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Rassismus Ein Gründungsmythos der Bundesrepublik wankt: Die schnelle Integration der Flüchtlinge nach 1945 wird in einem neuen Buch in Frage gestellt. Viele Vertriebene mussten demnach im Westen mit wüsten Anfeindungen und Rassismus leben. Zusätzliches Konfliktpotenzial ergab sich aus den extrem unterschiedlichen Kriegserfahrungen.
Ganz und gar unchristlich wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im pietistischen Schwaben gebetet: „Herrgott im Himmel, sieh unsere Not / wir Bauern haben kein Fett und kein Brot / Flüchtlinge fressen sich dick und fett / und stehlen uns unser letztes Bett / Wir verhungern und leiden große Pein / Herrgott, schick das Gesindel heim“. Dieses Schmähgebet kursierte 1946/47 in Waiblingen und Aalen.
Es ist nicht einmal das drastischste Zeugnis für den Hass, mit dem Einheimische auf den Zustrom von Millionen Vertriebenen aus ehemals deutschen Gebieten Ostmitteleuropas reagierten. Der südschleswigsche Schriftsteller Tage Mortensen veröffentlichte 1946 eine Broschüre über die Vertriebenen, die er hämisch „Hitlers Gäste“ nannte: „Sowohl rassenmäßig als auch in kultureller und geistiger Hinsicht sind die Flüchtlinge artfremd in Südschleswig.
Den größten Teil bilden Ostpreußen von slawisch-germanischer Blutmischung, deren Mentalität die Grundlage für die gesamte deutsche Eroberungspolitik von Friedrich dem Großen bis zu Hitler ist.“ Noch tiefer ins Repertoire der erst so kurz vergangenen NS-Zeit griff der Inhaber des Weingutes Weil in Kiedrich am Rhein. Er wurde zu 1000 Mark Strafe verurteilt, weil er im Ärger gesagt hatte: „Ihr Flüchtlinge gehört alle nach Auschwitz in den Kasten!“
Nur drei von vielen Beispielen für den Rassismus, mit dem westdeutsche Einheimische vornehmlich auf dem Land auf den erzwungenen Zuzug von ebenfalls deutschen und gleichwohl fremden Menschen reagierten. Zusätzliches Konfliktpotenzial ergab sich aus den extrem unterschiedlichen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen der beiden Gruppen: „Die Leute, die am meisten verloren haben, sind jetzt in den engsten Kontakt gekommen mit den Bauern, die am wenigsten verloren haben“, stellte der US-Agrarökonom Philipp M. Raup schon im Oktober 1946 fest. Die gelungene Integration der Vertriebenen gab es nie Dennoch gehört die „erfolgreiche Integration“ von annähernd zehn Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen in die bundesdeutsche Gesellschaft zu den geläufigen Gründungsmythen der Bundesrepublik. Sie begegnet in Schulbüchern und Festschriften und in feierlichen Akten.
Selten nur kratzen Politiker öffentlich am schönen Schein dieses Erfolges – zum Beispiel Bundespräsident Johannes Rau in seiner „Berliner Rede“ im Juli 2000: „Diese letztlich erfolgreiche Integration war am Anfang alles andere als leicht, obwohl Deutsche nach Deutschland kamen. Viele werden nicht vergessen, auf wie viel Ablehnung sie nicht nur in Dörfern und Kleinstädten gestoßen sind – obwohl sie schwerstes Leid getragen hatten, obwohl sie dieselbe deutsche Sprache sprachen, obwohl sie zur gleichen Kultur gehörten, oft sogar zur selben Konfession wie ihre neuen Mitbürger.“ Resonanz fanden diese Bemerkungen kaum – und wenn, ging sie unter in der Zustimmung zu Raus Worten über aktuelle Probleme der Integration von Zuwanderern.
„Kalte Heimat“ hat der Historiker Andreas Kossert sein neues Buch genannt, das der Geschichte der deutschen Vertriebenen nach ihrer Ankunft in Westdeutschland und – das aber mehr am Rande – in der späteren DDR nachgeht. Der stellvertretende Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau ist nicht nur ein Kenner der ehemals deutschen Gebiete in Ostmitteleuropa, wie er mit Büchern über Masuren und Ostpreußen gezeigt hat. Er scheut sich zudem nicht, Legenden zu widerlegen und Zeitzeugen wie Nachkommen den Spiegel vorzuhalten. Nun gibt es keinen Mangel an wissenschaftlicher Literatur über die Vertreibungen – dafür sorgt allein schon die Verpflichtung in Paragraf 96 des Bundesvertriebenengesetzes: „Bund und Länder haben das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten.“ Auch die viel beachtete Ausstellung „Flucht – Vertreibung – Integration“ des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik, die ein großer Publikumserfolg war, verschwieg die Probleme bei der Aufnahme der Vertriebenen keineswegs. Kosserts Leistung ist jedoch, die häufig verstreuten Ergebnisse der Fachliteratur gebündelt und in eine lesbare Form gebracht zu haben. Dabei spart er nicht mit begründeten, bisweilen auch drastischen Urteilen: „Wie zuvor gegen Juden und Slawen, die angeblich die eigene Rasse und das Volkstum gefährdeten, wurde nun gegen Ostdeutsche, insbesondere Ostpreußen, gehetzt.“ Auf dem Lande lösten die Flüchtlinge, so stellt der Autor fest, oft nur die bis Frühjahr 1945 allgegenwärtigen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen als Hilfskräfte ab. Der Lastenausgleich war in Wahrheit eine haarsträubende Ungerechtigkeit Einer der zentralen Streitpunkte in den fünfziger und sechziger Jahren war der von der Bundesregierung angestrebte Lastenausgleich, die „größte sozialpolitische Transferleistung vor der Wiedervereinigung“. Jene Deutschen, denen trotz des Krieges erhebliches Vermögen verblieben war, hatten in 120 vierteljährlichen Raten die Hälfte dieses Vermögens abzugeben zugunsten jener, die durch Vertreibung ihr Eigentum verloren hatten. Auf den ersten Blick eine sehr großzügige Regelung, die jedoch von den Nutznießern als ungerecht wahrgenommen wurde – „Lasst den Ausgleich!“, war ein geläufiger Spott über das Lastenausgleichsgesetz von 1952. Tatsächlich war die Ausschüttung vielfach gering – weil der Wert von 1948 zur Grundlage der Berechnungen genommen wurde und weil sich dadurch vor allem für großen ehemaligen Grundbesitz ein sehr schlechtes Verhältnis von Entschädigung zu Verlust ergab – zum Beispiel 91 Mark für einen Hektar verlorenen Grund im Osten. Kossert formuliert das prägnant: „Für ein Rittergut einen Bauplatz.“ Für die zum Lastenausgleich verpflichteten Westdeutschen war die Belastung gering, denn dank der brummenden Konjunktur konnte die auf drei Jahrzehnte gespreizte Abgabe meist aus den Erträgen bezahlt werden statt aus der Substanz. Bei aller wissenschaftlichen Distanz blickt Andreas Kossert stets mit Sympathie auf die Vertriebenen, die für ihn unzweifelhaft Opfer sind. Sein Buch belegt mit ungezählten Beispielen, wie wichtig ihr Beitrag für die Modernisierung der Bundesrepublik war. Gerade auf dem Land leisteten sie einen „substanziellen Beitrag zur Entprovinzialisierung, Säkularisierung und Urbanisierung Deutschlands“. Den unwillkommenen Zuwanderern verdankt die Bundesrepublik einen wesentlichen Teil jener Modernisierung, auf die heute jeder Deutsche stolz sein kann und sein sollte. Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen
nach 1945. Siedler Verlag, München. 431 S., 24,95 Euro.
Konrad Adenauer im
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