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Als Papenburg polnisch wurde Kaum bekannt ist, was von 1945 bis 1947 im Emsland geschah. Zehntausende Polen setzten sich dort fest, um quasi ein eigenes Staatswesen zu errichten. Sie benannten ganz Städte um und richteten sich dauerhaft ein. Erst als sich die Weltlage entscheidend änderte, bereitete die zuständige britische Militärverwaltung dem Spuk ein Ende. Sie waren eindeutig gekommen, um zu bleiben. Im Frühjahr 1945 teilte die britische Militärverwaltung der 1. Panzerdivision der Polnischen Streitkräfte im Westen (PSZ) ein eigenes Besatzungsgebiet zu. In einer 6.500 Quadratkilometer großen Region des Landkreises Emsland – Bereiche um Oldenburg und Leer zählten ebenfalls dazu – durfte die 16.000 Mann starke Truppe weitgehend selbstständig schalten und walten. Die Männer, die mit ihrer Division und 381 Panzern seit dem 18. April 1944 auf Seiten der Westalliierten gegen die Deutschen gefochten hatten, nutzten dies weidlich aus. Sie wurden, gelinde gesagt, zu ziemlich unbequemen Besatzern. Dies lag sicherlich auch an den nicht erst ab 1939 von Hass und Gewalt geprägten bilateralen Beziehungen zwischen Polens Zweiter Republik und dem Deutschen Reich. Der wichtigste Grund aber war Landhunger. Die Polnische Exilregierung mit Sitz in London stand hinter dem drastischen Vorgehen ihrer Landsleute. Während die angelsächsischen Staatsführungen und auch die sowjetische bemüht waren, ihre Landsleute in Deutschland – Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, KZ-Insassen oder andere Displaced Persons – möglichst ohne Verzug in die Heimat zurückzuführen, war das beim polnischen Führungspersonal anders. Sie wollten den verhassten Kommunisten im sowjetischen Polen möglichst wenig Landsleute überlassen und waren vielmehr bemüht, möglichst viele Polen im Einflussgebiet ihrer Besatzungstruppen in Deutschland zu sammeln. So wurden nicht nur Polen aus Deutschland, sondern sogar Polen aus Polen vom polnisch besetzten Emsland angezogen. Naheliegenderweise warf das die Frage der Unterbringung auf. Vorhandene Lager wurden umfunktioniert, neue Lager wurden errichtet. Vor allem aber wurde auch im tiefsten Westdeutschland die ostdeutsche Methode angewandt: Deutsche wurden rigoros aus ihrem Wohnraum vertrieben, um Polen Platz zu machen. Am 19. Mai 1945 wurden die Bewohner der Dörfer Tunxdorf und Bokel deportiert. In Tunxdorf wurden 589 Polen und in Bokel 533 Polen untergebracht. Den beiden Dörfern folgte mit Haren eine ganze Stadt. Am 20. Mai begann die Deportation der Bürger des Ortes. Mitgenommen werden durften nur Kleidung, Bettbezüge, Lebensmittel, Haustiere und Wertsachen. Die Deportierten wurden auf 30 emsländische Gemeinden zwischen Lingen und Papenburg verteilt. 3.500 Menschen aus 514 Häusern waren von dieser Vertreibung betroffen. Am 28. Mai war die Ersetzung der Bewohner Harens durch Polen abgeschlossen. Analog zu Ostdeutschland nahmen die Polen von ihrem neuen Ort vollends Besitz. Einen Monat nach dem Bevölkerungsaustausch stattete der Oberbefehlshaber der Polnischen Streitkräfte mit einer hochrangigen Delegation der 1. Panzerdivision und deren Besatzungsgebiet einen Besuch ab. Anlässlich dieses Besuches wurde Haren zu Ehren des vormaligen Kommandeurs der 1. Panzerdivision, General Stanislaw Maczek, in „Maczków“ umbenannt. Auch die Straßen von Haren wurden nun fleißig umbenannt. Nach Haren wurde ebenso in den Dörfern Spahn, Neuvrees, Westrhauderfehn und Ostrhauderfehn die Bevölkerung ausgetauscht. In Spahn wurden 870, in Neuvrees 1.470, in Westrhauderfehn 1.860 und in Ostrhauderfehn 1.070 Polen einquartiert. Teilweise vertrieben die Besatzer auch nur Teile der Bewohnerschaft. In dieser Weise wurde beispielsweise in Papenburg vorgegangen. Ein für die Besatzer interessantes „Experiment“ wurde im Straßendorf Völlen durchgeführt. Dort wurden die Bewohner der einen Straßenseite vertrieben und in den Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite einquartiert. Das hatte für die neuen polnischen Machthaber den Vorteil, dass die Arbeitsleistung der Vertriebenen kaum eingeschränkt wurde, da sie genauso gut wie vorher ihre Arbeitsplätze erreichen konnten. Die britische Militärverwaltung ließ den ihnen unterstellten polnischen Truppen dabei nicht nur freie Hand, sondern unterstützte sie sogar. Es war anfänglich das Ziel der 21. Armeegruppe, die geschätzten 400.000 polnischen Displaced Persons in der britischen Besatzungszone im Besatzungsgebiet der 1. Panzerdivision zusammenzuführen. Allerdings wurden bereits am 18. Juni die Nachteile bei einer Konferenz zusammengetragen: Das große Ausmaß der Evakuierungen von deutschen Orten und Dörfern werde das Wirtschftsleben der Region beeinträchtigen. Wenn sich erst einmal die Polen in einer Gegend niedergelassen hätten, werde es schwer sein, diese – falls später notwendig – wieder umzusiedeln. Es könnte möglicherweise notwendig sein, dass Weisungen der Militärregierung über deutsche Stellen an einen polnischen Bürgermeister weitergegeben werden müssen. Die Disziplin der polnischen Truppen könnte durch die große Anzahl an Displaced Persons beeinträchtigt werden. 400.000 Polen auf diese Weise anzusiedeln, würde einen großen und inakzeptablen Schaden an der deutschen Wirtschaft anrichten. Darüber hinaus würde dies viele Polen dazu verleiten, aus der US-Zone und anderen Gebieten in die britische Zone umzusiedeln, was das Problem nur erschweren würde. Zu derartigen Bedenken kam schließlich eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen. Der Stern der Exilregierung in London, ihrer Polnischen Streitkräfte und ihres sogenannten Miniaturstaates auf deutschem Boden sank in dem Maße, wie die Bereitschaft der britischen Regierung zunahm, die Kommunisten in Warschau statt der bürgerlichen Exilregierung in London als legitime Regierung Polens anzuerkennen. Naheliegenderweise war hierzu auch in Großbritannien die Linke eher bereit als die Rechte. Von daher stellte der Sieg von Labour über Winston Churchill bei den Unterhauswahlen vom 3. Juli 1945 einen Meilenstein in der Entwicklung dar. Die Auflösung der polnischen Enklave war ursächlich mit dem Verlust ihres militärischen Rückhalts verbunden, dem von den Briten erzwungenen Rückzug der 1. Panzerdivision aus dem Emsland. Nachdem in London die Grundsatzentscheidung gefallen war, nicht mehr die Polnischen Streitkräfte im Westen als Hilfstruppen – nun für den sich abzeichnenden Kalten Krieg – unterhalten zu wollen, wurde deren sozial abgefederte Demobilisierung organisiert. Wer nicht die Rückkehr nach Polen vorzog, konnte sich in einem zu diesem Zwecke neu errichteten Polnischen Schulungs- und Dislozierungskorps in Großbritannien zwei Jahre lang fit machen lassen für ein Leben als Zivilist im Empire. Die Vermittlung von Englischkenntnissen gehörte ebenso dazu wie eine Berufsausbildung. Am 22. Mai 1946 kündigte der britische Außenminister im Unterhaus die Errichtung des Polnischen Schulungs- und Dislozierungskorps an. Einen Monat später begannen die Vorbereitungen zum Abzug der Polnischen Streitkräfte im Westen aus Deutschland. Am 1. August begann die Entwaffnung der 1. Panzerdivision. Bis zum 15. Oktober hatte sie 288 „Sherman“-Panzer, 41 selbstfahrende Kanonen, 20 weitere Raupenfahrzeuge, 119 Transporter, sogenannte carriers, und Panzerspähwagen, sogenannte scoutcars, 133 Geschütze sowie 800 Tonnen Panzer-, Artillerie- und Mörsermunition abgegeben. Am 17. März 1947 begann der Abzug. Am 1. Mai beendete die 1. Panzerdivision offiziell den Besatzungsdienst in Deutschland. Am 29. Mai verließen mit dem 16. und letzten Transport die letzten Soldaten der 1. Panzerdivision das Emsland Richtung Großbritannien. Zurück blieb vorerst das sogenannte Polnische Abwicklungskommando „Deutschland“. Dieses Abwicklungskommando verließ dann wohl mit den letzten Soldaten der Polnischen Streitkräfte im Westen im Oktober 1947 das Emsland Richtung Großbritannien. Ähnlich wie bei der 1. Panzerdivision hatten es die Briten auch bei den polnischen Displaced Persons mit Polen zu tun, die wenig Anstalten zeigten, Deutschland freiwillig zu räumen. Die Briten sprachen von einem harten Kern (hard core), dem außer 80.000 Balten, 16.000 Jugoslawen, 14.000 Juden und 8.000 Ukrainern als mit Abstand stärkste Gruppe 100.000 bis 125.000 Polen angehörten. Im April 1946 konnten die deutschen Bauern wenigstens wieder in ihre Dörfer Tunxdorf und Spahn zurückkehren. Im September räumten die Polen die Mehrzahl der Gebäude des Dorfes Bokel, 1947 folgte der Rest. Die Räumung des Dorfes Neuvrees fand im Dezember 1946 statt. In Papenburg verließen die Polen im April 1946 die Siedlung Splitting II und im Juli 1947 die Siedlung Splitting I, so dass der Ort nun wieder ohne polnische Bevölkerung war. 1947 begann auch der Anfang vom Ende Maczkóws. Am 10. März 1947 wurden die Polen informiert, dass sie 65 Häuser ihren deutschen Eigentümern zurückzugeben hätten. Anschließend wurden nach und nach auch den deutschen Handwerkern und Unternehmern ihre Werk- und Produktionsstätten zurückgegeben. Die britische Besatzungsmacht hatte halt kein Interesse daran, dass die Wirtschaft der Zone kollabierte. Wie und wo die Deutschen wohnten, war dagegen nachrangig. Am 10. September 1948 verließen die letzten 32 polnischen Familien Haren. Die heimgekehrten deutschen Bürger reagierten mit einem Dankgottesdienst. Wer blieb von den einst rund 14.000 Mann der 1.
Division und den zeitweise rund 30.000 anderen Polen in dem Besatzungsgebiet?
Ihre Zahl wird auf höchstens 500 geschätzt. In der Regel waren sie durch einen
Lebenspartner oder einen früheren Dienst in der Wehrmacht mit Deutschland
verbunden. Angesichts der Erfahrungen, welche die Emsländer mit den Polen
gemacht hatten, waren sie gut beraten, sich dezent in die Gesellschaft zu
integrieren. Von daher verwundert es nicht, dass sie in der weiteren Entwicklung
des Emslandes nicht weiter auffällig geworden sind.
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