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Ungarn erinnert
mit einem Gedenktag an die vertriebenen Deutschen.
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Ungarn erinnert mit einem
Gedenktag an die vertriebenen Deutschen |
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Krisztián Ungváry über
einen neuen Gedenktag für zwangsumgesiedelte Deutsche
Von Susanne Führer |
Am Samstag wird in Ungarn zum ersten Mal der
nationale Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen begangen. Die
Vertreibung dieser Gruppe werde heute von der großen Mehrheit seiner Landsleute
als Verbrechen angesehen, sagt der Historiker Krisztián Ungváry.
Susanne Führer:
Morgen wird in Ungarn zum ersten Mal der nationale Gedenktag für die
vertriebenen Ungarndeutschen begangen. Dieser Gedenktag wurde vor einem Jahr vom
Parlament beschlossen, und zwar ohne Gegenstimmen. Ich begrüße nun den
Historiker Krisztián Ungváry am Telefon. Guten Tag, Herr Ungvary!
Krisztián Ungváry: Guten Tag!
Führer: Das ist ja wirklich
außergewöhnlich, so ein Gedenktag für die vertriebenen Deutschen. Meines Wissens
gibt es den in Polen, Tschechien oder der Slowakei nicht. Warum in Ungarn?
Ungváry:
Also in Ungarn ist so ein
Gedenktag eigentlich natürlich, weil das in der ganzen Bevölkerung als ein
Verbrechen angesehen wird. Also die Vertreibung der
Ungarndeutschen wird als
eine verbrecherische Handlung angesehen, man schämt sich dafür, und man hat sich
ja auch immer dafür entschuldigt seit der Wende, das ist also kontinuierlich
immer wieder geschehen. Und es kostet ja auch innenpolitisch gar nichts, weil
darüber ein Konsens herrscht. Allerdings denke ich nicht, dass das deshalb
entstanden ist, weil damit meinetwegen unbedingt eine riesige Geste gegenüber
Deutschland gemacht wurde, sondern eher deshalb, weil das in der
tagespolitischen Diskussion eher von anderen Dingen vielleicht ablenkt. Aber es
ist eine gute Sache, das muss man betonen.
Führer: Aber Sie haben gerade schon kurz
gesagt, schon 1990 hat sich ja Ungarn bei den Vertriebenen und auch bei deren
Angehörigen entschuldigt, hat die entsprechenden Gesetze rückgängig gemacht, Sie
sagten gerade, die Ungarn schämen sich dafür. Wie kommt denn diese ganz andere
Haltung den Deutschen gegenüber zustande, wenn wir das jetzt mal eben mit, sagen
wir mal, mit Tschechien vergleichen?
Ungváry: Das hat viele Gründe. Im
Gegensatz zu allen anderen Ländern Ostmitteleuropas war das Verhältnis zwischen
Ungarndeutschen und Ungarn, also zwischen der deutschen Volksgruppe und
meinetwegen der Staatsbevölkerung absolut harmonisch. Es gab keine
interethnischen Konflikte, das Zusammenleben in den Dörfern war ausgezeichnet,
und die Assimilation der Ungarndeutschen war ja auch relativ fortgeschritten.
Die einzige Volksgruppe, die sich leicht assimilieren ließ in Ungarn, das waren
gerade die Ungarndeutschen, so eine Assimilation war ja weder in Polen noch in
Tschechien der Fall, und deshalb konnte ja auch viel weniger ein Hassgefühl da
auf beiden Seiten entstehen.
Führer: Ich habe so überlegt: Vielleicht
liegt das ja auch daran, dass Ungarn, ganz anders als Polen oder die
Tschechoslowakei, im Zweiten Weltkrieg ja zunächst an der Seite Deutschlands
gegen die Sowjetunion gekämpft hat, sodass vielleicht auch dieser Gedenktag für
die vertriebenen Deutschen auch eine Gelegenheit ist, an die eigene
nazifreundliche Politik zu erinnern?
Ungváry: Nein, das denke ich eigentlich
nicht, dass das damit in einem kausalen Zusammenhang steht. Was viel wichtiger
ist: Ungarn sind ja auch von Vertreibungen betroffen gewesen, sie sind also
sowohl Opfer als auch Täter der Vertreibungen gewesen. Diese Frage ist auch
heute politisch absolut aktuell, weil ja die ungarischen Vertriebenen weder von
Tschechien noch von der Slowakei oder von Rumänien entschädigt worden sind.
Führer: Entschuldigen Sie, Herr Ungváry,
Sie sagen, Ungarn sind auch Opfer von Vertreibung geworden. In welchen Ländern?
Ungváry: Ja, natürlich, und zwar aus der
Tschechoslowakei und aus Rumänien, aber insbesondere aus der Tschechoslowakei
hat man während der Benes-Dekrete Juden, also ungarische Juden, Ungarn und
Deutsche ja vertrieben. Die Ungarn waren die zweitgrößte Gruppe und sie sind
erst nach Ungarn vertrieben worden, teils in das Sudetenland. Und mit dieser
Geste, Vertreibung als solches als verbrecherische Tat anzuerkennen, dient man
natürlich auch der Erinnerung an die ungarischen Opfer, ganz klar.
Führer: Verstehe, und es gibt auch heute
noch Ungarn dann wiederum, die auch als Minderheit in den Nachbarländern leben?
Ungváry: Ja, und zwar: Das ist eine der
größten Minderheiten in Europa. Es sind ja auf jeden Fall etwa 600.000 in der
Slowakei und über anderthalb Millionen in Rumänien, und auch in Serbien sind
einige 100.000 noch vorhanden.
Führer: Über die ungarische Politik
gegenüber den vertriebenen Ungarndeutschen spreche ich mit dem Historiker Krisztián Ungváry. Her Ungváry, wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann steckt
in diesem Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen in Ungarn auch indirekt
eine Aufforderung an die Nachbarn, also an die Tschechen, an die Polen, an die
Slowaken, entsprechend auch ihre Politik nicht unbedingt vielleicht den
Deutschen, aber doch den Ungarn gegenüber anzupassen?
Ungváry: Ja, sicherlich ist das auch eine
Erwägung. Man wollte auch mit gutem Beispiel vorangehen andererseits, das kann
man ja auch sagen. Das alles führte dazu, dass auch dieser Gedenktag entstehen
konnte.
Führer: Man denkt ja hier spontan, wenn
man dann so hört, aha, ein Tag für die vertriebenen Ungarndeutschen - und es
wird ja sehr kritisch über die aktuelle Regierung Orban berichtet, nicht nur in
Deutschland, in ganz Europa. Das hat aber mit der aktuellen Regierung nichts zu
tun? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das etwas, was von der breiten
Bevölkerungsmehrheit getragen wird.
Ungváry: Ja, es ist ja auch ohne
Gegenstimmen anerkannt worden, und (…), Präsident des Parlaments und
sozialistischer Abgeordneter, hat ja sich auch sofort - ohne Aufforderung
übrigens, das muss man sagen - bei seinen deutschen Gästen immer dafür
entschuldigt. Also es ist komisch, dass gerade dort, wo man sich am meisten
dafür schämt, erwartet man diese Scham eigentlich gar nicht. Die deutschen
Staatsbesucher, die nach Ungarn kommen, rechnen gar nicht damit, dass dieses
Thema überhaupt vorkommt, habe ich zumindest die Erfahrung, und sind immer ein
bisschen verwundert - wobei die Ungarn sich dafür natürlich immer noch schämen.
Führer: Nun gibt es weiterhin eine
deutsche Minderheit in Ungarn, es ist aber bei Weitem nicht die größte, das sind
die Roma, es gibt noch andere Minderheiten, Slowaken, Kroaten, Rumänen. Wie,
würden Sie sagen, steht es insgesamt um die Minderheitenpolitik in Ungarn heute?
Ungváry: Die Minderheitenproblematik ist
in Ungarn sicher sehr wichtig, aber die Minderheiten, die in Ungarn wohnen,
jetzt von den Roma abgesehen, sind ja größtenteils assimiliert und begreifen
sich nicht unbedingt als Fremdkörper im Lande. Das ist also eine Angelegenheit,
die eher auf der kulturellen Ebene sich abspielt und nicht politisch, also nicht
so wie in Spanien oder meinetwegen auch nicht unbedingt so wie in den
Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
Führer: Na ja, nun, man kann Angehöriger
einer Minderheit sein und sich trotzdem nicht als Fremdkörper fühlen. Wir haben
dieses Beispiel der Dänen in Schleswig-Holstein. Die Fidesz-Partei hatte doch
vor, ein Wahlgesetz vorzulegen, sodass die Minderheiten auch eigene
Minderheitenvertreter ins Parlament wählen können.
Ungváry: Ja, das wäre auch absolut zu
befürworten. Die Frage ist nur, wie eine Minderheit, die sich eigentlich
sprachlich schon bis zu 99 Prozent assimiliert hatte, sich dann als Minderheit
noch definieren kann. Das ist sehr schwierig, gerade in Ungarn, weil wenn die
Sprache sie nicht als Minderheit definiert, ist eine Definition durch
Kultureigenschaften ja äußerst schwierig, und das kann auch sehr gut missbraucht
werden. Die einzige Minderheit, wo diese Definition relativ leicht wäre, obwohl
das auch nicht unbedingt sprachlich geschieht, das ist die der Roma. Aber gerade
die Roma sind die Minderheit, mit der keine Regierung richtig umgehen konnte.
Führer: Der ungarische Historiker
Krisztián Ungváry, morgen begeht Ungarn den ersten nationalen Gedenktag für die
vertriebenen Ungarndeutschen. Danke fürs Gespräch, Herr Ungváry!
Ungváry: Vielen Dank, danke! Wiederhören!
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