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Bergung unter Baggerschaufeln Was sich in Pillau ereignete, hat nicht nur viele Bürger der Stadt zutiefst schockiert; die Nachricht verbreitete sich in Windeseile über das Internet und in den örtlichen Medien: Auf dem Gelände eines ehemaligen deutschen Friedhofs soll ein moderner Kindergarten für 240 Kinder entstehen, mit großem Spielplatz und Schwimmbad. Als zu Beginn der Bauarbeiten Totenschädel und Gebeine zutage kamen, war sofort klar: Der Auftraggeber hat vor Baubeginn auf die vorgeschriebene Bodenuntersuchung verzichtet. An der Stelle, an der in Pillau ein moderner Kindergarten entstehen soll, liegen die sterblichen Überreste von schätzungsweise 150 Menschen. Bis 1945 wurden hier verdiente Bürger der Stadt beerdigt. Als die Bauarbeiten begannen, hoben die Baggerschaufeln schon bei der ersten Bodenberührung menschliche Gebeine aus. Passanten beobachteten das Geschehen schockiert. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht aus Pillau über die Grenzen des Königsberger Gebiets hinweg. Walerij Limonow, Direktor der regionalkundlichen Forschungsstiftung „Westliche Zitadelle“, forderte einen sofortigen Baustopp und die Exhumierung der Gebeine. Limonow kritisierte, dass die Behörde, welche die Baugenehmigung erteilt hat, zuvor eine geologische Untersuchung hätte durchführen müssen. Dies sei offensichtlich unterlassen worden. „Die Bauarbeiter hätten ihre Arbeit sofort einstellen müssen, als sie die Überreste entdeckten. Aber das ist nicht geschehen. Ich habe an die Staatsanwaltschaft geschrieben mit der Bitte zu überprüfen, inwieweit diese Arbeiten gesetzeskonform sind.“ Die Stadt reagierte auf die Empörung, indem sie zwar nicht die Bauarbeiten einstellen ließ, aber immerhin die Organisation „Avanport“ mit der Bergung der Gebeine beauftragte. Avanport hat Erfahrung mit solchen Arbeiten. In Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge haben die freiwilligen Helfer bereits bei der Umbettung von 13.500 Gefallenen des Zweiten Weltkriegs geholfen. Ohne Bezahlung sammelten nun junge Helfer in Pillau Knochen − während über ihnen die Baggerschaufeln schwangen − zunächst in Plastiktüten, um sie später auf dem Gelände der Pillauer Alexander-Newskij-Kirche beizusetzen. Die Stadtverwaltung versprach, die sterblichen Überreste vorsichtig zu behandeln. Forscher versuchen, die Namen der Verstorbenen herauszufinden. Danach sollen sie mit allen Ehren und unter Beteiligung eines protestantischen Pfarrers beigesetzt werden. Währenddessen gaben sich die Verantwortlichen der Stadt Pillau und der Kreisverwaltung gegenseitig die Schuld. Kreisverwaltungschef Nikolaj Daschkin warf der Stadtadministration vor, nicht über den Friedhof informiert zu haben. Die Stadt wies diesen Vorwurf zurück und behauptete, selbst keine genaue Kenntnis von der Lage des ehemaligen deutschen Friedhofs gehabt zu haben, denn in den 50er Jahren hätten die Sowjets sämtliche Grabsteine entfernt. Limonow lässt diese Ausreden nicht gelten. Hätten die Verantwortlichen einen Blick auf die allgemein zugänglichen historischen Karten der Stadt Pillau und in die entsprechenden Archivunterlagen geworfen, hätten sie gewusst, dass es dort einen Friedhof gegeben hat. Vor Ort wurden noch Grabsteine aus den Jahren 1890 bis 1945 gefunden. Der Vorfall in Pillau ist ein weiterer Beweis dafür, dass Bauherren in der Region es nicht so genau nehmen mit den Vorschriften. Behörden leisten Profiteuren Hilfe, indem sie Baugenehmigungen ohne genaue Prüfung erteilen. Ähnliche Fälle werden immer wieder aus der Gebietshauptstadt und anderen Orten des Königsberger Gebiets bekannt. Update: Nikolaj Zukanow, der Gouverneur des Königsberger Gebiets, will die Verträge für den Bau des Kindergartens in Pillau annullieren lassen. Ob der Schock und der Medienrummel über den geplanten Kindergartenbau auf einem Friedhofsgelände ausschlaggebend waren für die Einmischung des Gouverneurs, ist ungewiss. Fakt ist, dass sich erstmals ein Gouverneur um eine solche Angelegenheit kümmert. Während eines Arbeitsbesuchs in Zimmerbude ließ er den Weiterbau einer Reihe von Kindergartenprojekten im Königsberger Gebiet stoppen. Er ordnete eine Überprüfung der Bauanträge und -genehmigungen an. Als Grund nannte der Gouverneur zu hoch veranschlagte Kosten. Zukanow hatte Zweifel daran, dass die Baupläne die vorgeschriebene Überprüfungsphase der Behörden überhaupt durchlaufen hatten. Mehrfach seien Preisunterschiede bei Ausschreibung und anschließender Ausführung in Höhe von 30 Prozent vorgekommen. Zukanow vermutet, dass die Stadtverwaltungen absichtlich den Bau von Kindergärten an Orten vorsehen, an denen keine Infrastrukur vorhanden ist, mit dem Ziel, die Erschließungskosten aus dem Gebietshaushalt abzugreifen, denn dieser ist an dem Bau neuer Kindergärten zu 70 Prozent beteiligt. Darüber hinaus legten die Städte zunächst Pläne für ganz normale Zweckbauten vor, um dann später Kindergärten mit allem Komfort, Schwimmbädern, Fitnessgeräten und Trainingssälen inklusive zu präsentieren, was zur Verteuerung der Bauvorhaben führt. Dem will Zukanow einen Riegel vorschieben. Es sei nicht einzusehen, dass ein Kindergarten mit Schwimmbad in Königsberg für gut fünf Millionen Euro gebaut werden könne, ein gleichwertiger in Pillau aber fast sieben Millionen Euro koste. Zukanow versprach, dass trotz vorläufigen Baustopps neue Kindergartenplätze auch in diesem Jahr zur Verfügung gestellt würden. M. Rosenthal-Kappi
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