Stellungnahme zum Fund eines Massengrabes in Marienburg
Bereits seit Oktober 2008 ist der Bundesregierung
bekannt, daß bei Abrißarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen „Polnischen Hauses“
im westpreußischen Marienburg die sterblichen Überreste von 1.800 Menschen gefunden
wurden. Auch das Auswärtige Amt – genauer dessen Rechtsabteilung und das Referat
503 (Kriegsfolgen) – wurde von dem Fall in Kenntnis gesetzt. Weder Bundesregierung
noch Auswärtiges Amt haben sich bis zum heutigen Tage öffentlich zu den Vorkommnissen
in Marienburg geäußert.
Da
nach Medienberichten inzwischen davon auszugehen ist, daß es sich bei den bis jetzt
gefundenen 1.800 Toten um die Leichen deutscher Staatsbürger handelt, ist dieses
Verhalten unverständlich. Auch wenn Marienburg heute nicht mehr auf deutschem Territorium
liegt, so hat die deutsche Bundesregierung dennoch die Pflicht, das Schicksal dieser
1.800 Menschen aufzuklären und den Verwandten und Hinterbliebenen dieser Kriegsopfer
endlich einen würdigen Ort der Trauer zu schaffen. Es wäre in der Tat nicht zu erklären,
wenn die Bundesregierung sich in dieser Sache ihrer Verantwortung entzöge und darauf
hoffte, daß sich das politische Tagesgeschehen stärker in den Köpfen der Bevölkerung
festsetzt als die Toten von Marienburg.
Wenn schon von deutscher Seite bislang keinerlei
Interesse an der Aufklärung dieses Verbrechens gezeigt wurde, so ist um so mehr
den heutigen, zumeist jungen polnischen Einwohnern von Marienburg Anerkennung auszusprechen,
die sich nicht mit den Erklärungen polnischer Stellen zufriedengeben, nach denen
es sich bei den 1.800 Toten um Opfer der Kämpfe zwischen Roter Armee und Deutscher
Wehrmacht handelt, sondern die genau hinsehen und fragen, warum diese angeblich
in die Schußlinie deutscher und russischer Gewehrsalven geratenen Menschen vor ihrem
Tod entkleidet wurden, warum man Reste dieser Kleidung wenig entfernt gefunden hat
und warum einzelne dieser 1.800 Toten Einschüsse genau über dem Nasenbein aufweisen.
1.800 Menschen, Frauen, Kinder, Greise, die uns mahnen, 1.800 Opfer eines furchtbaren
Krieges.
Wir jungen Demokraten fühlen uns verpflichtet,
der Toten zu gedenken und ihnen eine würdige Gedenkstätte zu errichten. Wir fordern
die Bundesregierung auf, sich auf der Grundlage der Völkerverständigung, jedoch
in der Sache rückhaltlos, für die Aufklärung dieses Verbrechens an deutschen Staatsbürgern
einzusetzen. Wir danken den heutigen Einwohnern von Marienburg, die schon längst
im europäischen Geist diese Aufklärung verlangen. Wir klagen die deutschen Medien
an, sich erst zwei Monate nach Bekanntgabe dieser Verbrechen entschlossen zu haben,
darüber zu berichten.
Der Goethepreisträger Raymond Aron stellte fest:
„Der Charakter und die Selbstachtung einer Nation zeigen sich darin, wie sie mit
ihren Opfern der Kriege und mit ihren Toten umgeht.“
Wir hoffen, daß unser Appell an die Bundesregierung,
die deutsche Öffentlichkeit und die Medien Gehör findet und daß wir bald vor einer
würdigen Gedenkstätte für die Ermordeten von Marienburg stehen können, die in deutscher,
polnischer und russischer Sprache über das Schicksal der Toten aufklärt.
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