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Wenn man bedenkt, dass sich im Nachbarort von Friedrichsruh, dem kaum einen Kilometer entfernten Aumühle, das Grab von Karl Dönitz befindet, so entsteht hier geradezu eine Symbolik dadurch, dass der Schöpfer des Deutschen Reiches und dessen letzter Repräsentant im Tode fast beieinander liegen. Karl Dönitz wurde am 16. September 1891 in Grünau bei Berlin geboren. Seit 1898 war der Vater bei der Firma Carl Zeiss in Jena tätig, und Karl besuchte bald das Realgymnasium in Weimar, wo er 1910 sein Abitur ablegte. Am 1. April des Jahres trat er als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein. Nachdem er die Ausbildung mit guten Noten abgeschlossen hatte, wurde er am 27. September 1913 zum Leutnant zur See befördert. Zu diesem Zeitpunkt tat er Dienst auf dem Kleinen Kreuzer „Breslau“, der sich bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Mittelmeer befand. Um den Kontakt mit den gegnerischen Seestreitkräften zu vermeiden, flüchtete man nach Konstantinopel, wo das Schiff unter dem Namen „Midilli“ der Marine des verbündeten Osmanischen Reiches unterstellt und im Schwarzen Meer eingesetzt wurde. 1916 meldete sich Dönitz zur jungen U-Boot-Waffe, im selben Jahr heiratete er Ingeborg Weber, Tochter des preußischen Generalmajors Erich Weber, der als Berater im Heer des osmanischen Sultans diente. Im Jahr darauf nahm Dönitz an einigen Feindfahrten auf U 39 teil, am 1. April 1918 wurde er selbst Kommandant eines U-Bootes. Kurz vor Ende des Krieges geriet er in britische Gefangenschaft, aus der er im Juli 1919 entlassen wurde. Nach Deutschland zurückgekehrt, erhielt Dönitz eine Anstellung in der neuen Reichsmarine der Weimarer Republik, in der er zunächst Kommandant verschiedener Torpedoboote war, bevor er die Admiralstabsausbildung absolvierte. Es folgten mehrere Kommandos an Land und auf See. 1934 wurde Dönitz Kommandant des Kreuzers „Emden“, mit dem er eine mehrwöchige Reise nach Südostasien unternahm. Zu seiner Überraschung erhielt er nach der Rückkehr vom Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral Erich Raeder, den Auftrag, eine neue deutsche U-Boot-Waffe zusammenzustellen. Die war Deutschland zwar durch das Versailler Diktat untersagt worden, aber Adolf Hitler setzte sich nun darüber hinweg. Dönitz wurde zunächst Chef der U-Boot-Flottille „Weddingen“, Keimzelle des neuen Waffensystems, und übernahm 1936 die Leitung der neugebildeten Dienststelle des Führers der Unterseeboote (FdU). Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Posten in „Befehlshaber der Unterseeboote“ (BdU) aufgewertet, was für Dönitz die Beförderung zum Konteradmiral mit sich brachte. Nachdem die Marine den Verlust einiger größerer Überwasserschiffe zu verzeichnen gehabt hatte, was Hitler der Seekriegsführung ihres Oberbefehlshabers, Großadmiral Raeder, anlastete, ernannte er im Januar 1943 Dönitz zu dessen Nachfolger, der sogleich zum Großadmiral ernannt wurde und damit den Dienstgrad des Generaladmirals übersprang. Die Stellung als BdU behielt er in Personalunion bei. Am Abend des 30. April 1945 erreichte den Großadmiral in seinem Hauptquartier in Plön, das er gerade bezogen hatte, die telegrafische Nachricht aus Berlin, dass Hitler, der „im Kampf um die Reichshauptstadt gefallen“ sei, ihn zuvor testamentarisch zu seinem Nachfolger als Reichspräsident ernannt hatte. Am Tag darauf wandte sich Dönitz in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk. Am 2. Mai stellte er in Plön und Eutin eine „Geschäftsführende Regierung“ zusammen, als deren „Leitender Minister“ der bisherige Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk fungierte, der angesichts der Umstände auf den Titel eines Reichskanzlers verzichtete und unter Beibehaltung des Finanzministeriums zugleich das Amt des Außenministers übernahm. Diese Regierung hielt ihre erste Sitzung am 3. Mai 1945 in Flensburg-Mürwik ab, das jetzt provisorische „Hauptstadt“ wurde. Bei seiner Nachfolgeregelung hatte Hitler gehofft, Dönitz werde den Kampf unvermindert fortsetzen. Doch einmal „im Besitz politischer Verantwortung“, hielt es der Großadmiral für seine Pflicht, den längst verlorenen Krieg bald zu beenden. Später bekannte er dazu: „Mein Regierungsprogramm war einfach. Es galt, soviel Menschenleben zu retten wie möglich.“ Sein Bestreben bestand folglich darin, unter Einsatz aller verfügbaren Schiffe möglichst viele Flüchtlinge über die Ostsee nach Westen zu evakuieren, um sie so dem Zugriff durch die Sowjets zu entziehen. Diesem Ziel, dem sich die Marine schon verpflichtet sah, nachdem die Rote Armee Ende Januar 1945 Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet abgeschnitten hatte, räumte Dönitz in den letzten Kriegstagen absoluten Vorrang ein, und der dabei erzielte Erfolg, auf den er zeitlebens stolz war, sollte im Nachhinein seine Pläne rechtfertigen. So wurden zwischen dem 23. Januar und dem 8. Mai 1945 durch Seetransporte auf 281 Kriegs- und 509 Handelsschiffen insgesamt 2.022.602 Menschen in Sicherheit gebracht. Damit gilt diese als die größte Rettungsaktion der Geschichte. Eine Teilkapitulation gegenüber den Westalliierten konnte Dönitz nicht erwirken. Deshalb fügte er sich schließlich in die bedingungslose Gesamtkapitulation aller deutschen Streitkräfte. Diese wurde am 7. Mai 1945 zunächst im Hauptquartier von General Dwight D. Eisenhower in Reims und in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai auf Wunsch Josef Stalins noch einmal im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst unterzeichnet. Die Geschäftsführende Reichsregierung blieb weiter im Amt, bis man sie am 23. Mai 1945 verhaftete. Aber das Kabinett wurde weder abgesetzt noch erklärten seine Mitglieder ihren Rücktritt, und der deutsche Staat bestand de jure fort. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Alliierten am 5. Juni 1945 offiziell die Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland proklamierten. Nach seiner Verhaftung wurde Dönitz in das Kriegsgefangenenlager Bad Mondorf in Luxemburg verbracht und im Oktober 1945 an den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Die Anklage wegen „Verschwörung zur Führung eines Angriffskrieges“ musste letztlich fallengelassen werden, da er zum Zeitpunkt der Planungen nicht in diese eingebunden war. Wegen der „Durchführung von Angriffskriegen“ wurde er am 1. Oktober 1946 allerdings zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Entlassung am 1. Oktober 1956 lebte der letzte deutsche Reichspräsident in Aumühle bei Hamburg. In den folgenden Jahren erschienen etliche Bücher und Schriften von ihm, auch gab er verschiedentlich Interviews, ansonsten aber hielt er sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben heraus. Im Ausland genoss Dönitz bis zum Lebensende hohes Ansehen. Insbesondere die ehemaligen Kriegsgegner der Royal Navy attestierten ihm bei Gastbesuchen stets, ehrenhaft gekämpft zu haben, und betonten, er sei „de jure und de facto unschuldig“. In Deutschland hingegen wurde Dönitz überwiegend kritisch gesehen, doch neben konservativen Marinekreisen waren es vor allem die Vertriebenen, die zu ihm standen, da er es vielen von ihnen ermöglicht hatte, aus den eingeschlossenen Ostprovinzen zu entkommen. Für sie blieb der Großadmiral deshalb auch ein Mann, „dem Ehrfurcht und Dank gebühren, weil er die eigene Person vorbehaltlos und schweigend dem Dienst an seinen Mitmenschen unterordnete“, wie es der damalige Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Joachim Freiherr von Braun, 1970 anlässlich des 25-jährigen Gedenkens an die in der Geschichte beispiellose Evakuierungsaktion formulierte. Fünf Jahre später verlieh ihm die Landsmannschaft dafür mit dem Preußenschild ihre höchste Auszeichnung. Am Heiligabend 1980 starb das letzte Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, und mit ihm wurde am 6. Januar 1981 zugleich der letzte Inhaber des einst höchsten deutschen militärischen Dienstgrades auf dem Waldfriedhof von Aumühle-Wohltorf beigesetzt. An der Trauerfeier in und außerhalb der Bismarck-Gedächtniskirche nahmen annähernd 6.000 Menschen teil, darunter viele ehemalige Marineoffiziere aus Großbritannien, Frankreich und Italien. Aber auch von deutscher Seite sah man neben prominenten Politikern und Veteranen der Wehrmacht hochrangige Angehörige der Bundeswehr, die jedoch in Zivil erscheinen mussten, da das Bundesverteidigungsministerium aktiven Soldaten und auch Reservisten das Tragen der Uniform untersagt hatte. Ebenso verwehrte die Bundesregierung dem Verstorbenen ein Staatsbegräbnis mit militärischen Ehren, das ihm aufgrund seines Dienstgrades sowie als Ritterkreuzträger zugestanden hätte. Es wirkte daher geradezu befremdlich, als Pfarrer Hans-Jochen Arp, der dem Großadmiral über viele Jahre verbunden war und ihn als gläubigen Christen und treues Gemeindemitglied bezeichnete, betonte, dass der Sarg auf ausdrücklichen Wunsch des Toten in die schwarz-rot-goldene Bundesflagge gehüllt sei, da sich Dönitz vorbehaltlos zur demokratischen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland bekannt habe. In den Ansprachen wurde der Verstorbene als „große
soldatische Führungspersönlichkeit“ gewürdigt, und der stellvertretende Sprecher
der Landsmannschaft Ostpreußen, Harry Poley, hob noch einmal das Verdienst bei der
Evakuierung von über zwei Millionen Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten als
„große soldatisch-humanitäre Tat“ hervor. Dönitz habe, so Poley, „mit seinem Leben
und Wirken Maßstäbe gesetzt. Sie behalten ihre Gültigkeit, auch wenn ein sogenannter
Zeitgeist sie vorübergehend außer Kraft zu setzen versucht.“ Schließlich wurde der
Sarg von sechs Ritterkreuzträgern zu Grabe getragen.
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