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Das Wunder von Belgrad Ausgerechnet Serbien! Das Land, das so viele Negativschlagzeilen durch Kriege und Vertreibungen produziert hat, hat ein absolut vorbildliches Restitutionsgesetz verabschiedet. Bis zu 350.000 vertriebene Deutsche und ihre Erben können ebenso wie enteignete Serben, Ungarn und Juden auf Eigentumsrückgabe hoffen. Worüber soll man mehr staunen? Dass ausgerechnet Serbien, das unter Slobodan Milosevic noch im Jahre 1999 eine große Vertreibung ins Werk gesetzt hat, ein Gesetz verabschiedet hat, das sogar den ab 1944 geflohenen und vertriebenen Deutschen die Rückgabe ihres Eigentums ermöglicht? Oder darüber, dass deutsche Zeitungen nichts darüber berichten? Klar ist: Beim serbischen Restitutionsgesetz geht es nicht um eine symbolische Geste, sondern um substanzielle Wiedergutmachung. Beobachter rechnen mit rund 150.000 Anspruchsberechtigten, die nun Anträge auf die Rückgabe von 300.000 Hektar Land stellen können. Das sind knapp vier Prozent des serbischen Staatsgebietes. „Gegenstand der Rückgabe ist das gesamte Vermögen, das nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurde, von Liegenschaften und Unternehmen über bewegliche Sachen bis zu Ackerboden und Bauland“, erklärte der damalige Vizeministerpräsident Bozidar Djelic vor der Verabschiedung des Gesetzes. Soweit enteignete Immobilien einen neuen privaten Eigentümer haben oder öffentlich genutzt werden, soll statt Rückgabe Entschädigung geleistet werden, wobei sich diese am heutigen Wert orientiert. Von der Entschädigung werden zehn Prozent direkt ausgezahlt und die übrigen 90 Prozent in Form von Staatsanleihen geleistet, wobei Belgrad für diesen Zweck zwei Milliarden Euro im Laufe der kommenden zehn Jahre im Haushalt reserviert hat. Wie weit die Wiedergutmachung geht, zeigt eine Gesetzesklausel, die die Entschädigung pro Antragsteller auf 500.000 Euro begrenzt. „Das Gesetz ist allemal vorbildlich“, erklärt der Bundesvorsitzende der Donauschwaben, Hans Supritz auf Anfrage der PAZ. Die Enteignung der einst 550.000 Jugoslawiendeutschen – davon rund 350.000 in der serbischen Provinz Woiwodina – habe bereits im November 1944 mit einem der berüchtigten „AVNOJ-Dekrete“ begonnen. „Damit wurden fast alle Jugoslawiendeutschen mit einem Federstrich enteignet.“ Ab 1945 wurden diese Enteignungen formal vollzogen, so dass sie jetzt unter die Wiedergutmachung fallen. Das jetzige Gesetz geht über die Regelungen in anderen Ländern deutlich hinaus, weil die Entschädigung unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Enteigneten ist und auch nicht – wie im Falle der Tschechischen Republik – ein Stichtag dazu führt, dass die Deutschen ausgeschlossen werden. „Damit wird für die Donauschwaben aus Serbien Gerechtigkeit möglich“, würdigt Supritz. Die Antragsstellung ist nicht ganz einfach, die Nachweispflicht liegt ganz bei den Alteigentümern. Nach PAZ-Recherchen gibt es bisher erst eine Handvoll vollzogener Restitutionen, die Abwicklung der Entschädigung beginnt ohnehin erst nach Ende der Antragsfrist im März 2014. „Noch weiß niemand, wie sein früheres Vermögen bewertet wird und auf welche Entschädigung es hinausläuft“, erläutert Supritz, der die serbische Sprache beherrscht. Für viele Donauschwaben sei die Antragstellung ohnehin eher eine moralische Frage, ein Protest gegen das an ihren Eltern und Großeltern verübte Unrecht. Die Donauschwaben loben die Anstrengungen Serbiens für eine Wiedergutmachung ohne Diskriminierung hinsichtlich der Volkszugehörigkeit. Supritz: „Jetzt gilt gleiches Recht für alle. Mehr haben wir nie verlangt und so will es ja auch die EU.“ Papierkram, der sich lohnt Eigentumsrückgabe nach fast 70 Jahren ist keine ganz einfache Sache. Im Falle Serbiens kommt die räumliche Entfernung hinzu, die Anträge müssen mit etlichen beglaubigten Nachweisen in Serbien selbst versendet werden. Kein Wunder, dass sich die Zahl der Anträge bisher sehr in Grenzen hält. Wenn von den einst 350000 Donauschwaben im heutigen Serbien geschätzt jeder siebte restituierbares Eigentum besaß, könnten heute 50000 Erben einen Antrag stellen. „Tatsächlich hat die serbische Restitutionsagentur bis 31. Dezember 2012 erst wenige Dutzend Anträge bekommen, davon gut drei Viertel aus Deutschland, die anderen aus Österreich“, erläutert Rudolf Reimann, der Bundesvorsitzende des Verbands der Volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs (VLÖ) – quasi der dortige Bund der Vertriebenen. Die geringe Zahl hat in Serbien selbst für Verwunderung gesorgt. und so hat sich der Chef der serbischen Restitutionsagentur Strahinja Sekulic selbst an Reimann gewandt. Er wollte die Gründe erfahren und zusammen mit der Landsmannschaft auf die Restitutionsmöglichkeit hinweisen. Es folgte Ende Februar eine Informationsveranstaltung des VLÖ mit Vertretern der serbischen Botschaft und des österreichischen Außenministeriums im Haus der Heimat in Wien. Schon seit Inkrafttreten des Gesetzes informieren die Donau-schwaben in Deutschland und Österreich laufend über das Gesetz. Das österreichische Außenministerium tut dies außerdem auf seiner Internetseite. In den Zeitungen war über dieses Thema zwar viel in Serbien zu lesen, aber nur wenig in Österreich und so gut wie nichts in Deutschland. „Man braucht faktisch einen Anwalt, schon zur Beschaffung von Dokumenten in Serbien und weil der Antrag in serbischer Sprache zu stellen ist“, erläutert Reimann. Nötig sind Belege wie die Konfis-kationsurkunden, Geburtsurkunden und Todeserklärungen von Alteigentümern, die nicht selten in jugoslawischen Lagern oder in sowjetischer Gefangenschaft ums Leben gekommen sind. Außerdem gilt serbisches Erbrecht. „Diesen Aufwand scheuen manche“, bedauert Reimann, der bereits eine Lösung anbieten kann. „Wir haben Vereinbarungen mit Vertrauensanwälten in Serbien geschlossen. Sie bearbeiten normale Fälle für eine Pauschale von 500 Euro zuzüglich fünf Prozent der eventuellen Entschädigungszahlung, was nach serbischem Recht möglich ist.“ Dazu kommen noch gewisse Übersetzungskosten. Reimann glaubt nicht, dass die bürokratischen Hürden absichtlich errichtet worden sind, um den Gesetzeszweck zu unterlaufen, die Anforderungen seien nachvollziehbar. Noch weniger ist er der Meinung, dass die Donauschwaben an Wiedergutmachung nicht mehr interessiert seien. „Seit Jahresanfang sind in Serbien sicher viele weitere Anträge eingegangen.“ Er selbst habe acht Monate gebraucht, um seinen Antrag fertigzubekommen. Da die Frist in knapp einem Jahr endet, sollte man jetzt keine Zeit mehr verlieren. Umfassende Informationen einschließlich der Adressen der Vertrauensanwälte gibt es auf der Internetseite des VLÖ unter www.vloe.at. - K.B. Von Medien verschwiegen Fast unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit hat Serbien im Herbst 2011 das am weitesten gehende Gesetz zur Wiedergutmachung alter Enteignungen in ganz Europa beschlossen. Ausgeschlossen sind lediglich Kriegsverbrecher und Angehörige von früheren Besatzungstruppen und deren Erben sowie diejenigen, die bereits von einem anderen Land entschädigt worden sind. Diese Bestimmungen, so erklären Vertreter der Donauschwaben, schließen die Deutschen offenbar nicht von der Rückgabe aus. Zwar seien diese 1944/45 ähnlich wie die Sudetendeutschen kollektiv kriminalisiert worden, außerdem gab es viele rechtsstaatlich unhaltbare Verurteilungen angeblicher Kollaborateure und Kriegsverbrecher. Jedoch hat Serbien ein Rehabilitierungsgesetz beschlossen, das auch dieses Problem bereinigt. Der deutsche Lastenausgleich wiederum war zu gering, um einer Wiedergutmachung entgegenzustehen. Natürlich bleibt die Umsetzung des Gesetzes abzuwarten. Aber wenn es seinem Wortlaut gemäß vollzogen wird, könnte das Gesamtvolumen von Rückgabe und Entschädigung eine Größenordnung von sechs bis zehn Milliarden Euro erreichen. Kein anderes Land in Europa macht in ähnlicher Weise „reinen Tisch“ – auch Deutschland nicht, das Enteignete der Jahre 1945 bis 1949 bekanntlich mit Brosamen abgespeist hat. Wieso gerade Serbien? Nach Recherchen der PAZ waren es die serbischen Alteigentümer selbst, die dieses Gesetz durchgesetzt haben – unterstützt von Budapest und Wien, die sich für „ihre“ Volksgruppen eingesetzt haben. Außerdem wollte Belgrad mit diesem Gesetz erklärtermaßen seine Annäherung an die EU voranbringen. Serbische Zeitungen berichten, dass das Restitutionsgesetz in Brüssel geprüft und für gut befunden worden ist. - K.B.
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