Die Matthiaskirche in
Budapest: Ungarn hat die Geschichte besser aufgearbeitet.
Vertriebenengedenktag
Budapest beschämt Berlin Kommentar von Bernd G. Hierholzer
Daß ausgerechnet
das ungarische
Parlament einstimmig den 19. Januar zum Gedenktag für die Verschleppung der
Ungarndeutschen beschlossen hat, ist beschämend. Beschämend zunächst einmal für
Deutschland selbst. Denn das Echo in Berlin auf den Paukenschlag von Budapest
ist verhalten, und die deutsche Medienlandschaft wirkt nahezu paralysiert.
Immerhin gilt die regierende national-konservative Fidesz-Partei als
antidemokratisch und nationalistisch. Da paßt ein einstimmiger Beschluß zur
Erinnerung an die deutschen Heimatvertriebenen nicht so recht ins Bild.
Zwar haben einzelne
Bundestagsabgeordnete (etwa Erika Steinbach oder Hartmut Koschyk) sowie der
Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, den Budapester
Beschluß ausdrücklich gelobt. Aber selbst die CDU/CSU-Vertriebenengruppe im
Bundestag unter der Führung von Klaus Brähmig übt sich bei dieser Frage in
Stillschweigen.
Der Nebel einer selektiven
Geschichtsschreibung
Das Thema Flucht und Vertreibung
der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa gegen Ende des Zweiten Weltkrieges
entschwindet in die Nebel der selektiven Geschichtsschreibung und entzieht sich
damit zunehmend einer weiteren politischen Reflexion.
Der Bund der Vertriebenen (BdV),
über Jahrzehnte Anwalt der Positionen der entrechteten und enteigneten Deutschen
aus den Vertreibungsgebieten, hat kaum noch eine nennenswerte Bedeutung und ist
aufgrund geringer Eigenmittel auch nahezu handlungsunfähig. Eine Tatsache, die
einerseits mit dem Ableben der Erlebnisgeneration, andererseits mit dem Fehlen
echter politischer Konzepte im BdV zusammenhängt.
Auch der alljährliche Tag der
Heimat wird von der politischen Prominenz eher gemieden, und selbst für
Hinterbänkler in den Parlamenten ist ein Mitwirken in diesem Rahmen mehr Pflicht
als Kür. Bei solchen Veranstaltungen sind wenig Punkte bei den Wählern zu
sammeln. Kurzum: die biologische Lösung der Vertriebenenfrage wird durchaus
wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Ohrfeige für Apologeten einer
Kollektivschuld
Die Einführung des Gedenktages
in Ungarn ist aber auch eine Klatsche für all jene, die nach wie vor die
Vertreibung der Deutschen mit einer
Kollektivschuld begründen, denn der Beschluß
des ungarischen Parlaments wendet sich explizit gegen den „Grundsatz der
Kollektivschuld am Ende des 2. Weltkrieges“. Vor allem die Slowakei und
Tschechien dürften sich hier der Kritik ausgesetzt sehen. In den Jahren 2004 und
2007 wurden die Benesch-Dekrete, die die Enteignung der Deutschen und die
Straffreiheit für Straftaten gegen Deutsche zum Inhalt hatten, erneut von Prag
und Preßburg als rechtsgültig und unantastbar bestätigt.
Die Diskriminierung nationaler
Minderheiten in den beiden Staaten ist und bleibt rechtsstaatswidrig und
antieuropäisch. Auch die polnischen
Bierut-Dekrete sind nur zum Teil aufgehoben
und entfalten nach wie vor Wirkung, wenn es etwa um Restitutionsfragen geht. Und
dennoch: Das Verständnis für deutsche Heimatvertriebene ist hier bereits
ausgeprägter als im linken Mainstream Deutschlands, wo der Revanchismusverdacht
gegenüber Vertriebenen noch immer latent in der Luft liegt.
Vertreibung unabhängig vom
jüdischen Völkermord
In solchen Konstellationen
werden gerne schon einmal ahistorische Verknüpfungen zu Lasten der Vertriebenen
gezogen. In diesem Kontext sei beispielsweise an den vielbeachteten Artikel
Ralph Giordanos vom 5. August 2011 in der Welt erinnert, in dem er unter dem
Titel „Die Vertreibung ist vom Holocaust nicht zu trennen“ den falschen Eindruck
erweckte, die Vernichtung des deutschen und osteuropäischen Judentums sei für
die Sowjetunion, für Polen und Tschechen die maßgebliche Grundlage für die
spätere Vertreibung der Deutschen gewesen.
Im Sog des so forcierten
politischen Drucks hat sich der BdV jüngst dazu genötigt gesehen, die eigene
Verbandsgeschichte auf ehemalige NS-Verstrickte abzuklopfen. Das Ergebnis war
naturgemäß ernüchternd und bot wenig Anhalt für Sensationsgelüste. Die
Funktionsträger der Vertriebenen der fünfziger Jahre waren in den
Nationalsozialismus nicht mehr oder weniger verstrickt als etwa die
organisierten Karnevalisten in Köln.
Ungarn hat die Geschichte
besser aufgearbeitet
Ungarn hat sich hingegen nicht
von der Frage der Kriegsschuld, sondern von jenem Grundsatz leiten lassen, nach
dem kein Verbrechen ein neues Verbrechen zu rechtfertigen vermag. Mit 333
Jastimmen hat das Parlament bei nur sieben Enthaltungen einstimmig jenen Tag des
Jahres 1946, an dem der erste Deportationszug gen Westen rollte, ins nationale
Gedächtnis erhoben.
Fest steht: Seit dem Fall des
Eisernen Vorhangs hat Ungarn seine eigene Geschichte in großen Schritten
aufgearbeitet. Es hat einen Gedenktag für seine eigenen Vertriebenen, für die
Opfer der Shoa und für die Ungarndeutschen. Damit ist es politisch weiter als
die Bundesrepublik, die sich noch immer mit den eigenen Opfern des Zweiten
Weltkriegs schwertut.
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