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Als
das Sudetenland zum Reich kam „Peace for our time“ (Frieden für unsere Zeit) jubelte der britische Premierminister Neville Chamberlain nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens im September 1938. Dies gilt als Höhepunkt der Appeasement-Politik der Westmächte, mit der Adolf Hitler beschwichtigt werden sollte – die aber bereits im Folgejahr scheiterte. Obwohl US-Präsident Woodrow Wilson in seinem 14-Punkte-Programm vom 8. Januar 1918 den Völkern Österreich-Ungarns vollmundig „die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung“ verhießen hatte, wurden die Sudetendeutschen durch den Pariser Vorortvertrag für Österreich, den Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye, zu Bürgern der neu gebildeten Tschechoslowakischen Republik (CSR) gemacht. Hierdurch blieb mehr als drei Millionen Deutschen das Selbstbestimmungsrecht verwehrt. Anschließend versuchte Prag, die kulturelle Identität der Deutschböhmen und Deutschmährer zu zerstören. Dazu kamen Enteignungen und eine anhaltende Diskriminierung der deutschen Minderheit, die sich deswegen immer wieder beim Völkerbund beschwerte. Das führte naheliegenderweise zu Spannungen, die besonders dann zunahmen, als ab Oktober 1933 die Sudetendeutsche Heimatfront beziehungsweise Sudetendeutsche Partei (SdP) mit Rückendeckung der Nationalsozialisten mehr Autonomierechte einforderte – so wie sie die CSR schließlich vertraglich zugesichert hatte. Doch die Regierung in Prag zeigte sich weiter uneinsichtig und reagierte mit verschärften Repressionen durch Polizei und Militär. Dazu kam der ganz alltägliche Terror von Seiten tschechischer Nationalisten. Beispielsweise wurden allein im Mai 1938 drei Sudetendeutsche bei Übergriffen getötet und weitere 130 verletzt. Ebenso betrieb Prag eine gegen Deutschland gerichtete Bündnispolitik. So bot die Tschechoslowakei, die immerhin 45 Heeresdivisionen besaß, Frankreich während der Rheinlandkrise von 1936 Waffenhilfe gegen Deutschlands „Rücken“ an. Unter Bezugnahme hierauf tönte der französische Luftfahrtminister Pierre Cot noch im Juni 1938, „dass gemeinsame Angriffe der französischen und der tschechischen Luftwaffe sehr schnell alle deutschen Produktionsstätten vernichten könnten“. Damit bildete die Tschechoslowakei eine latente strategische Bedrohung – sie fungierte tatsächlich, wie Cot es ausdrückte, als „Flugzeugträger“ gegen Deutschland. Das alles veranlasste Hitler dazu, die Besetzung des Sudetenlandes sowie perspektivisch auch der „Rest-Tschechei“ ins Auge zu fassen. Den letzten Anstoß hierzu gab vermutlich die tschechische Teilmobilmachung vom 20. Mai 1938. Jedenfalls ließ Hitler zehn Tage später die Wehrmacht für den 1. Oktober in Bereitschaft versetzen. In seiner entsprechenden Weisung hieß es: „Es ist mein unabänderlicher Entschluss, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.“ Eine solche Eskalation lag aber nicht im Sinne der maßgeblichen Politiker in London und Paris, welche die Juli-Krise des Jahres 1914 vor Augen hatten. Deshalb vermieden sie Scharfmacherei à la Cot und setzten lieber weiter auf ihre Appeasement-Politik. Diese zielte darauf ab, Hitler durch Zugeständnisse zu beschwichtigen und dadurch bewaffnete Konflikte zu vermeiden. Hauptverfechter dieser Strategie war der britische Premierminister Neville Chamberlain. Er entsandte im August 1938 eine Kommission unter dem Sonderbotschafter Walter Runciman nach Prag, um die Möglichkeiten eines Ausgleichs zwischen Tschechen und Sudetendeutschen auszuloten, und traf sich dann am 15. September mit Hitler auf dessen Berghof bei Berchtesgaden, nachdem der deutsche Staats- und Regierungschef nun auch öffentlich mit dem Einmarsch in die CSR gedroht hatte. Während der Visite versprach Chamberlain seinem Gesprächspartner, jedwede Lösung des Problems der „Heimkehr“ der Sudetendeutschen ins Reich zu befürworten, „falls die Gewaltanwendung ausgeschlossen bleibt“. Zu diesem Zeitpunkt kannte der Premier sicher schon den Inhalt von Runcimans Bericht, der angesichts der Haltung Prags dringend empfahl, die Gebiete mit überwiegend deutscher Bevölkerung unverzüglich von der Tschechoslowakei abzutrennen und dem Reich anzugliedern. Damit konterkarierte Chamberlain Hitlers Versuch, durch fortgesetzte Eskalation einen Casus Belli zu schaffen. Dieser politische Schachzug erforderte indes, den Verbündeten Tschechoslowakei nicht bedingungslos zu unterstützen. Das taten Großbritannien und Frankreich mit der Mitteilung, man werde der CSR keinen Beistand leisten, wenn sie die deutschen Forderungen ablehne. Seine konkreten Bedingungen präsentierte Hitler beim zweiten Treffen mit Chamberlain am 22./23. September 1938 im Rheinhotel Dreesen bei Bonn: sofortige Abtretung des Sudetengebietes an Deutschland und Besetzung durch die Wehrmacht sowie eine baldige Volksabstimmung über die künftige staatliche Zugehörigkeit weiterer Teile der CSR. Das ging weit über die bisherigen Forderungen hinaus, weshalb die Zeichen nun auf Krieg zu stehen schienen. Daher wurden in London bereits Luftschutzgräben ausgehoben, als Chamberlain das Unterhaus über die schwindenden Friedensaussichten informierte. Allerdings erhielt er während dieser Rede plötzlich die Nachricht, Hitler habe ihn und den französischen Premier Édouard Daladier nach München eingeladen, um dort unter Vermittlung des italienischen Ministerpräsidenten Benito Mussolini doch noch eine Lösung zu finden. Diese Zusammenkunft der vier Regierungschefs, an der kein tschechischer Politiker teilnahm, fand im neuen „Führerbau“ des „Braunen Hauses“ in der Arcisstraße statt und endete am 30. September 1938 gegen 1.30 Uhr mit der Unterzeichnung eines Abkommens, in dem Hitler letztlich genau das zugestanden bekam, was er verlangt hatte. Auf polnischen und ungarischen Druck hin wurden Zusatzprotokolle zum Abkommen verfasst, denen zufolge nicht nur die Grenzen der CSR zu seinen deutschen, sondern auch zu seinen polnischen und ungarischen Nachbarn entsprechend der Volkstumsverteilung verändert werden sollten. „Appeasement“ wird heute als Schimpfwort verwandt,
doch sollte man überlegen, ob der eigentliche Fehler der Siegermächte des Ersten
Weltkrieges wirklich darin bestand, legitimen, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker
entsprechenden deutschen Forderungen in der NS-Zeit entsprochen zu haben, oder ob
er nicht vielmehr darin lag, dies vorher, während der Weimarer Zeit unterlassen
zu haben.
___________________________________________________________________________________ weitere Informationen als PDF-Datei: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen Überlebende kommen zu Wort
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