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Die letzten Tage der
jungen Demokratie Weimar – Wie eine Republik im Strudel des Parteienhaders zerrieben wurde von Hans-Joachim von Leesen Die erste deutsche Republik, die sogenannte Weimarer Republik, ging nicht mit einem Knall zugrunde. Ihr Ende war auch nicht unabwendbar. Aus Rücksicht auf ihre Klientel und ihre Wahlchancen lähmten die demokratischen Parteien letztlich den Reichstag – und öffneten den Fanatikern von links und rechts die Tore. Die Geschichte eines epochalen Versagens: Nach der Gründung der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland wurden die Reichsregierungen von unterschiedlichen Koalitionen gestellt – bis im Oktober 1929, von New York ausgehend, die Weltwirtschaftskrise zum Zusammenbruch großer Teile der Weltwirtschaft führte. Deutschland wurde besonders hart getroffen: Die von den Siegern erzwungenen Reparationszahlungen hatten dem deutschen Staat und der Wirtschaft das Blut aus den Adern gezogen. Die Folge waren Firmenzusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, fallende Löhne. Bald waren die Geldreserven der Arbeitslosenversicherung erschöpft. Die Regierungsparteien SPD, Deutsche Volkspartei (DVP, liberal), Zentrum (politischer Katholizismus), und Deutsche Demokratische Partei (DDP, linksliberal) konnten sich nicht auf eine gemeinsame Lösung des Problems einigen. Die SPD wollte die Beiträge, die zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlt wurden, erhöhen. Die DVP verlangte die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung, Zentrum und DDP brachten einen Kompromißvorschlag ein. Die SPD aber war unter dem Druck ihres linken Flügels zu keiner Einigung bereit; zudem fürchtete sie, ihre Wähler würden zur Kommunistischen Partei (KPD) abschwenken. Die wirtschaftliche Not und damit die Not des Volkes nahmen zu. Das Wort vom „Banausenparlament“ machte die Runde. Da trat die Regierung unter dem SPD-Kanzler Hermann Müller am 27. März 1930 zurück. Die Parteien des Reichstags wollten sich Monate lang auf keine regierungsfähige Mehrheit einigen. Da blieb dem Reichspräsidenten nichts anderes übrig, als sich auf den Artikel 48 der Verfassung zu stützen und einen Mann seines Vertrauens ohne Anlehnung an den Reichstag mit der Regierungsbildung zu beauftragen: Es war der Zentrumsführer Heinrich Brüning. Er bildete ein Kabinett von Fachleuten, gegen das sofort von SPD und KPD ein Mißtrauensantrag eingebracht wurde, der aber scheiterte. Die Zahl der Arbeitslosen stieg scheinbar unaufhaltsam. Die Parteien stritten sich und lehnten nahezu jedes eingebrachte Gesetz ab. Die Schulden des Reiches kletterten. Finanzminister Hermann Dietrich (DDP) beschwor die Abgeordneten: „Wenn wir die Dinge so weiterlaufen lassen wie jetzt, dann wird in kurzer Zeit Ruhe und Ordnung so gestört sein, daß jeder gern unseren Vorschlägen zustimmen würde ... Wer die Gefahr heraufbeschwört, daß die Beamten wie im Vorjahr wieder darum bangen müssen, ob sie ihr Gehalt bekommen, der trägt die Verantwortung ... Wer das Chaos im Steuerausschuß mitgemacht hat, der kann wahrhaftig nicht behaupten, daß ich nicht bis zum letzten Augenblick versucht habe, eine Verständigung herbeizuführen. Bis ich mir sagte: Es geht hier nicht, denn hier will jeder seine persönliche Suppe kochen ... Die Gefahr und unsere Schwierigkeiten wachsen mit jedem Tag, den wir noch warten. Das deutsche Volk wird nachher nicht fragen, warum diese Schwierigkeiten entstanden sind, sondern warum sie nicht beseitigt wurden ... Der Reichstag muß heute zeigen, ob wir noch ein Staatsvolk sind oder nur ein Haufen von Interessenten.“ Innenminister Joseph Wirth (Zentrum) fügte hinzu: „Stürzen Sie diese Regierung oder treiben Sie es zur Auflösung (des Reichstags), dann laufen Sie das Risiko, von der Krise des Parlaments in die Krise des Systems der Demokratie zu geraten.“ Wieder stellte die SPD einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Er wurde am 18. Juli 1930 mit Mehrheit angenommen. Das Land war unregierbar geworden. Brüning löste den Reichstag auf. Das Ergebnis der Neuwahl: Die NSDAP, die bisher mit nur zwölf Abgeordneten ohne politischen Einfluß war, wuchs auf 107 Mandate (18,3 Prozent), die Kommunisten von 54 auf 77 (13,1 Prozent). Beide Parteien forderten die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, da sie bewiesen habe, daß sie die Probleme des Landes zu lösen nicht in der Lage sei. Aber auch jetzt kamen die Parteiführer nicht zur Vernunft. Während die Talfahrt der Wirtschaft immer rasanter wurde und die Zahl der Arbeitslosen stieg, lehnte das Parlament jeden Gesetzesentwurf für Reformen ab. Reichsbankpräsident Hans Luther kündigte an, daß ab Juni 1932 die Beamtengehälter nicht mehr gezahlt werden könnten. Da trat Brüning am 30. Mai 1932 zurück. Die Neuwahl am 31. Juli 1932, die unter bürgerkriegsähnlichen Zuständen durchgeführt wurde – während des Wahlkampfes wurden 99 Personen von politischen Gegnern ermordet –, hatte das Ergebnis, daß 230 Abgeordnete der NSDAP (37,4 Prozent) und 89 der KPD (14,6 Prozent) gewählt wurden, zusammen mehr als die Hälfte aller Reichstagsabgeordneten. Das Volk hatte sich angesichts des Versagens der Parteien von der parlamentarischen Demokratie verabschiedet. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt.
Natürlich wiederholt sie sich nicht, und natürlich sind heute manche
Voraussetzungen anders als vor 75 Jahren. Daß aber auch heute unverantwortliches
Handeln von Parteien, die ihre Interessen über die des Landes stellen, einen
Staat in den Ruin führen kann, darin dürfte Übereinstimmung bestehen.
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