"Damit
kein Ärgernis erregt wird"
Am 1.9.1933 wurde der sogenannte "Arierparagraph" in der evangelischen
Kirche eingeführt
Von Kristan Kossack
Der
sogenannte "Arierparagraph" wurde am 1. September 1933 in Deutschland eingeführt. Nachdem
er zunächst im Beamtenrecht Geltung fand, folgte ihm die evangelische Kirche im
September 1933 - mit dem Ergebnis, dass auch im Mindener Raum Pfarrer Christen jüdischer
Abstammung ausgrenzten.
Die führenden Vertreter der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) hatten im September
1933 der innerkirchlichen Anwendung des "Arierparagraphen" zugestimmt. Diesem Beschluss
war am 7. April 1933 ein Gesetz vorausgegangen, wonach alle Beamte "nichtarischer
Abstammung" in den Ruhestand zu versetzen seien. Als "nichtarisch" wurden alle Personen
eingestuft, die zumindest einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil aufwiesen.
Regimekritische Haltung?
Die nazifreundlichen Deutschen Christen (DC), die nach den Kirchenwahlen im Juli
1933 über eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der DEK verfügten, hatten den Beschluss
gegen Einwände der Bekenntnischristen durchgesetzt. Die Vorbehalte der bibeltreuen
Anhänger der späteren Bekennenden Kirche (BK) werden häufig als Beleg für eine regimekritische
Haltung hingestellt. Diese Behauptung soll im Folgenden auch am Beispiel der Mindener
Diskussionen, wo die DC in der Minderheit waren, untersucht werden.
Bekenntnispfarrer Niemann von der Simeonsgemeinde hatte im Herbst 1933 Sätze zur
"Arierfrage in der Kirche" zur Diskussion gestellt, wegen "ständig wiederkehrender
Anfragen" aus der Gemeinde. Die Thesen stammten von Martin Niemöller, dem Begründer
der BK. Darin wurde das prinzipielle Nein der BK zur Ausgrenzung von "Nichtariern"
augenfällig relativiert. Es hieß: "Der verbreitete Wunsch von der Pflicht zur Solidarität
mit Christenjuden (getauften Juden) dispensiert zu werden, sei begreiflich" und
weiter: Man erwarte von jüdischen Amtsträgern, "dass sie sich die gebotene Zurückhaltung
auferlegen, damit kein Ärgernis erregt wird".
Der Führer der BK in Westfalen, Pfarrer Karl Koch aus Bad Oeynhausen, der auf der
Synode der preußischen Landeskirche am 5. September als Wortführer gegen die innerkirchliche
Anwendung des "Arierparagraphen" aufgetreten war, hatte am 19. September gegenüber
dem designierten Reichsbischof eingeräumt: "Steht es so, dass eine durch die nationale
Bewegung in ihrem Deutschbewusstsein aufgerüttelte Gemeinde das Wort Gottes nicht
mehr hören kann, wenn und weil es von einem Pfarrer nichtarischen Blutes verkündet
wird, so hat die Kirche nur den Weg, solche Pfarrer zu bitten, um der Liebe willen
auf die Ausrichtung seines Amtes zu verzichten und in solcher Wendung des deutschen
Volksempfindens den Weg Gottes zu ehren" (zitiert nach Gerlach, Bekennnende Kirche
und die Juden, Berlin 1993, Seite 68).
Als der Staat 1937 den Ausgrenzungsdruck verschärfte, hatte der hiesige Kirchenkreis
im "Mindener Sonntagsblatt" (MS) mit der Feststellung reagiert: "Unter allen akademischen
Berufen gibt es in Deutschland keinen Stand, der so wenig nichtarisch ist, wie der
evangelische Pfarrstand." (45/1937)
Selektion vor der Taufe
Auch das von der BK geforderte Festhalten an der so genannten Judenmission (Bekehrung
von Juden zum christlichen Glauben) wurde in der Praxis relativiert. So hieß es
im MS (41/1933): "Es meldet sich eine weit größere Zahl von Juden zum Übertritt
zum Christentum als sonst." Manche meinten offenbar, "sie könnten durch die Taufe
ihre Stellung im wirtschaftlichen und politischen Leben verbessern." Die Taufe könne
nicht gewährt werden, "wenn sie nur aus äußeren Gründen begehrt wird" und die Bewerber
seien zu sichten. Mit der Judentaufe wurden von der BK keine humanitären Absichten
verfolgt, sondern von jedem jüdischen Bewerber eine Lossagung vom Volk Israel verlangt,
das kollektiv als "Christusmörder" verunglimpft wurde.
Einer Anwendung des Arierparagraphen außerhalb der Kirchen hatte die BK, ohne den
Warnungen von Dietrich Bonhoeffer Gehör zu schenken, nirgendwo widersprochen. In
der aus Minden überlieferten Diskussion sucht man Bonhoeffers Argumente, der den
"Arierparagraphen" auch im staatlichen Bereich als Bedrohung angesehen hatte, vergeblich.
Stattdessen wurde mit den "Sätzen zur Arierfrage in der Kirche" behauptet, dass
die Deutschen "als Volk unter dem Einfluss des jüdischen Volkes schwer zu tragen
gehabt" hätten. Im MS (41/1933) lautete ein Resümee: "Es ist darum durchaus begreiflich,
dass ein Staat, der diese Schädigungen seines eigenen Volkes durch Fremdartige sieht,
mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln sich gegen das Böse wehrt." Das Gesagte
zeigt, dass Behauptungen über angeblichen Widerstand der BK gegen die 1933 eingeführten
Sonderbestimmungen für "Nichtarier" für das praktische Verhalten der Kirchenmänner
in Minden und in der BK-Führung nicht zutreffen und eine Legendenbildung bezwecken.
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Zum Kirchenkampf in Minden erschien auch kürzlich
der Aufsatz des Verfassers, "Mindener evangelische Kirchengemeinden 1933 - 1945",
bei: Books an Demand GmbH, ISBN 3-8330-10096, über das Internet lieferbar unter
www.libri.de.
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