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»So viele Ostpreußen auf einmal« So viele Ostpreußen auf einmal habe ich noch nicht gesehen!“ staunte der Botschafter der Republik Litauen in Deutschland, Deividas Matulionis. Der Ehrengast aus Berlin war am 5. Oktober einer Einladung in das Jahn-Sport-Forum Neubrandenburg zum 18. Landestreffen der Ostpreußen in Mecklenburg-Vorpommern gefolgt – zusammen mit mehr als 1.500 Besuchern. Kreis- und Ortsgruppen der Landsmannschaft Ostpreußen aus Anklam, Greifswald, Wismar und Ludwigslust waren angereist, sogar aus Hamburg und Buxtehude waren zwei Busse nach Neubrandenburg gekommen. Am weitesten hatte es die ostpreußische Familie Schostak aus Australien. Auch ein NDR-Kamerateam war erschienen – am selben Abend strahlte das „Nordmagazin“ einen Kurzbericht aus. Mehr als 40 Helfer aus Anklam und Neubrandenburg hatten die Halle festlich geschmückt. Auf den Tischen standen wie immer große Schilder aller 40 ostpreußischen Kreise mit Besucherlisten, in die sich die Landsleute eintragen und finden konnten. Fast 200 Gäste waren erstmalig dabei. Um 10 Uhr begann die Fest- und Feierstunde, vom Jugendblasorchester Grimmen mit seinem Leiter Volkmar Doß auf hohem musikalischem Niveau umrahmt. Der Landesvorsitzende der Ostpreußen in Mecklenburg-Vorpommern, Manfred Schukat, eröffnete das Treffen und begrüßte die Teilnehmer und Ehrengäste, darunter 120 Landsleute direkt aus allen Teilen der Heimat – dem heute polnischen Ermland-Masuren, dem russischen Königsberger Gebiet und dem litauischen Memelland. Warum gibt es immer noch solche Treffen fast 70 Jahre nach Kriegsende? Manfred Schukat gebrauchte ein Beispiel: Vor Jahren waren die Königsberger Zeitungen voll von einer Meldung – dort waren offenbar vor der Flucht vergrabene Weckgläser gefunden, geöffnet und von Lebensmittelchemikern untersucht worden. Das eingeweckte Fleisch war nicht nur essbar, sondern es schmeckte sogar noch sehr gut. So sei es auch mit Ostpreußen – nicht nur von gestern, sondern erlebbar und genießbar, man brauche nur hinzufahren. Manfred Schukat lud die Landsleute ein, mit Kindern und Enkeln die Heimat zu besuchen. Nun folgte der traditionelle Einzug der Heimatfahnen. Unter den Marschklängen des Jugendblasorchesters wurden die Fahnen sämtlicher ostpreußischer Heimatkreise aufgerufen und in die Halle getragen – ein emotional sehr bewegendes Erlebnis. Das geistliche Wort sprach der Demminer Propst Gerd Panknin, dessen Frau ostpreußische Wurzeln in Piktupönen hat. In der Familie wurde bis heute eine Holztafel aus dem Memelland mit dem Spruch „Bete und arbeite“ aufbewahrt, welche der Pfarrer seinen aufmerksamen Zuhörern präsentierte. Zum gemeinsamen Vaterunser und dem folgenden Totengedenken erhoben sich die Besucher und stimmten anschließend in ihre Heimathymne – das Ostpreußenlied – ein. Als erster Ehrengast sprach der litauische Botschafter zu den Teilnehmern. Der höchste diplomatische Vertreter seines Landes in Berlin ging auf die jahrhundertelangen friedlichen und fruchtbaren Verbindungen zwischen Litauen und Ostpreußen ein und würdigte das Schicksal der ostpreußischen Wolfskinder und ihrer litauischen Retter nach dem Kriege. Von der Veranstaltung zeigte sich der Botschafter sehr angetan und lud seine Zuhörer ein, das heutige Litauen zu besuchen. Wie schon im Vorjahr hatte die Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder, die Schirmherrschaft über das Landestreffen übernommen. Sie überbrachte die Grüße der Landesregierung und betonte, wie wichtig solche Veranstaltungen für die gesamtdeutsche Erinnerungskultur sind. Um ihren Worten den nötigen materiellen Nachdruck zu verleihen, überreichte sie unter starkem Beifall einen aktuellen Förderbescheid über 5.000 Euro für dieses Treffen an den Landesvorsitzenden Manfred Schukat. Namens der gastgebenden Kommune hieß Stadtpräsident Günter Rühs die Besucher willkommen, ehe der Bundessprecher der Landsmannschaft Ostpreußen das Wort ergriff. Stephan Grigat erlebte zum zweiten Mal ein Landestreffen in Mecklenburg-Vorpommern und beglückwünschte die Landesgruppe zu diesem Zuspruch. Der Festredner setzte drei Akzente: Ostpreußen lebt – sonst wären nicht so viele Menschen heute hier. Die Vertreibung der Ostpreußen war jedoch keine zwingende Folge des Krieges, sondern ein stalinistisches Unrecht, denn aus West- und Mitteldeutschland wurde niemand vertrieben. Aber: Die Ostpreußen fahren heute nicht in die Heimat, um etwas zu fordern, sondern um zu geben. Die Landsmannschaft bewahrt nicht nur die Geschichte und Kultur Ostpreußens, sondern entwickelt sie mit den heutigen Bewohnern weiter. Dann wartete der Sprecher mit einer großen Überraschung auf: Im Namen des Bundesvorstandes zeichnete er Manfred Schukat für seine Verdienste mit der zweithöchsten Ehrung der Landsmannschaft Ostpreußen, der Ottomar-Schreiber-Plakette, aus. Der so Geehrte rang sichtlich um Fassung, ob er dies wirklich verdient habe. Daran ließ aber der tosende Beifall keinen Zweifel. Glückwünsche, Grüße und Präsente aus der Heimat überbrachten Magdalena Piklaps für die Ostpreußen aus dem Memelland sowie Heinrich Hoch und Barbara Ruzewicz für den Dachverband der Deutschen in Ermland und Masuren. Sie gaben ihrer Freude Ausdruck, solch einen Tag unter Landsleuten erleben zu dürfen, und luden herzlich zum Gegenbesuch der Heimat ein. Hauptattraktion des Landestreffens wurde die Vorführung einer echten Trakehner-Stute vom Privatgestüt Jamel bei Schwerin. Während das Pferd unter den Marschklängen der „Feuerfestpolka“ in die Halle geführt wurde, hielt es die Ostpreußen nicht auf ihren Sitzen – sie spendeten kräftigen Applaus und die Fotoapparate blitzten. Pferdezüchter Rainer Janenz alias „Reitbursche Otto aus Trakehnen“ vermittelte einen kurzen Überblick über die Trakehner Zucht und gab auf Ostpreußisch noch „Die Brautschau“ von Alfred Lau zum Besten. Die Feierstunde endete mit der dritten Strophe des Deutschlandliedes, welche die Anwesenden stehend mitsangen. Nach der Mittagspause folgten zwei offizielle Grußworte: Für den Landesverband der Deutschen Kriegsgräberfürsorge sprach deren Geschäftsführer Karsten Richter aus Schwerin. Eine Spendensammlung im Saal erbrachte über 1.200 Euro zugunsten des Volksbundes, den eine fruchtbare Kooperation mit der Landsmannschaft Ostpreußen in Mecklenburg-Vorpommern verbindet. Die angebotene Online-Kriegsgräbersuche wurde am Informationsstand gleich rege genutzt. Von der benachbarten Landesgruppe Schleswig-Holstein grüßte deren Vorsitzender Edmund Ferner die Ostpreußen mit herzlichen und anerkennenden Worten. Die Veranstalter hatten ein ansprechendes Kulturprogramm vorbereitet und Chöre aus ganz Ostpreußen eingeladen. Die Landsleute aus Heydekrug, Memel, Gumbinnen, Lötzen, Heilsberg, Sensburg und Osterode hatten die weite Anreise mit Bussen nach Neubrandenburg nicht gescheut. So richteten sich am Nachmittag alle Augen auf die festlich geschmückte Bühne. Unter der bewährten Moderation von Heimatsänger Bernd Krutzinna („BernStein“) kamen alle Ensembles zum Zuge. Festlich gekleidet und stimmgewaltig trug der Chor „Heide“ aus Heydekrug deutsche und litauische Volks- und Heimatlieder sowie den Gumbinner Tanz vor. Informationen über die Vereinsarbeit gab die Vorsitzende Gerlinde Stunguriene, die an diesem Tag Geburtstag hatte. Eine Ohren- und Augenweide waren die jungen Mädchen vom deutsch-litauischen Hermann-Sudermann-Gymnasium Memel unter Leitung ihrer Musiklehrerin Asta Markeviciene. Mit zwei Programmen in verschiedenen Kostümen wartete der russische Kammerchor „Kant“ aus Gumbinnen auf. Als symbolischen Gruß hatten die professionellen Sängerinnen und Sänger ein Brot aus Gumbinnen mitgebracht. Doch damit nicht genug: Die Leiterin Tatjana Matwejewa und Manfred Schukat besiegelten während der Veranstaltung eine Partnerschaft der Landsmannschaft Ostpreußen in Mecklenburg-Vorpommern mit dem russischen Kulturhaus Gumbinnen, um die jahrelangen freundschaftlichen Beziehungen auf eine offizielle Grundlage zu stellen. Danach zeigten in bunten Kostümen die Chöre „Stimme der Heimat“ Lötzen, „Warmia“ Heilsberg und „Masurenklang“ Peitschendorf ihr Können, indem sie Heimatlieder und Gedichte vortrugen. BernStein verstand es, einige Mitwirkende selber am Mikrofon zu Wort kommen zu lassen. Er brachte bekannte und neue, oft selbstverfasste Ostpreußenlieder aus seinem Repertoire zu Gehör. Ein moderneres, aber desto flotteres Programm bot danach das Jugendensemble „Tannen“ Osterode. Als Krönung der steigenden Stimmung führten die Schülerinnen aus Memel eine lange Polonaise durch den ganzen Saal, der sich spontan viele Teilnehmer anschlossen. So herrschte bis zum Schluss eine frohe Atmosphäre in der großen Halle – kaum jemand wollte vor der Zeit nach Hause. Abgerundet wurde das Programm durch den maritimen Auftritt des Shantychores „De Klaashahns“ aus Rostock-Warnemünde, bevor alle Mitwirkenden zum großen Finale auf die Bühne gerufen wurden. Gemeinsam stimmten sie mit den Besuchern noch einmal das Ostpreußenlied an und reichten sich zum Zeichen der Verbundenheit die Hände. Ehe die Busse abfuhren, sprach Manfred Schukat das Schlusswort. Er dankte den vielen fleißigen Helfern für ihren enormen, zuverlässigen Einsatz und lud die Ostpreußen zum nächsten Landestreffen am 27. September 2014 in die Stadthalle Rostock und ebenso zum Deutschlandtreffen 2014 nach Kassel ein. Für das neue Jahr sind auch wieder zahlreiche Heimatfahrten geplant. Die Ostpreußen gehören zusammen, das hat dieses Landestreffen einmal mehr gezeigt.
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