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»Büchse der Pandora« offen Überraschend hat sich das EU-Parlament erneut mit den tschechoslowakischen Benesch-Dekreten der Jahre 1944 bis 1946 befasst und dabei viel Kritik daran erkennen lassen. Auf der Grundlage dieser Dekrete wurden nicht nur die 3,2 Millionen Sudetendeutschen enteignet und vertrieben. Auch die Karpatendeutschen und die Ungarn in der Slowakei sowie kleinere Gruppen von Kroaten, Liechtensteinern, Schweizern, „illoyalen“ Tschechen und Slowaken und sogar Juden wurden auf der Basis dieser Dekrete entrechtet. Die Vielzahl der Opfergruppen war es letztlich, die bewirkt hat, dass die Dekrete erneut Gegenstand für die EU geworden sind. Die evident menschenrechtswidrigen Dekrete wurden nämlich im September 2007 vom slowakischen Parlament in einer Resolution gleichsam neu ratifiziert und für „unantastbar“ erklärt. Diese Resolution kann man wohl als politisches Eigentor betrachten, denn die Slowakei war damals bereits Mitglied der EU. Auch das tschechische Parlament hat die Dekrete bestätigt, in Prag war man aber klug genug, dies noch vor dem Beitritt zur EU zu tun. Damit vermied man es, die – sehr fragwürdige – Theorie Brüssels Lügen zu strafen, das Unrecht der Dekrete sei ein abgeschlossener Vorgang und nicht an der Latte des EU-Rechts zu messen. Die Pressburger Bestätigung der Dekrete von 2007 hingegen fällt räumlich und zeitlich so offenkundig in die Sphäre der EU, dass der Petitionsausschuss die Beschwerde zweier Ungarn, die sich durch diesen Beschluss diskriminiert fühlen, zur Beratung annahm und am 20. September beschloss, sich im Sinne der Antragsteller mit der Sache zu befassen. Konkret verlangt der Ausschuss, slowakische Delegierte sollten die Begleitumstände der Resolution von 2007 erklären. Der Verlauf der öffentlichen Ausschussberatung ließ erkennen, dass das Ergebnis völlig offen war. Eine der Petenten hatte fünf Minuten, ihr Anliegen zu erläutern. Ein Vertreter der EU-Kommission wiederholte dann deren alte Position, die Dekrete seien „historische Akte“, die mit dem EU-Recht nicht in Verbindung stünden. Die Ausschussmitglieder überzeugte das nicht. Geschickt argumentierten die ungarischen Abgeordneten, es gehe eher um den diskriminierenden Charakter der Resolution von 2007 als um das Unrecht von 1945. Zwei deutsche Abgeordnete, Peter Jahr (CDU) und – ziemlich gewunden – sogar ein bayerischer Grüner, redeten ähnlich. Ein Rumäne warnte dagegen gleich zweimal, „die Büchse der Pandora wieder zu öffnen“. Er konnte sich nicht durchsetzen. An der Sitzung nahmen an die 100 Personen teil,
überwiegend Abgeordnete und ihre Mitarbeiter sowie Beobachter. Zu diesen
gehörten drei Sudetendeutsche, darunter ein Vertreter der Zeitung „Sudetenpost“
in Linz. Die Spitze der Sudetendeutschen Landsmannschaft um den
Europaabgeordneten Bernd Posselt, der es 1999 sogar geschafft hatte, dass das
EU-Parlament in einer Resolution die Aufhebung der Dekrete forderte, hat sich im
Vorfeld der Sitzung hingegen nicht geäußert. Übrigens erfüllt die
Ausschuss-Entscheidung eine Entschließung der Ostpreußischen Landesvertretung.
Diese hatte 2009 verlangt, Brüssel solle sich erneut mit den
Benesch-Dekreten
befassen. - K.B.
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