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Bundesverfassungsgericht KARLSRUHE. Die Kritik der Bundeszentrale für politische Bildung an einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Antisemitismus während der Zeit des Nationalsozialismus war verfassungswidrig. Laut einer am Dienstag bekanntgewordenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wurde die Bundeszentrale „ihrer Aufgabe, die Bürger mit Informationen zu versorgen und dabei Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren, nicht gerecht“ und verletzte den Autor durch die scharfe Kritik in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Hintergrund ist der Fall des emeritierten Münchner Politikwissenschaftlers Konrad Löw. Dieser hatte 2004 in einem Aufsatz für die im Auftrag der Bundeszentrale vom Bertelsmann Verlag herausgegebenen Zeitschrift Deutschland Archiv geschrieben, die Mehrheit der Deutschen sei während der Zeit des Nationalsozialismus nicht antisemitisch eingestellt gewesen, sondern habe durchaus mit den verfolgten Juden sympathisiert. In diesem Zusammenhang sprach Löw unter anderem von einer „deutsch-jüdischen Symbiose unter dem Hakenkreuz“. Gefahr einer „erheblichen Stigmatisierung“ Nach Erscheinen des Artikels bedauerte die Bundeszentrale in einem Schreiben an die Abonnenten der Zeitschrift die Veröffentlichung „außerordentlich“. Dieser habe ihre eigene Arbeit „desavouiert“. Es handle sich um einen „einmaligen Vorgang“, der sich nicht wiederholen werde. Die übrigen Exemplare der Zeitschrift werde man einstampfen. Das Schreiben endet mit einer Entschuldigung gegenüber allen Lesern, „welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen“. Löw klagte gegen die seiner Ansicht nach rufschädigenden und herabsetzenden Äußerungen und bekam nun vor dem Bundesverfassungsgericht recht. Er werde als Autor eines Aufsatzes dargestellt, der nicht mehr diskursiv erörtert werden könne, urteilten die Richter. Vor dem Hintergrund des sensiblen Themas Antisemitismus könne dies „eine erhebliche Stigmatisierung“ mit sich bringen. Zwar habe die Bundeszentrale das Recht, sich von Beiträgen, die extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren, hierbei müsse sie aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz wahren. Von vornherein ausgeschlossen seien Äußerungen, die alleine dem Zweck dienten, „eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der Bundeszentrale für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen“, heißt es in der Entscheidung. „Sieg für die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit“ Löw bezeichnete das Urteil gegenüber der JUNGEN FREIHEIT als „Sieg für die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit“. Schließlich gehe es darum, die Geschichte wirklichkeitsgetreu aufarbeiten zu können und nicht politische Zielvorgaben erfüllen zu müssen. Vor allem aber dürften Wissenschaftler, die eine andere Auffassung vertreten als die Bundeszentrale, nicht einfach mundtot gemacht werden. Der Schaden, der ihm hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Reputation dadurch entstanden sei, könne nicht wieder vollständig wettgemacht werden, kritisierte Löw. Daran ändere auch das jetzige Urteil nichts. Ihm sei es allerdings mit seiner Klage auch um ein grundsätzliches Anliegen gegangen: Wenn die Bundeszentrale behaupte, die Mehrheit der Deutschen hätte von der Verfolgung der Juden nicht nur gewußt, sondern diese auch noch begeistert unterstützt, verletze sie diese in ihrer Würde, sagte Löw. Wenn die Einrichtung dann auch noch die für ihre Behauptungen notwendigen Beweise schuldig bleibe, so dürfe man das nicht einfach hinnehmen. (krk) Von Konrad Löw erscheint Ende Oktober im Olzog-Verlag das Buch „Deutsche Schuld 1939 – 1945? Die ignorierten Antworten der Zeitzeugen“. |