|
|
Optimismus prägt ihr Leben Ruth Geede ist eine lebende Legende. Welche Ehre, von der Doyenne des deutschen Journalismus zum Tee in ihr holzgetäfeltes Atelier im Hamburger Stadtteil Niendorf eingeladen zu werden! Die dienstälteste noch schreibende Journalistin der Welt sitzt hoch konzentriert an ihrem Computer und bittet ihre Besucherin um etwas Geduld. Sie will nur noch ganz schnell einen Artikel zu Ende schreiben. Etwas später plaudert sie bei Tee und Gebäck ganz entspannt über ihr Leben, das am 13. Februar 1916 im ostpreußischen Königsberg begann. Ganze 2750 Gramm wog das Frühchen bei seiner Geburt. Doch das „Marjellchen“ entwickelte sich rasch, entdeckte bereits in jungen Jahren sein schriftstellerisches Talent und veröffentlichte mit gerade einmal 15 Jahren sein erstes Gedicht in der angesehenen „Königsberger Allgemeinen Zeitung“. Allein der Titel des Erstlings ist Programm: „Der Optimist und der Pessimist“. Optimismus prägt das Leben dieser ungewöhnlichen Frau bis auf den heutigen Tag. Ohne das zu ihrem Lebens- und Überlebensprinzip erhobene positive Denken hätte Ruth Geede wohl kaum die Strapazen der Flucht aus der geliebten „kalten Heimat“ und den Neuanfang im Westen meistern können. Ruth Geede, mit bürgerlichem Namen Ruth Vollmer-Rupprecht, besitzt die Gabe, ihre Lebensgeschichte so plastisch zu schildern, dass die Bilder wie ein Film vor dem Auge des Zuhörers vorbeiziehen. Ihre Vita liest sich wie eine Zeitreise durch das letzte Jahrhundert. An Selbstbewusstsein hat es dieser Frau nie gemangelt. Denn bereits mit 16 Jahren ersuchte sie den deutschen Schriftstellerverband um Aufnahme. „Kinder nehmen wir nicht auf“, lautete die ablehnende Antwort. Doch Ruth ließ sich nicht entmutigen und startete 1934 mit 18 ihre Karriere als Journalistin und Autorin. Sie schrieb Reportagen und Geschichten, arbeitete für den Rundfunk und brachte ihr erstes Buch mit dem Titel „De Lävensstruuß“ heraus, dem im Laufe ihres langen Lebens noch weitere 49 Werke folgen sollten, darunter viele heitere und besinnliche Erzählungen wie „Kurische Legende“ und „Königsberger Impressionen“. Auch Hörspiele und Theaterstücke gehören zu Ruth Geedes umfangreichem Repertoire. Ein wunderbares, schon in jungen Jahren erfülltes Leben nahm im Frühjahr 1945 eine dramatische Wende. Die Rote Armee stand vor Königsberg und Ruth Geede begab sich mit ihrer Mutter bei Temperaturen von unter minus 20 Grad Celsius auf die Flucht in den Westen, die schließlich in der Lüneburger Heide endete. Schnell fasste die junge Frau Fuß und übernahm eine Redakteurstellung im Lokalteil der „Landeszeitung für die Lüneburger Heide“. Sie berichtete über alles, was sich im Landkreis abspielte. „Vom Kaninchenzüchter in Klein-Kleckersdorf bis zur Hochzeit des Großbauern“, wie Ruth Geede schmunzelnd erzählt. Es versteht sich, dass ihr Fabuliertalent sich mit diesen Banalitäten, die dem reinen Broterwerb geschuldet waren, nicht zufrieden geben konnte. Sie fing wieder an, Bücher zu schreiben – unter anderem Kinderbücher – und das „Karussell“ herauszugeben, einen viel beachteten Kinderkalender, in dem Tante Ruth ihre kleinen Leser mit pfiffigen Geschichten und Versen unterhielt. Im Jahre 1950 begann die Journalistin für das Ostpreußenblatt zu schreiben, dessen wichtigste Chronistin sie bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Woche für Woche veröffentlicht sie in der Preußischen Allgemeinen Zeitung ihre beliebte Kolumne. „Lewe Landslied“, begrüßt Ruth Geede an jedem Sonnabend die „Ostpreußische Familie“ und unterrichtet ihre große Fangemeinde über das Schicksal ihrer in alle Winde verstreuten Landsleute. Kommen Anfragen aus dem In- und Ausland über den Verbleib einer Familie aus der Heimat, setzt sie alles daran, diese Menschen wieder zusammenzuführen. Sehr häufig mit Erfolg. Unlängst gelang es ihr, eine Verbindung zwischen einer Familie aus der Auvergne (Zentralfrankreich) und deren lange verschollenen Angehörigen in Polen herzustellen. Chapeau! Ein zentrales Thema im Leben der Schriftstellerin und Journalistin war ihre Ehe mit Günther Vollmer-Rupprecht, einem in Chile geborenen Kapitänssohn. Der mehrsprachige Gatte gab seinen kaufmännischen Beruf auf, um an der Seite seiner bereits berühmten Frau als Reisejournalist Karriere zu machen. Eine glückliche Verbindung, die durch den Tod des Ehemannes ein viel zu frühes Ende fand. Doch Ruths Leben mit der Droge Literatur und Journalismus ging nahtlos weiter. Ihr rastloses Schreiben und das Engagement für andere Menschen brachten ihr 1985 das Bundesverdienstkreuz am Bande aus der Hand des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein. Mehr geht wirklich nicht. Auch heute ist die Unermüdliche wieder seit den frühen Morgenstunden aktiv. Jetzt müsse sie noch den Schluss der Kolumne für ihre Zeitung schreiben, sagt sie und schaut auf die Uhr. „Aber für eine Tasse Tee haben wir noch Zeit.“ Auf dem Heimweg kommt mir der oft zitierte Satz in den Sinn, der besagt, jeder Mensch sei zu ersetzen. Das mag für die meisten von uns gelten. Aber nicht für diese ungewöhnliche Frau. Sie ist eine unersetzliche Zeitzeugin, die nach wie vor viele Menschen mit ihren kostbaren Erinnerungen und ihrem profunden Wissen beglückt und fasziniert.
|