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Deutschland und Polen Podolski und Klose lieben Deutschland und Polen - und werden in beiden Ländern geliebt. Sie stehen mit ihrer Aussiedler-Biographie aber auch für Millionen Entwurzelte. Sich auch daran zu erinnern, ist Voraussetzung für gute Nachbarschaft. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“, versprach Willy Brandt vor vierzig Jahren im Bundestag. Das Ziel ist erreicht. Deutsche Fußball-Fans können in Schwarz-Rot-Gold durch Danzig flanieren, um - vielleicht sogar gemeinsam mit Polen - die in Schlesien geborenen Spieler Lukas Podolski und Miroslaw Klose anzufeuern. „Wandel durch Annäherung“ lautete das Motto, unter dem die Ostverträge geschlossen wurden. Das war eine große politische Leistung der sozialliberalen Koalition: Die Verträge mit den östlichen Nachbarn und später mit der DDR waren hart umkämpft. Wer das heute nicht mehr versteht, der braucht nur wieder bei Brandt nachzuschlagen: „Verzicht ist Verrat, wer wollte das bestreiten?“, sagte er auf dem Schlesiertreffen 1963. Und: „Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern.“ Das war damals allgemeine Meinung. Kurt Schumacher hielt die Oder-Neiße-Linie als Grenze für „unannehmbar“; keine deutsche Regierung oder Partei könne bestehen, die diese Grenze anerkenne. Eine Ansicht von vorgestern? Auch die Ostverträge brachten keine endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Zwar bekräftigte die Bundesrepublik deren Unverletzlichkeit; sie habe keinerlei Gebietsansprüche. Doch erklärte die Bundesregierung, dass die Rechte der Alliierten für Berlin und Deutschland als Ganzes fortbestünden und dass ein wiedervereinigtes Deutschland durch den Vertrag nicht gebunden werde. Das wiederholte sich im Zuge der deutschen Einheit. Erst mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ging die territoriale Souveränität über die lange Zeit deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße auf Polen (und das spätere Russland) über. Klar war aber schon mit den Ostverträgen vor vierzig Jahren, dass die alten Provinzen wenn nicht rechtlich, so doch politisch für Deutschland verloren waren. Ist dadurch der Weg zur deutschen Einheit geebnet worden? Das kann man auch anders sehen: Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätte nicht das Bundesverfassungsgericht, von der Union angerufen, schon vor vierzig Jahren festgestellt, dass Deutschland fortbestehe. Noch 1987 erinnerten die Karlsruher Richter daran, dass der Parlamentarische Rat das Grundgesetz nicht als Akt der Neugründung eines Staates verstanden hatte; er wollte vielmehr „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung“ geben, bis die „Einheit und Freiheit Deutschlands“ in freier Selbstbestimmung vollendet sei. Präambel und Schlussartikel „fassen das gesamte Grundgesetz auf dieses Ziel hin ein“. „Identität des deutschen Staatsvolkes“ Das Festhalten an der deutschen Staatsangehörigkeit und damit an der bisherigen Identität des Staatsvolkes des deutschen Staates sei Ausdruck dieser Grundentscheidung. Daraus folge insbesondere die verfassungsrechtliche Pflicht, „die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten“. Und zwar „über den räumlichen Anwendungsbereich des Grundgesetzes hinaus“. Das ist der Grund dafür, dass Podolski und Klose aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland stets (auch) Deutsche waren. Ohne das Festhalten an diesem Anspruch hätte es weder die Wiedervereinigung gegeben noch hätte Deutschland diejenigen aufnehmen können, die als Deutsche in Deutschland geboren wurden, aber dann unter polnische und russische Herrschaft kamen. Dass das 1871 gegründete Deutschland 1945 als Staat nicht unterging, verdankte es - neben dem fortbestehenden Willen der Deutschen zur Einheit - den alliierten Siegermächten, die es über die deutsche Teilung hinaus zusammenhielten. Die Wiedervereinigung erfüllte also ein altes Versprechen. Dass sie so zügig und friedlich vonstatten ging, hatte auch mit dem Friedensangebot der Ostverträge und mit ihren Vorbehalten zu tun. Diese über die Jahrzehnte der Teilung gewahrte Kontinuität von Staat und Staatsvolk war angesichts der von Deutschen begangenen Menschheitsverbrechen alles andere als selbstverständlich. Gleichwohl ist es auch eine Frage der Identität, an die mörderische Massenvertreibung von zwölf Millionen Deutschen zu erinnern; daran, dass auch heute noch Deutsche etwa in Ostpreußen und in Schlesien leben und dass sie eine bleibende Kulturlandschaft hinterlassen haben. Das ist für jeden sichtbar, der den einst deutschen Osten bereist und sich umschaut. Erfreulich ist, dass sich auch staatsnahe deutsche Medien nicht mehr scheuen, alte deutsche Städte bei ihrem deutschen Namen zu nennen. Das ist schlicht eine Frage der historischen Wahrheit und des Respekts, auch gegenüber den geschichts- und nationalbewussten Polen, die selbst ein Volk von Vertriebenen sind. Podolski und Klose, die aus Städten stammen, die
noch bis in die achtziger Jahre in Schulatlanten als „unter polnischer
Verwaltung“ stehend gekennzeichnet waren, sie sind heute Jung-Millionäre, die
Deutschland und Polen lieben und in beiden Ländern geliebt werden. Sie stehen
mit ihrer Herkunft, ihrer Aussiedlung, ihrem schwierigen Neuanfang aber auch für
Millionen Entwurzelte. Sich auch daran zu erinnern, nicht nur an die deutsche
Schande, ist Voraussetzung für gute Nachbarschaft.
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