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Ungarn bewies früh Willen zur Versöhnung Während in der Bundesrepublik Deutschland noch über die Einführung eines Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges diskutiert wird, hat Ungarn im Dezember einen Gedenktag für deportierte Donauschwaben eingeführt. Damit könnte Ungarn auch ein Beispiel für Tschechien und Polen sein, ihre Haltung gegenüber der Vertreibungsgeschichte zu überdenken. Aufgrund des Beschlusses der ungarischen Regierung und des Alliierten Kontroll-Rates, Nr. 12.330/1945 über die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland vom 20. November 1945 war Folgendes verfügt worden: „Zur Umsiedlung nach Deutschland sind jene ungarischen Staatsbürger verpflichtet, die sich anlässlich der letzten Volkszählung zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt haben, oder die ihren madjarisierten Namen in einen deutsch klingenden zurückändern ließen, ferner die Mitglied einer bewaffneten deutschen Einheit (SS) waren.“ 185.000 Ungarndeutsche waren infolge dieses Beschlusses zwischen 1946 und 1948 aus Ungarn ausgesiedelt worden. Am 19. Januar soll nun daran erinnert werden, dass die deutsche Volksgruppe in Ungarn auf brutale Art und Weise kollektiv bestraft und ihrer Rechte beraubt wurde. Ihr Besitz wurde konfisziert, die Betroffenen wurden ausgewiesen. Der hessische Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV), Siegbert Ortmann, äußerte sich dazu positiv: Die Parlamentsentscheidung zeige, dass Ungarn mitten in Europa angekommen sei und mit beiden Beinen auf dem Boden der europäischen Werteordnung stehe. Die Einführung eines Gedenktages für die deportierten Donauschwaben ist nicht das erste bemerkenswerte Zeichen des ungarischen Staates gegenüber seiner deutschen Minderheit. Bereits im Jahre 1990, kurz nach dem Sturz des Kommunismus, fasste das ungarische Parlament einen Beschluss, in dem sich das Land nicht nur von der Vertreibung seiner Deutschen distanzierte, sondern sich als erstes Land entschuldigte. Außerdem wurde in den 1990er Jahren eine schnelle Entschädigungsregelung mit symbolischem Charakter verabschiedet. 2007 wurde im ungarischen Parlament der „Tag der Heimatvertriebenen“ begangen, an dem auch Vertreter des Bundes der Vertriebenen aus Deutschland teilnahmen. Das Parlament in Budapest hatte am 16. November 2007 eine Gedenkkonferenz über die Vertreibung der Ungarndeutschen veranstaltet. Treibende Kraft dieser Konferenz war Parlamentspräsidentin Katalin Szili. Sie schrieb auch das Vorwort zu dem nach der Konferenz herausgegebenen Gedenkbuch mit dem Titel „Wir müssen die Opfer um Verzeihung bitten“. Darin heißt es: „Aufgabe der Historiker ist es, die Ereignisse aufzudecken, zu analysieren und zu dokumentieren. Unsere ist es, die Opfer um Verzeihung zu bitten und mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln mitzuhelfen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt ...“ Das Gedenkbuch wurde von Mária Schmidt, Generaldirektorin des Museum Haus des Terrors, zusammen mit Viktória Kishegyi, Tamás Stark und Gábor Tallai zusammengestellt. In dieser Publikation, die auch die Verantwortung für die Vertreibung thematisiert, wird mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass für die Vertreibung der Ungarndeutschen auch das Potsdamer Protokoll (2. August 1945) verantwortlich sei. In Wirklichkeit hatte der Alliierte Kontrollrat die Ungarn ersucht, „weitere Ausweisungen der deutschen Bevölkerung einzustellen.“ Einige ungarische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hatten sich schon damals gegen die Vertreibung der Ungarndeutschen ausgesprochen, zu ihnen gehörte Kardinal Mindszenty, der in seinem Hirtenbrief vom 17. Oktober 1945 die Vertreibung verurteilte und deswegen von den Kommunisten schwer verfolgt wurde. Im Februar 2011 wurde auf Einladung der Parlamentsfraktion der regierenden Fidesz-Partei in Ungarn, Rudolf Weiss, der Vorsitzende des Deutschen Volksverbandes aus Maria Theresiopel [Subotica/Batschka/Serbien], ins ungarische Parlament eingeladen zur Feier des „Tages der Erinnerung an die Opfer des Kommunismus“, der in Ungarn seit 2004 jeweils am 25. Februar veranstaltet wird. Rudolf Weiss sprach im ungarischen Parlament zum Thema „Kommunistische Verbrechen gegen das Deutschtum in der Woiwodina (1944–1948)“. Zum 50. Jahrestag der Vertreibung 1996 wurde in Wudersch [Budaörs] bei Budapest auf dem alten Friedhof durch Lorenz Kerner und den damaligen Bildungsminister Bálint Magyar der Grundstein für eine Landesgedenkstätte der Vertreibung gelegt. Zum 60. Jahrestag der Vertreibung der Ungarndeutschen 2006 wurde der Gedenkstein eingeweiht. In Wudersch hatte 1946 die systematische Vertreibung begonnen. Der erste Zug mit Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, fuhr am 19. Januar 1946 Richtung Deutschland ab. Mit einer deutschsprachigen Gedenkmesse, zelebriert vom Fünfkirchner Diözesanbischof Michael Mayer, in der Wuderscher katholischen Kirche, wurde das Landesdenkmal zur Vertreibung der Ungarndeutschen eingeweiht. In seiner Predigt sagte Bischof Mayer, dass es der christliche Glaube gewesen sei, der den Heimatvertriebenen Halt und Kraft gegeben habe, die Prüfungen durchzustehen. Das Denkmal aus Stein und Bronze war von Otto Heinek zusammen mit Friedrich Zimmermann, zwei Aussiedlern, enthüllt worden. Kardinal Primas Péter Erdô und Dechant Dániel Krähling segneten anschließend das Denkmal. Auch ein Schreiben des ungarischen Staatspräsidenten László Sólyom wurde damals verlesen: „Als Staatspräsident entschuldige ich mich bei den vertriebenen Schwaben und ihren Familien für das ihnen widerfahrene Unrecht und die Ungerechtigkeit und verneige mich vor dem Denkmal der Erinnerung der Vertriebenen in der Hoffnung, dass die Ungarndeutschen hier wieder zu Hause sind.“ Der damalige ungarische Staatspräsident, der selbst aus Fünfkirchen einem der Zentren der Deutschen in Ungarn, stammt, schrieb damals, dass die Vertreibung der Ungarndeutschen lange Zeit ein Tabuthema gewesen sei. Nach der Wende 1989 habe man sofort anerkannt, dass die Verschleppung der Ungarndeutschen ab 1944, die darauffolgenden Internierungen und die Aussiedlung eine Reihe von rechtswidrigen und ungerechten Maßnahmen darstellten, die Schwaben unschuldig erlitten hatten. Das Verfassungsgericht annullierte die Gesetze über die Kollektivschuld vom Jahre 1945. Im öffentlichen Bewusstsein Ungarns konnte sich im Gegensatz zu anderen ehemaligen Ostblockländern nie die Auffassung durchsetzen, dass die Vertreibung der Schwaben durch die deutsche Kriegsschuld gerechtfertigt gewesen wäre. Ausdrücklich wird in Ungarn immer noch darauf hingewiesen, dass ein Staat, nämlich die Tschechische Republik, bis heute die damalige Entrechtung und Vertreibung der Nationalitäten für rechtmäßig und gerechtfertigt hält. Infolge der Benesch Dekrete waren in der damaligen Tschechoslowakei neben den Sudetendeutschen auch viele Ungarn aus der Slowakei deportiert worden. Vorbildlich Die ungarische Entscheidung, einen Gedenktag für die Vertreibung der Deutschen einzurichten, ist als vorbildlich zu würdigen. In der etablierten Presse liest man jedoch wenig darüber, dass Ungarn in dieser Frage deutschfreundlicher agiert als die Organe der Bundesrepublik, die für alles Mögliche Gedenktage einrichten, aber nicht für die Vertriebenen. Ungarn übt hier freiwillig eine Form von selbstkritischer Vergangenheitsbewältigung, die wir von den benachbarten Vertreiberstaaten angeblich nicht einfordern dürfen, obwohl sie nicht nur EU- und Nato-Partner sind, sondern auch zu unseren Freunden gezählt werden. Zusätzliche Pikanterie gewinnt die Entscheidung
Ungarns dadurch, dass dort die Fidesz regiert, aus der Fidesz die Initiative zu
dem Gedenktag kam und die Fidesz-Regierung ob ihrer als nationalkonservativ
geltenden Ausrichtung in Brüssel und damit auch in Berlin ungefähr so beliebt
ist wie seinerzeit die Regierung Österreichs unter Beteiligung der FPÖ. Aus
einer derartigen Ecke kann natürlich per se nichts Vorbildliches kommen, weil
nicht sein kann, was nicht sein darf.
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