Brücke zwischen Reich und Exklave
Der 1920 eingerichtete Seedienst Ostpreußen umging den »polnischen Korridor« von Jan Heitmann
Für die Gründung einer Schifffahrtslinie gibt es
gemeinhin wirtschaftliche Gründe. Bei dem am 29. Januar 1920 ins Leben gerufenen
Seedienst Ostpreußen waren dagegen politische Erwägungen ausschlaggebend. Die
„weiße Brücke über die Ostsee“ warf kaum Gewinn ab und florierte doch fast 20
Jahre lang.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Ostpreußen
infolge des Versailler Vertrages durch den „polnischen Korridor“, der Polen
einen Zugang zum Meer verschaffte, vom Restreich getrennt. Der Verkehr zu Lande
zwischen dem Deutschen Reich und seiner Exklave war in beiden Richtungen mit
erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden, da er über polnisches Territorium
verlief. Der Bahnverkehr durch den Korridor musste in verplombten Zügen
erfolgen, bei denen teilweise sogar die Fenster verhängt wurden. Im
Straßenverkehr mussten sich die Reisenden schikanösen Kontrollen und
Behinderungen durch die polnischen Behörden unterwerfen. Auch der Güter- und
Posttransport wurde von polnischer Seite immer wieder behindert. Flugzeuge, die
von und nach Ostpreußen flogen, wurden wiederholt von Polen beschossen. Ein
gesicherter Verkehr zwischen Ostpreußen und dem Kernland des Deutschen Reiches
war damit nur auf dem Seeweg möglich.
Um die Exklave Ostpreußen verkehrsmäßig besser an
das Mutterland anzubinden, den Reisenden den beschwerlichen Landweg durch den
Korridor zu ersparen und die Versorgung der Provinz sicherzustellen, richtete
das Reichsverkehrsministerium den Seedienst Ostpreußen ein, der zunächst die
Häfen Pillau und Zoppot mit den Häfen in Pommern verband. Anfänglich verfügte
der Seedienst Ostpreußen über keine eigenen Schiffe. Vielmehr wurde die Linie im
Charterbetrieb von privaten Reedereien bedient. Bereits am 31. Januar 1920 lief
die „Hansa“ der Hapag von Swinemünde nach Pillau aus. Bald darauf setzte die
Reederei auch das Dampfschiff „Helgoland“ auf der Strecke ein, die in 15 Stunden
zurückgelegt wurde. Die Stettiner Dampfschiff-Gesellschaft J.F. Braeunlich
beteiligte sich mit der „Odin“, und der Bremer Norddeutsche Lloyd entsandte
seinen Tender „Grüßgott“ in die Ostsee. Zunächst verpflichteten sich die Hapag
und Braeunlich zu vier wöchentlichen Fahrten. Doch schon bald sah der
Sommerfahrplan gegen die Garantie einer Mindestfahrgastzahl tägliche Fahrten
vor. Im Winter gab es wöchentlich vier bis fünf Fahrten zwischen Swinemünde und
Pillau beziehungsweise Zoppot.
Der Seedienst
Ostpreußen: Eine „politische Schifffahrtslinie,
die nie Gewinn erzielte und doch florierte“ (Kurt Gerdau) - Bild: Wikipedia
Nachdem die neue Verbindung von den Reisenden
angenommen worden war, beteiligten sich auch das Königsberger Eisenbahn- und
Schifffahrtsunternehmen Erich Haslinger, die Stettiner Reederei Gribel und die
Reederei Meyhoefer aus Königsberg an dem Liniendienst. Im Jahre 1927 wurde die
Strecke bis Elbing und Memel, 1930 bis Tilsit und Libau verlängert. Ab 1933
führte der Verkehr in der westlichen Ostsee weiter nach Warnemünde,
Lübeck-Travemünde und Kiel und sogar bis Helsinki (schwedisch: Helsingfors).
Schon nach wenigen Jahren zeigte es sich, dass
die anfangs eingesetzten kleinen Schiffe dem Passagieraufkommen und auch den
Ansprüchen an Komfort und Reisezeit nicht mehr gewachsen waren. So erhielt der
Seedienst Ostpreußen im Jahre 1926 erstmals auch eigene Schiffe. Das
Reichsverkehrsministerium kaufte die Passagierschiffe „Preußen“ und „Hansestadt
Danzig“ und ließ sie durch die Reederei Braeunlich und den Norddeutschen Lloyd
bereedern. Die beiden Neubauten waren mit über 2200 Bruttoregistertonnen gleich
groß und konnten etwa 1400 Passagiere aufnehmen, für die über 1100 Kabinenplätze
vorhanden waren. In der Hafffahrt konnten sie sogar knapp über 2000 Fahrgäste
aufnehmen. Außerdem verfügten beide Schiffe über Einrichtungen zum Güter- und
Pkw-Transport. Im Jahre 1935 kam mit der 5504 Bruttoregistertonnen großen
„Tannenberg“ das neue Flaggschiff hinzu, das von der Hapag betrieben wurde und
2000 Passagiere befördern konnte.
Die schneeweißen Schiffe mit dem markanten
Schriftzug am Rumpf erfreuten sich beim Publikum großer Beliebtheit. Sie dienten
nicht nur dem Linienverkehr zwischen Ostpreußen und dem Mutterland, sondern
wurden auch für Ausflugs- und Vergnügungsfahrten genutzt.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendete das
kurze, aber erfolgreiche Dasein des Seedienstes Ostpreußen. Durch den Wegfall
des Korridors war der Landweg nach Westen wieder frei, so dass eine sichere
Seeverbindung von Ostpreußen nach der westlichen Ostsee nicht mehr erforderlich
war. Der Linienverkehr wurde deutlich reduziert und 1944 endgültig eingestellt.
Die „Preußen“, die „Hansestadt Danzig“ und die „Tannenberg“ wurden von der
Kriegsmarine vereinnahmt und zu Hilfsminenschiffen umgerüstet. Am 9. Juli 1941
gerieten die drei Schiffe östlich der Südspitze von Öland in eine schwedische
Minensperre und sanken. Die anderen Schiffe des Seedienstes Ostpreußen traten
wieder zu den Reedereiflotten und wurden in anderen Bereichen eingesetzt. Einige
von ihnen kamen ebenfalls zur „grauen Dampferkompanie“ und gingen in den Wirren
des Krieges verloren. Die letzten beteiligten sich in der Endphase des Krieges
an der Evakuierung der von der Roten Armee bedrohten Provinzen. Die Menschen,
die nur wenige Jahre zuvor glückliche Stunden an Bord verlebt hatten, strebten
jetzt auf den Schiffen in Todesangst nach Westen. Von sowjetischen Bomben in den
Häfen zerschlagen oder von Torpedos auf See versenkt, hat letztendlich kaum
eines der Fahrzeuge des Seedienstes Ostpreußen den Krieg überstanden.
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