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Einheit ohne Osten Am 12. September 1990 setzten die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der noch existierenden DDR und der vier Siegermächte in einem Moskauer Hotel ihre Unterschrift unter den gemeinhin „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ genannten „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, der nach Eintreffen der erforderlichen Ratifikationsurkunden in Bonn am 15. März 1991 in Kraft trat. Originell war, dass die beiden deutschen Staaten zwar als Vertragspartner auftraten, es aber schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens nur noch einen gab, die Bundesrepublik. Das war jedoch unbedenklich, denn der Text sah vor, dass er „für das vereinte Deutschland“ gelten sollte (Artikel 8 Absatz 1 Seite 2). Damit war der westdeutschen „Identitätstheorie“, die besagte, dass nach 1945 das Deutsche Reich fortbestehe, wenn auch in seiner effektiven Staatsgewalt reduziert auf die Bundesrepublik, internationale Anerkennung zuteil geworden. Polen hatte ebenfalls Vertragspartner sein wollen, denn es fühlte sich auch als bestimmende Siegermacht des Zweiten Weltkriegs. Das störte die vier „herkömmlichen“ Siegermächte, weshalb die Polen nur an einer einzigen der den Vertrag vorbereitenden Konferenzen, jener von Paris am 17. Juli 1990, teilnehmen durften. Dort wurde die für Polen entscheidende Zusage bekräftigt, die für sie wesentlich war, dass nämlich der Vertrag die bisherige Oder-Neiße-Linie als rechtsverbindliche Grenze festschreiben werde. Denn er bestimmte in Art. 1 Abs. 1 als Außengrenzen „die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland“, und in Abs. 2: „Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.“ Der wurde bereits am 14. November 1990 abgeschlossen. Er bezog sich auf den Görlitzer Vertrag vom 6. Juni 1950 zwischen der DDR und der damaligen Volksrepublik Polen sowie den Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 zwischen der Bundesrepublik und Polen. Die Zitierung des Görlitzer Vertrages war befremdlich, denn die gemeinsame Auffassung Bonns und der Westalliierten war bis dato, dass diese Abmachung null und nichtig sei. Der Vertrag vom November 1990 war das Grab aller bisherigen Hoffnungen, dass wenigstens die Westmächte bei der Wiedervereinigung im Grundsatz von den Grenzen des Deutschen Reiches zum 31. Dezember 1937 ausgehen würden. Tatsächlich war es eher die Sowjetunion, die zu diesem staats- und völkerrechtlich an sich gebotenenen Vorgehen bereit war. Das galt auch für den sowjetisch besetzten Teil Ostpreußens mit Königsberg: Die Sowjets hatten mit Polen im August 1945 einen Vertrag geschlossen, der dieses Gebiet betraf, und in dem sie den ausdrücklichen Vorbehalt des zukünftigen Friedensvertrages mit Deutschland ansprachen. Dementsprechend hat die westdeutsche Botschaft in Mos-kau Anfang Juli 1990 Bonn mitgeteilt, der sowjetische Generalmajor Geli Batenin sei bei ihr vorstellig geworden und habe über eine „Frage des nördlichen Ostpreußen“ gesprochen, die sich „über kurz oder lang stellen werde“. Aber Bonn lehnte ab, gemäß den schon laufenden Verhandlungen, die auf die territoriale Formel „Bundesrepublik plus DDR“ fixiert waren. Ebenso wichtig wie die Grenzfragen war das Thema der Kriegsreparationen. Das Londoner Schuldenmoratorium vom Februar 1953 hatte die Entscheidung über Reparationsleistungen des besiegten Deutschlands auf die Zeit nach Abschluss eines Friedensvertrages verschoben. Nun kamen Deutschlands Vertragspartner ihm damit entgegen, dass sie darauf verzichteten, den Vertrag als den noch ausstehenden Friedensvertrag zu definieren. Nach gesundem Menschenverstand war er genau das, oder war er nicht schon überholt? Und zwar durch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik im kollektiven Sicherheitsbündnis der Nato und in der EU, die ebenfalls dem Frieden dient? Das überkommene, auf Nationalstaaten ausgerichtete Prinzip eines Friedensvertrages war durch supranationale Friedenssicherung abgelöst worden. Deutsche Einheit – Zwei plus vier Im Kalten Krieg stand die Frage der deutschen Wiedervereinigung im Zentrum der Politik zwischen den Weltmächten USA und Sowjetunion. Beide investierten eine beträchtlichen Teil ihrer diplomatischen Findigkeit in das Bemühen, die leidige deutsche Frage nicht zum Anlass eines Krieges gegeneinander werden zu lassen. Dann fiel die Mauer (9. November 1989), und nun mussten sowohl die Deutschen als auch die vier Siegermächte rasch handeln, um die Chance einer Lösung der „deutschen Frage“ nicht verstreichen zu lassen. Die USA waren wiedervereinigungs-freundlich
gesonnen, England und Frankreich zögerten, weil ihr weltpolitisches Gewicht weit
mehr von ihrer Verantwortung für „Deutschland als Ganzes“ abhing, als dies bei
den USA der Fall war. |