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Die Bombe,
der Brand und die Moral Die Stadt war nicht für Rüstungsindustrie bekannt. Das ließ vermuten, sie würde schwach verteidigt sein. Zudem liegt die Stadt nahe einer Küste. Das erleichterte die Orientierung. Und schließlich besaß sie einen Altstadtkern, bestehend aus engstehenden Häusern ohne wirksame Brandmauern. Schwäche und historische Schönheit machten Lübeck vor 75 Jahren zum ersten Ziel eines massiven Bombenangriffs auf Wohngebiete in Deutschland. In der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942 regnete es Feuer auf die alte Hansestadt. In das Gedächtnis Lübecks hat sich die Nacht zum Sonntag Palmarum eingebrannt. Unwiederbringliche Kunstschätze gingen verloren, himmelstrebende Backsteingotik schien unrettbar. Ganze Wohnviertel, die ältesten und wertvollsten, fielen in Schutt und Asche. Das Feuer fraß sich über die Altstadtinsel zwischen Trave und Wakenitz, 130 Kilometer Straßenfront stand in Flammen. 1.900 Gebäude wurden vollständig zerstört, 5.900 stark beschädigt. Das entsprach 62 Prozent aller Gebäude auf der Altstadtinsel. Der Angriff auf Lübeck war Vorstufe zur „Operation Millennium“, jener Flächenbombardierungen, deren erklärtes und vornehmliches Ziel es war, den moralischen Rückhalt der Zivilbevölkerung zu brechen. Unter dem Tarnnamen „Operation Millennium“ wurde die Bombardierung Kölns in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 vorbereitet. Aber begonnen hatte das „moral bombing“ zwei Monate zuvor über Lübeck. Am 14. Februar 1942 hatte das britische Luftfahrtministerium die Anweisung „Area Bombing Directive“, also die Anweisung zum Flächenbombardement dicht bebauter Stadtgebiete, herausgegeben. Die Absicht war eindeutig formuliert: „Es ist entschieden, dass das Hauptziel Ihrer Operation jetzt auf die Moral der gegnerischen Bevölkerung gerichtet sein soll …“ Diese Anweisung gab dem Oberkommandierenden der Royal Air Force (RAF), Sir Arthur Harris, freie Hand, seine Bomber ohne Beschränkung einzusetzen. Wie eindeutig beim „moral bombing“ die Zivilbevölkerung das erklärte Ziel von Tod und Vernichtung war, geht aus einer Notiz hervor, zu der sich Luftmarschall Sir Charles Portal am 15. Februar veranlasst sah, so als könne er selbst nicht glauben, was er da abzeichnete: „Ich nehme an, dass klar ist, dass die Ziele bebaute Gebiete und nicht zum Beispiel Schiffswerften oder Flugzeugwerke laut Anhang A sein werden. Dies muss jedem klargemacht werden, falls es noch nicht so verstanden worden ist.“ Premierminister Winston Churchill hatte sofort verstanden. Er war von dieser Strategie gegen die Zivilbevölkerung äußerst angetan. Noch einer war vom Erfolg des ersten Flächenbombardements äußerst angetan: Luftmarschall Arthur Harris („Bomber-Harris“). Er hatte die „Operation Millennium“ ausgearbeitet. Die Bombardierung von Wohngebieten anstelle von Industrieanlagen sollte den Kampfwillen der Bevölkerung brechen. Das Beispiel Lübeck zeigte, dass der Terror funktionierte. Allerdings nur, soweit er die Zerstörung von Wohngebieten betraf. Den Kampfwillen der Bevölkerung brachen die Bombenangriffe vorerst nicht. Sie förderten vielmehr eine Solidarisierung gegen den Angreifer. Lübeck wurde für Arthur Harris, seit Februar 1942 Chef des Bomber Command, zum Lehrstück auf dem Weg nach Hamburg, Köln und Dresden. Er hatte jene Strategie entwickelt, mit der ganze Städte in Brand zu setzen waren. Das hatte es in der Kriegsgeschichte noch nicht gegeben. Bis dahin waren Brände gesetzt worden, um in der Nacht den Bombern mit ihren Sprengbomben den Weg zu weisen. Analysen jedoch zeigten, dass mit Brandbomben Flächen erfolgreicher zu bekämpfen waren als mit Sprengbomben. Städte ließen sich leichter in Brand setzen als sprengen. Die nachhaltigste Zerstörung garantierte die richtige Mischung zwischen beiden Bombentypen. Daran experimentierte man bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit zunehmendem Erfolg. 1941 probierten die Engländer es mit einer Mischung aus Gummi und Phosphor in Kanistern. Die sollten beim Aufschlag auf den Boden zerspringen, der Inhalt sich durch die Verbindung mit Sauerstoff selbst entzünden. Der Versuch schlug fehl. England entsorgte den Schrott durch Abwürfe über Berlin und Wuppertal. Erfolgreicher waren 30-Pfund-Flüssigkeitsbomben, von denen bis 1944 drei Millionen Stück abgeworfen wurden. Ihre Premiere hatten sie bei dem Angriff auf Lübeck. Die zigarrenförmige Bombe schleuderte zähflüssige Brandmasse aus Benzol und Kautschuk bis zu 40 Meter weit. Die Mischung brannte 30 Minuten. 25.000 Stabbrandbomben wurden über Lübeck abgeworfen. Zudem 250-Pfund-Benzol-Kautschuk-Bomben. Mit dem Ergebnis war Bomber-Harris zufrieden. Lübeck schien ihm „mehr wie ein Feueranzünder als wie eine menschliche Siedlung“. 320 Bewohner starben in dieser Nacht. Das Luftfahrtministerium in London meldete einen falschen Rekord: 2.600 Personen getötet. Die Angreifer hatte Lübeck in einer hellen Vollmondnacht mit 234 Maschinen in zwei Wellen innerhalb von zwei Stunden angeflogen. An Bord 400 Tonnen Bomben, zwei Drittel davon Brandstoffe. Um 23.16 Uhr wurde laut Polizeibericht Fliegeralarm gegeben. Dicht gestaffelte Angriffswellen sollten den Einsatz der Löschtrupps verhindern, Löschmannschaften wurden mit Bordwaffen beschossen. Entwarnung wurde am 29. März 1942 um 3.35 Uhr gegeben. Die Löscharbeiten dauerten am nächsten Tag bis 10 Uhr. Den Vorort Lübeck-Schlutup flogen die Bomber nicht
an. Dort lagen versteckt die einzig nennenswerten Betriebe der Rüstungsindustrie,
die „Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken“ (DWM) und die dazu gehörigen „Maschinen
für Massenverpackungen“ (MfM), über 100 Gebäude. Produziert wurden Munition mit
Kaliber bis 3,7 Zentimeter sowie Handgranaten, Patronenhülsen, Nebelkerzen und Bombenzünder.
Die MfM fertigte Artilleriehülsen für Flugabwehrkanonen (Flak), Panzer- und Kampfwagenkanonen,
Feldhaubitzen, Mörser und Granathülsen. Teilweise arbeiteten dort mehr als 10.000
Menschen. Die Bauten waren durch Bewuchs auf den Dächern so gut getarnt, dass die
Engländer die weitläufige Anlage erst fanden, als sie unmittelbar davor standen.
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