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„Laßt uns die Zombies begraben“ In den Prager Regierungskanzleien konnte man sich diesmal entspannt zurücklehnen: Für schroffe Reaktionen auf den traditionellen Sudetendeutschen Tag, den 64. seit der Vertreibung, gab es keinen Anlaß. Die Spitze der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) um Bernd Posselt und Franz Pany (beide CSU) hat rhetorisch in den „Wende“-Modus geschaltet: Nicht mehr die Forderungen nach Aufhebung der Benesch-Dekrete und des berüchtigten Straffreistellungsgesetzes für tschechische Täter standen im Fokus des Treffens, erst recht nicht die Eigentumsproblematik, um die Politiker ohnehin einen Bogen machen, sondern die als „großartig“ bewertete Rede von Ministerpräsident Petr Necas jüngst im Bayerischen Landtag dominierte die Reden in den Augsburger Messehallen. Folgt man SL-Sprecher Bernd Posselt, dann hat mit der freundlichen Necas-Formel von den „Landsleuten und ehemaligen Mitbürgern“ sowie der Ankündigung eines Dialogs durch den Prager Premier eine neue Zeitrechnung im belasteten sudetendeutsch-tschechischen Verhältnis begonnen. Die Vokabel „Wendepunkt“ hatte Ministerpräsident Horst Seehofer nach der Begegnung mit Necas in die Diskussion eingebracht. Parteipolitiker sind in Wahlkampfzeiten nicht bescheiden, sie stilisieren selbst kleine Fortschritte zu historischen Ereignissen. Posselt hat sich Seehofers „Wende“-Wort ausdrücklich zu eigen gemacht, er sucht sich aber gegen einen möglichen neuen politischen Temperatursturz verbal abzusichern: „Wir sehen das Ziel, auch wenn es noch ein ziemliches Stück entfernt ist.“ Eine realistische Betrachtung. Der tschechische Ministerpräsident ist zwar ein honoriger Mann, aber er steht einem fragilen, von Skandalen gebeutelten Mitte-Rechts-Kabinett vor, das schon bald Geschichte sein kann. Ob eine künftige linke, sozialdemokratische Regierung an der Moldau den moderaten Kurs beibehält, ist fraglich. Milos Zeman, der mit seiner anti-sudetendeutschen Rhetorik den Präsidentschaftswahlkampf für sich entschieden hat, ist der „Patron“ der Linken und Nationalisten. Im übrigen ist es auch längst nicht ausgemacht, daß Posselts und Panys Parteifreund Seehofer nach der bayerischen Landtagswahl fest im Sattel sitzt. Einstweilen eignet sich Seehofers offizielles Eintreten für Positionen der Sudetendeutschen gut als Wahlwerbung für die CSU. In Augsburg wurde er als „Eisbrecher“ im sudetendeutsch-tschechischen Verhältnis gefeiert und mit dem Europäischen Karlspreis der Landsmannschaft ausgezeichnet. In einem bayerisch-tschechischen Parlamentariergremium, von dem jetzt die Rede ist, sollen auch führende Sudetendeutsche vertreten sein. Allerdings wäre das bei weitem nicht der direkte Dialog zwischen Prag und den Vertriebenen, den die Sudetendeutschen jahrzehntelang gefordert haben. Einmal davon abgesehen, daß eine derartige „Einbettung“ in der Praxis von politischem Wohlverhalten der Landsmannschaft abhängig ist. Posselt gab sich redlich Mühe, den Eindruck zu zerstreuen, die Diskussion über die Benesch-Dekrete würde von der SL nun hintangestellt. „Die Dekrete tauchen auf wie Zombies. Laßt uns endlich gemeinsam diese Zombies begraben“, appellierte Posselt an beide Seiten. Der Sudetendeutsche Tag soll ein deutsch-tschechischer Begegnungsort sein, ein Kompetenzzentrum. „Ich möchte“, fügte Posselt in Augsburg hinzu, „daß der Sudetendeutsche Tag noch in diesem Jahrzehnt erstmals auch in der Tschechischen Republik stattfindet.“ Davon hatte schon 1998 Frantisek Cerny, weiland tschechischer Botschafter in Deutschland, in einem Welt-Interview geträumt. Cerny wurde dafür in Prag heftig geprügelt, Politiker und Medien verlangten seine Abberufung. „Ich habe diesen Traum noch immer“, sagte Cerny, einer der vielen tschechischen Teilnehmer in Augsburg. Seit 1998 hat sich zumindest in der veröffentliche Meinung einiges bewegt. Tschechische Medien lassen eine plumpe anti-sudetendeutsche Stimmungsmache nicht mehr so einfach durchgehen, sie verhalten sich gegenüber dem Vertreibungsthema aufgeschlossener als hochgestellte Politiker, Zeman bekam das nach seinen verbalen Ausfällen, zuletzt während seines Besuchs in Wien, zu spüren. Daß tschechische Kommentatoren vorschlagen, einen zentralen Platz in Prag auszuwählen, auf dem alljährlich an die Vertriebenen erinnert werden kann, signalisiert eine gewisse „Bewegung“ in der sudetendeutschen Frage. Erinnerung tut not. Auch in Deutschland. Bayern will jetzt mit einem Gedenktag im September voran gehen, er soll vom Charakter her „europäisch“ sein – was immer das auch bedeuten mag. Auf Bundesebene wird seit Jahr und Tag ein solcher Gedenktag von den Vertriebenenorganisationen gefordert, und es gibt längst entsprechende parlamentarische Vorstöße. Die Botschaft, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) aus Berlin nach Augsburg mitbrachte, klingt allerdings deprimierend: Es gebe derzeit keine politische Mehrheit für eine derartige Initiative. So ist die Lage: trotz aller schönen Worte für die einst aus ihrer Heimat verjagten Deutschen. Bayern führt Gedenktag für Vertriebene ein Seit Jahr und Tag steht die Forderung nach einem Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation auf der bundespolitischen Agenda. Sie macht sich stets gut für Parlamentarier-Reden auf Heimattreffen von Sudeten- und Ostdeutschen, aber wenn es um die Realisierung geht, tendiert die Unterstützung gegen Null. Daß die bayerische Staatsregierung nun die Einführung eines landesweiten Gedenktages beschlossen hat, der von 2014 an jeweils am zweiten Sonntag im September begangen werden soll, hat gewiß auch mit dem Werben um Vertriebenenstimmen zu tun; die in Skandale verwickelte CSU ist in keiner komfortablen Lage. Dennoch sollte man die Entscheidung nicht kleinreden. Immerhin setzt das Seehofer-Kabinett ein Zeichen für andere Bundesländer mit hohem Vertriebenenanteil, etwa Hessen, dem bayerischen Vorbild zu folgen. Auf Bundesebene, das hat Innenminister Friedrich auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg zum Ausdruck gebracht, gibt es derzeit keine Mehrheit für ein solches Gedenken. Offenbar fürchtet man Kritik aus Ländern wie
Tschechien und Polen, die bereits gegen das Zentrum
gegen Vertreibungen opponiert haben. Doch vielleicht bringt der bayerische
Alleingang jetzt neue, positive Bewegung in die Debatte.
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