|
Rheinwiesenlager im April
1945: Fortschreitende charakterliche Deformierung der Deutschen |
Geschichtserinnerung
Der deutsche Patient
Von Michael
Paulwitz
Das kaltschnäuzige Desinteresse
des offiziellen Deutschland am Schicksal von Millionen Deutschen, die alliierten
Kriegs- und Nachkriegsverbrechen zum Opfer gefallen sind, betrachten die
Regierungen der Siegermächte und Vertreiberstaaten längst als geistigen Tribut,
der ihnen wie selbstverständlich zusteht.
Rechtlich denkende
Einzelpersonen aus den Reihen der ehemaligen Kriegsgegner erfüllen solche
nationalneurotischen Verhaltensauffälligkeiten dagegen zunehmend mit Unbehagen –
mit der merkwürdigen Konsequenz, daß Impulse zur ehrlichen Aufarbeitung
alliierter Kriegs- und Vertreibungsverbrechen inzwischen vor allem aus dem
Ausland kommen.
Der ehemalige amerikanische
Offizier Merrit Drucker, der im vergangenen Jahr die mörderische Behandlung
deutscher Kriegsgefangener durch die US-Armee in den Rheinwiesenlagern auf die
Tagesordnung setzen wollte, ist die jüngste dieser ausländischen Stimmen. Junge
Tschechen oder Polen, die nach den früheren Bewohnern des Landes fragen, in dem
sie leben, und dabei auf die lange verschwiegenen dunklen Flecken der eigenen
Kriegs- und Nachkriegsgeschichte stoßen, finden auf deutscher Seite außerhalb
der Vertriebenenverbände praktisch keinen Ansprechpartner.
Deutsche Politiker glänzen
durch brüskierende Abwesenheit
Werden in Polen, der Tschechei,
Slowenien, Ungarn oder Kroatien Massengräber ermordeter deutscher
Kriegsgefangener, Vertriebener oder Volksdeutscher entdeckt, setzen private
Initiativen mit Courage und gegen viele Widerstände die Errichtung von
Grabstätten oder wenigstens die Anbringung von Gedenktafeln durch, glänzen
deutsche Politiker und Diplomaten durch brüskierende Abwesenheit. Verurteilt –
wie schon vor zwei Jahrzehnten das slowakische – ein osteuropäisches Parlament
den Vertreibungsgenozid an den Deutschen, kneifen die deutschen Kollegen
peinlich berührt die Lippen zusammen.
Ein Grund für diese notorische
Verkrampftheit liegt in der Tatsache, daß Deutschland nach wie vor kein völlig
souveräner Staat ist. Die besatzungsrechtliche Auflage, die es der deutschen
Justiz verbietet, sich mit Straftaten der Alliierten auf deutschem Boden zu
befassen, wurde durch alle völkerrechtlichen Vereinbarungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Siegermächten fortgeschrieben und ist auch im
Zwei-plus-Vier-Vertrag weiterhin enthalten.
Mit diesem achselzuckenden
Hinweis erklärte die baden-württembergische Landesregierung im
November 1996 auf Anfrage
der damaligen Landtagsfraktion der Republikaner ihre Untätigkeit und die der
Landesjustiz angesichts der Ermittlungen der amerikanischen
Militärgerichtsbarkeit zu den
Kriegsverbrechen der
vorrückenden US-Armee im Frühjahr 1945 in Nordwürttemberg. Ausgelöst hatte
die Ermittlungen ein pensionierter amerikanischer Oberstleutnant, dessen
Rechtsempfinden sich angesichts der ein halbes Jahrhundert zurückliegenden und
ungesühnten Greueltaten seiner Landsleute empörte.
Fortschreitende
charakterliche Deformierung der Deutschen
Die fortschreitende
charakterliche Deformation der Deutschen durch die Verinnerlichung ihres
Besiegten-Status läßt sich an diesen Beispielen gut nachvollziehen. 1948 ließen
die württembergischen Behörden noch, dem alliierten Befassungsverbot zum Trotz,
alle betroffenen Gemeinden Berichte über die US-Kriegsverbrechen abliefern.
Mitte der Neunziger lösten die Ermittlungen und die Medienberichte darüber noch
ein breites Echo in der Bevölkerung aus, viele Zeitzeugen waren noch am Leben.
Heute dagegen findet die Entschuldigung Druckers an das deutsche Volk für die
früheren Verbrechen seiner Landsleute kaum noch einen Adressaten.
Für den kollektiven
Geisteszustand der Deutschen ist das kein gutes Zeugnis. Was vor ein oder zwei
Generationen noch geistige Bevormundung war und auch als Zumutung empfunden
wurde – die Tabuisierung der eigenen Opfer –, ist zum eifersüchtig überwachten
Dogma aufgestiegen.
Jener linksextreme Krawallpöbel,
der sich bei jeder Gelegenheit mit hämischen „Deutsche Täter sind keine
Opfer“-Parolen und stumpfsinnig-zynischer Totenbeschimpfung hervortut, darf sich
als grobschlächtiger Vollstrecker einer allgemein rezipierten
Geschichtsauffassung fühlen, die sich die propagandistische Verklärung der
Sieger als „Befreier“ völlig zu eigen gemacht hat und auf eigene Kriegsopfer
verächtlich herabblickt wie auf außerirdische Menschheitsfeinde.
Der Wunsch nach Versöhnung
kommt aus dem Ausland
Das führt zu grotesken Szenen in
der Politik – Kanzler und
Außenminister, die sich auf den Paraden und Triumphstätten der Sieger drängen
und um deutsche Soldatengräber und Leidensorte weite Bogen schlagen – und zu
Verkrustung und Sklerose in der amtlichen Geschichtswissenschaft. Der
tschechische Filmemacher David Vondráček, der seine Landsleute mit dem „Töten
auf tschechisch“ konfrontiert,
der polnische
Historiker Bogdan Musial, der das Lügengebäude der „Wehrmachtsausstellung“
demontiert, die Gerechtigkeitsfanatiker unter den amerikanischen Veteranen – sie
tragen bei zu einer Gegenbewegung von unten, die beharrlich Breschen in diese
Mauer aus Ignoranz und Konformismus schlägt.
Es gehört zu den Besonderheiten
der deutschen Lage, daß diese Stimmen vor allem aus dem Ausland kommen und sich
letztlich gegen das hierzulande herrschende und verordnete Geschichtsbild
richten. Wir sollten sie mit offenen Armen empfangen. Denn sie sind die wahren
Baumeister der Versöhnung – nicht die Politiker, die dieses Wort beständig im
Munde führen.
Diskutieren Sie diese Meldung in unserem
Forum
|