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Die Aufrechnung als tragendes Element Ende August hat die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ihr Konzept für die im Berliner Deutschlandhaus geplante Dauerausstellung über Vertreibungen in Europa veröffentlicht (JF 37/12). Sowohl im In- als auch im Ausland stieß das Papier bislang weitgehend auf Zustimmung. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien zu Unrecht. Das Stiftungsgesetz der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung schreibt vor, das Gedenken an Flucht und Vertreibung im Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik im Geiste der Versöhnung wachzuhalten. Ein tragendes Element des Papiers ist deshalb die Aufrechnung. Wiederholt werden nationalsozialistische Verbrechen hervorgehoben und in Beziehung zur späteren Vertreibung gesetzt. Selbst schuld, könnte man schlußfolgern. Die Vertreibung soll eine Kriegsfolge sein, so als ob es schon immer so gewesen wäre, nach einem Krieg große Volksteile des Verlierers zu vertreiben oder umzubringen, sozusagen als Strafe. Das Denkmodell der gerechten Strafe ist korrupt, stellte der SPD-Politiker Peter Glotz, der die Idee eines Gedenk- und Dokumentationszentrums für die deutschen Vertriebenen maßgeblich mit gefördert hat, 2001 fest. Kein Verbrechen rechtfertigt ein nachfolgendes Verbrechen. Die stereotype Formel von Ursache und Wirkung soll ablenken von einer objektiven Einordnung des Geschehens. Was will man den vertriebenen Finnen, den Ungarn, den Italienern, den baltischen Völkern, den Ukrainern oder den Polen vorwerfen? Hatten sie alle Strafe verdient? Etwa auch die vom NS-Regime verfolgten Juden, die von Polen ebenso entrechtet wurden? Nationalismus und Rassismus waren immer die Triebfedern für Vertreibungen, übrigens auch auf dem Balkan in den neunziger Jahren. Krieg schafft lediglich die Möglichkeit, solche Pläne umzusetzen. Die staatlichen Vorgaben für die geplante Ausstellung kollidieren mit geschichtlichen Tatsachen, sie werden deshalb verfälscht, auch das Beschweigen als probates Mittel der Geschichtsfälschung findet Anwendung. Dem Potsdamer Protokoll von 1945 wird Rechtsqualität für die Vertreibung zugesprochen. Drei Staatsmänner bestimmten danach, was als Völkerrecht zu gelten habe, während sie selbst NS-Größen in Nürnberg wegen Vertreibungsverbrechen anklagten. Daß das westlich der Oder gelegene Stettin nebst Hinterland nach Potsdam nicht zum Vertreibungsgebiet gehörte, wird der Einfachheit halber übergangen. Wieso wurden die Menschen auch aus diesem Gebiet vertrieben? Das Wort Vertreibung wird von den Autoren sowieso gescheut. Danach gab es bei Deutschen nur Zwangsmigration oder Zwangsaussiedlung. Man will den Siegern kein Vertreibungsverbrechen vorwerfen. Zuhauf finden sich im Konzept Falschdarstellungen, man findet Leerstellen, wenn es um die Schonung der Vertreiber geht. Es wird von einem Abstimmungsgebiet Oberschlesien gesprochen, ohne zu erwähnen, daß 1921 in dreieinhalb Landkreisen nicht abgestimmt wurde. Die Zahl der Deutschen im 1919 neu erstandenen Polen soll 1,2 Millionen betragen haben, 2,3 Millionen waren es tatsächlich. Eine Million von ihnen floh bis 1939 nach Deutschland, ebenso wie viele tausend polnische Juden. Von Ausweisungen ist keine Rede. In polnischen und tschechischen Zwangsarbeiterlagern wurden Deutsche schwer mißhandelt, lautet die bagatellisierende Aussage. Daß viele Zehntausende unschuldige Deutsche, vor allem Frauen, aber auch viele Kinder, dort den Tod fanden, erfährt man nicht. Wer gibt den ermordeten Kindern eine Stimme? Obwohl für die Stimmung in Deutschland damals bedeutsam, wird der Mantel des Schweigens über die polnischen Aggressionen gegen vier Nachbarstaaten in der Zeit zwischen 1920 und 1938 gelegt. Zu nennen sind die Überfälle auf die Sowjetunion und Litauen 1920, die zu einer gewaltigen Gebietserweiterung führten (sogenanntes Ostpolen). Der blutige Einmarsch in das deutsche Oberschlesien 1921 und in das tschechische Olsa-Gebiet 1938 fehlen. Unanständig ist das Herunterrechnen der Vertreibungstoten. Die durch das Bundesarchiv festgestellten 2,2 Millionen sollen plötzlich nur rund 600.000 gewesen sein. Dagegen sollen dem deutschen Besatzungsterror bis zu sechs Millionen Polen zum Opfer gefallen sein (unter ihnen drei Millionen polnische Juden). Polen errechnete selbst 5,7 Millionen, wozu auch Hunderttausende den Sowjets anzulasten sind. Von Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern wird berichtet. Was hat das mit der Vertreibung zu tun? Ein Massensterben deutscher Gefangener in sowjetischen Lagern hat es wohl nicht gegeben? Das Leid der Vertriebenen, das an ihnen begangene Unrecht, sollten in der Ausstellung im Mittelpunkt stehen. Dies ist im Konzept nicht der Fall. Wie aus der Regierung zu vernehmen war, mußte zwischen unterschiedlichen Meinungen von Wissenschaftlern ein Konsens hergestellt werden, damit die Konzeption auch im Ausland Zustimmung findet. Dabei geht es nicht um Meinungen, sondern um feststehende geschichtliche Tatsachen. Wie sagte Bundespräsident Roman Herzog 1994: „Gute Nachbarschaft kann nur wachsen, wenn unsere Völker sich mit dem Grauen ihrer jüngsten Geschichte mit dem Mut zur vollen Wahrheit stellen. Nichts hinzufügen, aber auch nichts weglassen, nichts verschweigen und nichts aufrechnen.“ Schon die herausgegriffenen Beispiele zeigen, daß die Wegweisung Herzogs in der Konzeption nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Kann die Diskussion jetzt abgeschlossen sein, wie von den Initiatoren beabsichtigt? Das weichgespülte Papier mag den Kritikern der Ausstellung gefallen. Proteste, wie im Vorfeld der Besetzung der Gremien der Stiftung, waren deshalb weder im Inland noch aus Polen oder Tschechien zu hören. Die gravierenden Mängel der Konzeption, verbunden mit der Mißachtung der Würde der Opfer, machen es zur Pflicht, sich weiter mit der Vertreibung auseinanderzusetzen und eine Aufarbeitung einzufordern, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Wahrheit orientiert. Der Autor ist Vorsitzender der Landsmannschaft Schlesien im Bund der Vertriebenen.
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