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Willkürakt der Sieger Der 25. Februar sollte gleich zweimal zum Schwarzen Tag in der Geschichte Preußens geraten. Zunächst starb dessen erster König Friedrich I. am 25. Februar 1713. Dann endete am 25. Februar 1947, also vor 70 Jahren, die Existenz des preußischen Staates durch das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrates. Am 5. Juni 1945 verkündeten die vier Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion, dass die oberste Regierungsgewalt in Deutschland nun bei ihnen liege und künftig von einem Alliierten Kontrollrat ausgeübt werde. Der hatte seinen Sitz im früheren Gebäude des Preußischen Kammergerichts am Kleistpark in Berlin-Schöneberg, das jetzt das Berliner Kammergericht beherbergt. Und dort unterzeichneten die Generalleutnante Lucius D. Clay und Brian Hubert Robertson sowie Armeegeneral Marie-Pierre Kœnig und Marschall der Sowjetunion Wassilij Sokolowskij dann auch das Gesetz Nr. 46, bei dem es sich um die letzte politisch bedeutsame Entscheidung des gemeinsamen Herrschaftsinstruments der Besatzer handelte, bevor dieses dem beginnenden Kalten Krieg zum Opfer fiel. Der Artikel I des Dekrets lautete: „Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“ Außerdem legte Artikel II fest: „Die Gebiete, die ein Teil des Staates Preußen waren und die gegenwärtig der Oberhoheit des Kontrollrats unterstehen, sollen die Rechtsstellung von Ländern erhalten oder Ländern einverleibt werden.“ Damit knüpfte das Gesetz an frühere Festlegungen wie die Proklamation Nr. 2 des US-Oberkommandierenden Dwight D. Eisenhower vom 19. September 1945 und die britische Verordnung Nr. 46 vom 23. August 1946 an. In denen hatten die Alliierten unter anderem die Etablierung der „Verwaltungsgebiete“ Groß-Hessen, Württemberg-Baden und Bayern in der US-amerikanischen Zone sowie die „Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbstständige Länder“ befohlen. Nach Verabschiedung des Gesetzes Nr. 46 kam es zu recht unterschiedlichen Reaktionen. Auf der einen Seite verkündete „Die Welt“ in ihrer Ausgabe vom 8. März 1947 stellvertretend für alle schadenfrohen deutschen Preußengegner: „Am 25. Februar 1947 ist dem preußischen Staat … der amtliche Totenschein ausgestellt worden. Dies ist nur die juristische Bestätigung eines Tatbestandes, der Tod selbst ist schon früher eingetreten. Diese sang- und klanglose Beerdigung hat ironischen Stil; Preußen wird so nebenbei verscharrt, sozusagen in einem Massengrab.“ Andererseits schockierte der Erlass viele Patrioten aufs Tiefste. In einem traf die „Welt“ allerdings den Nagel auf den Kopf: Preußen hatte bereits seit Längerem gravierende Erosionsprozesse durchlaufen – beginnend 1871 mit der Reichseinigung, durch die es den Status einer eigenständigen Kontinentalmacht verlor. 1918 beendete die Novemberrevolution seine Existenz als von den Hohenzollern regiertes Königreich. Im Zuge der Abwehr kommunistischer Umsturzbestrebungen untergrub Reichskanzler Franz von Papen 1932 mit dem sogenannten Preußenschlag die Souveränität des größten Landes im Verband des Deutschen Reiches, indem er es unter seine Aufsicht stellte. Die Nationalsozialisten taten mit ihrem Zentralismus das Ihrige. Zu nennen sind hier das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder aus dem Jahr der „Machtergreifung“ und das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches aus dem Folgejahr. Mit Letzterem gingen die preußischen Hoheitsrechte komplett auf das Reich über. Das bedeutete zwar keineswegs schon die völlige Auslöschung Preußens, doch besaß es von da an nur noch den Status eines Rechtssubjekts ohne typische Merkmale von Eigenstaatlichkeit. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Adolf Hitler von 1944 wurde der preußische Adel stark dezimiert. Weiterhin erfolgte nach Kriegsende die Vertreibung oder gar Ermordung der angestammten Bevölkerung aus den preußischen Gebieten Schlesien, Hinterpommern, Ostbrandenburg, Posen-Westpreußen und Ostpreußen, die unter polnische oder sowjetische Verwaltung gestellt wurden. Als Begründung für den historisch beispiellosen Schritt der kompletten Eliminierung eines derart bedeutenden Staates im Herzen Europas gaben die vier Siegermächte in der Präambel ihres Gesetzes Nr. 46 an, dass „Preußen … seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen“ sei. Deshalb müsse es im „Interesse … der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker“ sowie auch der „weiteren Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage“ für immer verschwinden. Das war freilich gleich in doppelter Hinsicht gelogen. Zum einen hatte Preußen im Laufe seiner Geschichte deutlich weniger Kriege angezettelt als jede der vier Mächte, die nun als Ankläger auftraten. Zum anderen gehörte das Königreich spätestens seit der Zeit Friedrichs des Großen zu den modernsten und zivilisiertesten Staaten der Welt, sowohl was den Umgang mit den eigenen Untertanen als auch das Agieren auf internationaler Bühne betraf. Die wahren Motive der Alliierten lagen demzufolge anders. Zu deren Verständnis genügt ein Blick auf die politische Landkarte des Jahres 1947: Das verbliebene preußische Staatsgebiet erstreckte sich immer noch über alle vier Besatzungszonen, was einer Teilung Deutschlands in zwei Staaten, wie sie mit Beginn des Kalten Krieges den Siegermächten die beste Option zu sein schien, im Wege stand. Darüber hinaus wollten die Siegermächte den niedergerungenen Gegner für alle Zeiten zersplittert und politisch schwach halten – das war der zweite Grund, warum das wirtschaftlich potente und geografisch weit ausgreifende Preußen, das einstmals drei Fünftel des deutschen Territoriums eingenommen hatte, nicht weiter existieren durfte. Deshalb waren in den westlichen Besatzungszonen sofort neue Verwaltungseinheiten auf preußischem Territorium gebildet worden. Und die Sowjetunion verfuhr ganz ähnlich, indem sie das preußische Brandenburg in ein Land verwandelte, das preußische Vorpommern Mecklenburg zuschlug und das preußische Sachsen mit Anhalt zu Sachsen-Anhalt vereinte. Bei der Auflösung Preußens ging es nicht um die endgültige Vernichtung des „aggressiven preußischen Militarismus“, sondern um Machtpolitik, die sich gegen Deutschland richtete und auch gegen den jeweiligen Kontrahenten im aufkommenden Ost-West-Konflikt, der keinesfalls die Kontrolle über den kompletten Rest des Deutschen Reiches erlangen sollte. Gesetz Nr. 46: Auflösung des Staates Preußen Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erläßt der Kontrollrat das folgende Gesetz: Artikel I Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst. Artikel II Artikel III Artikel IV |