachtangriffs gegen Polen. Nach etwa zwei Stunden weiteren Überlegens schlug Birger Dahlerus Göring vor, er sollte nun selbst Verhandlungen mit der britischen Regierung aufnehmen. Beide Männer wußten, daß mit den Polen in dieser festgefahrenen Lage keine so schnelle Verständigung mehr möglich war, daß sie die Wehrmacht hätte stoppen können. Henderson überzeugte die polnische Verweigerungspraxis Göring fuhr zu Hitler, um sich neue Gespräche mit der britischen Regierung genehmigen zu lassen. Der war zwar mehr als skeptisch, doch er billigte sofortige Gespräche Görings mit Henderson und den Vorschlag, London für Polen mitverhandeln zu lassen. Hitler wußte, daß ihn das nun sichere Ausbleiben eines polnischen Verhandlungsführers sonst vor die Wahl stellen würde, Danzig und die deutsche Minderheit in Polen aufzugeben oder Polen in 14 Stunden anzugreifen. Der direkte Weg über London war damit auch seine letzte Chance für eine Verständigung mit Großbritannien. Hitler war offensichtlich auch jetzt noch – am Nachmittag vor Kriegsausbruch – bereit, den Polen-Feldzug abzublasen. Sonst hätte er Göring in dieser Stunde festgehalten. Dahlerus eilte derweil in die britische Botschaft, um dort den Boden zu bereiten. Dahlerus zeigte Henderson den entschlüsselten Text der Weisung Becks an Lipski und machte damit deutlich, daß es in dieser hochbrisanten Lage nur noch die Möglichkeit gäbe, den Frieden zu erhalten, wenn Göring und Henderson zu einer Verständigung über ein Programm für deutsch-britische Verhandlungen kämen. Um 16.30 Uhr kam die Konferenz mit Henderson, Göring und Dahlerus zustande. Göring empfing Henderson besonders herzlich. Beide bemühten sich offensichtlich, eine günstige Atmosphäre für das anstehende Gespräch zu schaffen. Göring schlug dem britischen Botschafter vor, Verhandlungen zwischen Deutschland und Großbritannien einzuleiten, bei denen London auch für Warschau mitverhandeln sollte Das Chiffretelegramm von Beck an Lipski als Beleg wies auf die Unmöglichkeit hin, eine gedeihliche Regelung mit Polen zu erwirken. Henderson erklärte sich daraufhin bereit, seiner Regierung den neuen deutschen Vorschlag zu übermitteln. Auch Henderson versuchte, ein Anliegen in der Besprechung anzubringen. Er bat Göring, die für den gleichen Abend angekündigte Veröffentlichung der 16 Punkte Hitlers über Rundfunk zu verhindern. Henderson befürchtete, daß damit die letzte schwache Hoffnung auf ein Zustandekommen deutsch-polnischer Gespräche zerstört würde. Das Gespräch endete kurz vor 19 Uhr, ohne daß Göring etwas Definitives erreicht hätte. Beide wußten, daß das den Krieg bedeutete Der Wunsch Botschafter Hendersons, die 16 Punkte Hitlers so lange wie möglich vor der Welt geheimzuhalten, zielte wohl mehr auf die Kriegsbereitschaft der Bürger Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Die Beschränkung der deutschen Forderungen und der Vorschlag, die betroffenen Bewohner des Korridors selbst über ihre Zugehörigkeit zu Polen oder Deutschland abstimmen zu lassen, könnte – so war wohl die Befürchtung der Londoner Regierung – vielen Franzosen, Briten und Amerikanern nicht mehr genügen, um deshalb für die Polen in den Krieg zu ziehen. So schrieb dann auch ein französischer Historiker nach dem Krieg über den 16-Punkte-Vorschlag: „Hätten des französische und das britische Volk am 30. August von diesen Vorschlägen Kenntnis gehabt, so hätten Paris und London kaum den Krieg an Deutschland erklären können, ohne einen Sturm der Entrüstung hervorzurufen, der den Frieden durchgesetzt hätte.“ Inzwischen, gegen 16 Uhr, suchte Botschafter Lipski um ein Gespräch bei Außenminister Joachim von Ribbentrop nach. Dieser wußte seit ein paar Stunden, daß Lipski weder verhandeln noch die deutschen Verschläge entgegennehmen durfte. Lipski verlas um 18.30 Uhr die polnische Erklärung, die von Ribbentrop bereits aus dem entschlüsselten Telegramm aus Warschau kannte. Der Minister fragte daraufhin, ob der Botschafter verhandeln dürfe. Der verneinte. Das Gespräch berührte noch den deutsch-britischen Meinungsaustausch der letzten Tage und Hitlers Erwartung, bis zum Abend des 30. August einen polnischen Verhandlungsbevollmächtigten in Berlin zu sehen. Dann fragte von Ribbentrop Botschafter Lipski ein zweites Mal, ob er verhandeln dürfe. Als der erneut verneinte, war das Gespräch beendet. Beide wußten, daß das den Krieg bedeutete. Generalmobilmachung in Polen So waren um 19 Uhr die beiden letzten Versuche gescheitert bzw. im Sand verlaufen, die deutsch-polnischen Probleme ohne Krieg zu lösen: Gescheitert war das Bemühen, mit Polen Gespräche über Hitlers 16-Punkte-Vorschlag zu beginnen, und im Sand verlaufen der Versuch, mit Großbritannien statt mit Polen zu verhandeln. Um 21 Uhr gab der deutsche Rundfunk Hitlers 16-Punkte-Vorschlag öffentlich bekannt. Zwischen 21 und 22 Uhr überreichte Staatssekretär von Weizsäcker die schriftlichen Ausfertigungen des Hitler-Vorschlags nacheinander an die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs, Japans und an die Geschäftsträger der USA und der Sowjetunion. Der Daily Telegraph in London berichtete noch in seiner Abendausgabe über die Vermittlungstätigkeit der Londoner Regierung zwischen Warschau und Berlin und dabei unter anderem, daß die polnische Regierung nach Eingang des Verhandlungsangebots aus Deutschland die Generalmobilmachung für ihre Streitkräfte angeordnet hatte, statt das Angebot zu honorieren. Diese Abendausgabe wurde schnell
beschlagnahmt. Der Nachdruck, der kurz darauf als Spätausgabe erschien, ließ die
Generalmobilmachung in Polen unerwähnt. Nichts sollte in dieser schweren Krise
bei britischen Lesern Zweifel entstehen lassen.
Es ist anzunehmen, daß die deutsch-polnische Allianz ab 1934 ohne die britische und französische Einflußnahme irgendwann im Jahre 1939 doch noch zu einer deutsch-polnischen Verständigung zu Danzig und der Korridorpassage geführt hätte. Hitlers Offerte vom Oktober 1938, die polnischen Gebietserwerbungen seit 1920 als Preis für eine exterritoriale Verkehrstrasse durch den Korridor und die Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich anzuerkennen, verbunden mit dem Vorschlag eines Friedens- und Freundschaftsvertrags für 25 Jahre, war ein adäquates Angebot. Auch Hitlers Zusatz vom Januar 1939: „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen“, war eine Brücke, über die Polen ohne Ansehens- und Substanzverlust hätte gehen können. Doch die Mächtigen der Welt entschieden anders. London hat Polen für eigene Ziele gegen Deutschland mißbraucht Am 1. September 1939 trat die deutsche Wehrmacht zu ihrem Angriff gegen Polen an. Am 3. September erklärten Großbritannien und Frankreich daraufhin den Krieg an Deutschland. Dann kam für Polen das Erwachen. Weder Paris noch London hielten ihre erst im Frühjahr 1939 gegebenen Hilfsversprechen. Der französische Oberbefehlshaber General Maurice-Gustave Gamelin hatte dem polnischen Kriegsminister General Tadeusz Kasprzycki noch im Mai schriftlich zugesagt, daß Frankreich an seinem 15. Mobilmachungstag mit 40 Divisionen zu einem Großangriff gegen das Deutsche Reich antreten werde. Doch an diesem Tage traten nicht die Franzosen von Westen her zum Angriff gegen Deutschland an, sondern die Sowjets von Osten her zu ihrem Angriff gegen Polen. Großbritannien und Frankreich hatten Polen trotz aller Versprechungen im Stich gelassen. Sie hatten Polen für ihre eigenen Ziele gegen Deutschland positioniert und dann mißbraucht. Garantie galt nicht bei sowjetischem Angriff Heute muß verwundern, daß Großbritannien und Frankreich nicht auch der Sowjetunion den Krieg erklärt haben, nachdem die Rote Armee am 17. September 1939 Polen angegriffen hatte. Dazu muß man wissen, daß sich der britische Schutzvertrag mit Polen von 1939 ausdrücklich nur auf eine Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Polen bezogen hatte, also auf den Fall, daß Deutschland seine 1920/1921 unter Zwang an Polen abgetretenen und deutsch besiedelten Gebiete zurückerobern wollte. Die Londoner Regierung hatte wohlweislich keine Garantie für den Fall ausgesprochen, daß die Sowjetunion ihre 1921 ebenfalls unter Zwang abgetretenen, russisch und ukrainisch besiedelten Gebiete zurückerobern würde. Diese britische Haltung fand später ihre folgerichtige Fortsetzung, als Premierminister Winston Churchill am 16. Dezember 1944 erklärte: „Wenn Polen nicht freiwillig auf alle Gebiete östlich der Curzon-Linie verzichtet, wird Großbritannien sich hinter die russischen Forderungen stellen.“ Daß der Präsident der USA genauso dachte, hatte er schon ein Jahr zuvor geäußert, als er dieses Gebiet Stalin auf der Konferenz von Teheran im Dezember 1943 zugesprochen hatte. Gegenüber den polnischstämmigen Amerikanern hat Roosevelt dieses Zugeständnis bis Ende 1944 abgestritten. Hitlers Angebot an die Alliierten blieb unbeantwortet Zu Ende des Polen-Feldzugs reiste der deutsche Außenminister von Ribbentrop erneut nach Moskau, um über Polens Zukunft zu verhandeln. Hitlers Vorstellung und Ziel zu diesem Zeitpunkt war, das rein polnisch besiedelte Territorium zwischen Deutschlands Osten und Rußlands Westen als selbständiges Rumpfpolen etwa in der Größe des Kongreßpolen von 1815 wieder auferstehen zu lassen. Von Ribbentrop bot der Sowjetunion dazu das der deutschen Interessensphäre zugehörende Litauen im Tausch gegen die sowjetisch besetzten, polnisch besiedelten Gebiete östlich von Warschau an. So konnte Hitler den Westmächten die Gründung eines selbständigen Restpolen und den Rückzug der Wehrmacht von dort als Preis für einen Friedensschluß anbieten. Deutschland sollte bei dieser Neugestaltung
Polens die Freie Stadt Danzig und den deutsch besiedelten Teil Westpreußens, die
Sowjetunion ihre ehemaligen Gebiete in Weißrußland und in der Ukraine
zurückbekommen. Hitler machte dieses Angebot am 6. Oktober 1939. Der Preis, den
Hitler dafür nannte, war der Abschluß eines Friedensvertrags zwischen
Frankreich, Großbritannien und dem Deutschen Reich. Es gab damals keine
Antworten aus London und Paris. Nach 1945 überließen Frankreich, Großbritannien
und die USA das von Deutschland befreite Polen der Fremdherrschaft der
Sowjetunion.
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