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Ein langer, nicht immer einfacher Weg
Die Schriftstellerin, Journalistin und Buchautorin Ruth Geede, die „Mutter der Ostpreußischen Familie“, ist am 17. April im Alter von 102 Jahren verstorben. In der Preußischen Allgemeinen Zeitung wird die dienstälteste und hochgeschätzte Kollegin eine unfüllbare Lücke hinterlassen. Seit 39 Jahren leitete Ruth Geede die beliebte Rubrik „Ostpreußische Familie“, und sie hatte die feste Absicht, dies auch in Zukunft zu tun, zwar nicht mehr wöchentlich – im hohen Alter von 102 Jahren wollte sie etwas kürzer treten –, sondern ihrem eigenen Wunsch entsprechend im vierzehntäglichen Rhythmus. Aber es kam anders: Ein Sturz mit Knochenbruch und anschließendem Krankenhausaufenthalt hatte die Unermüdliche für einige Wochen vom Schreibtisch ferngehalten. Doch dorthin wollte sie unbedingt zurück, denn Ruth Geede hatte sich vorgenommen, bis zum letzten Atemzug zu schreiben, was ihr auch fast gelungen wäre. Sie befand sich bereits auf dem Wege der Genesung, als sie sich zum Mittagsschlaf hinlegte, um ein wenig auszuruhen. Von diesem wachte sie nicht mehr auf. Schreiben war Ruth Geedes Leben, es war ihr nicht nur ein Beruf, sondern Berufung. Insgesamt hat sie neben unzähligen Beiträgen für den Rundfunk, für Tageszeitungen und Magazine 50 Bücher verfasst. Sie schrieb Märchen, Kochbücher, Reiseführer, Kindergeschichten, wie auch plattdeutsche Stücke fürs Theater und nicht zuletzt ihre wöchentliche Rubrik im Ostpreußenblatt. Nun hat die ostpreußische Familie ihre gute Seele verloren. Ruth Geede war Mitarbeiterin der ersten Stunde des Ostpreußenblatts. Mit ihrer Gabe, Inhalte plastisch zu schildern, gab sie den Menschen mit der „Ostpreußischen Familie“ ein Stück Heimat zurück. Die Verstorbene verfügte über ein enzyklopädisches Wissen. Informationen waren stets aus dem Stegreif abrufbar. Bewunderte man sie für ihr bemerkenswerten Gedächtnis, pflegte sie zu sagen: „Der liebe Gott hat mir eben eine ganz schöne Festplatte eingebaut.“ Ruth Geede hatte einen feinsinnigen Humor. Wie kaum ein anderer Mensch der Erlebnisgeneration verkörperte sie Ostpreußen. Die Leser dankten es ihr mit Treue und Dankesschreiben. Ruth Geede erhielt körbeweise Briefe. Darin hieß es zum Beispiel: „Einfach wundervoll“. 1996 gab sie daher ein Buch gleichen Titels heraus, in dem sie viele der Erfolge zusammengetragen hat. Eigentlich war sie längst im Rentenalter, als Ruth Geede noch einmal richtig durchstartete. In ihrer Dachwohnung in Hamburg-Niendorf, die sie liebevoll ihren „Turm“ nannte, schrieb sie am PC, nicht etwa auf einer Schreibmaschine – schließlich wollte sie „am Ball“ bleiben. Damals, als sie ihr erstes Honorar für eine Märchensendung im Königsberger Rundfunk erhalten hatte, kaufte sie sich eine Schreibmaschine. Damit war der Grundstein für ihre spätere Karriere und ein außergewöhnlich langes Schaffen gelegt. Einen spürbaren Aufschwung erhielt die „Ostpreußische Familie“ noch einmal nach der sogenannten Wende, als neue Abonnenten und Suchende, die hinter dem Eisernen Vorhang keine Möglichkeit zur Familienforschung gehabt hatten, ihre Fragen an das Ostpreußenblatt richteten. Wo das Deutsche Rote Kreuz oder Heimatauskunftsstellen längst keine Antworten mehr über vermisste Angehörige liefern konnten, half Ruth Geede mit ihrer „Ostpreußischen Familie“. Mit preußischer Disziplin und Leidenschaft hat sie selbst jede noch so aussichtslos erscheinende Anfrage ihrer Leser bearbeitet. Ihr Verdienst ist es, unzählige Wünsche erfüllt zu haben. Über 100 Menschen, die sich Jahrzehnte lang aus den Augen verloren hatten, konnte sie zusammenbringen, aber sie half auch, alte Bücher, vergessene Gedichte und Lieder wieder zu entdecken. Die Menschen liebten sie dafür, dass sie sich Zeit nahm und ihnen aufmerksam zuhörte. Dabei traf sie in der „Familie“ immer den richtigen, verbindlichen Ton. Ruth Geede verglich sich einmal mit einer „Trümmerfrau“, die bemüht sei, seelische Trümmer wegzuräumen. Die Erfolge gaben ihr die Motivation, trotz aufwendiger und langwieriger Recherchen weiterzumachen. Für viele Leser war die „Ostpreußische Familie“ ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Teil der Zeitung. Ruth Geede verkörpert bis heute Ostpreußen und seine Menschen. Wie kaum ein anderer Autor verstand sie es, die Zuhörer vollständig in ihren Bann zu ziehen, wenn sie bei ihren zahlreichen Lesereisen aus ihren eigenen Werken vorlas. Dem Zuhörer erschloss sich geradezu bildlich die vergangene Welt, von der Ruth Geede erzählte. Mit Fug und Recht kann man die Verstorbene als Ausnahmeautorin bezeichnen: Sie konnte auf über 80 Berufsjahre zurückblicken. Sie verfügte über eine lange Lebenserfahrung, die anderen Orientierungshilfe sein konnte. Ruth Geede besuchte mit über 85 Jahren noch die wöchentlichen Redaktionssitzungen „ihrer“ Zeitung und befruchtete mit ihrer Berufserfahung und konstruktiven Vorschlägen die Arbeit der Kollegen. So verwundert es nicht, dass die Idee zur Umbennung des Ostpreußenblatts in Preußische Allgemeine Zeitung maßgeblich von ihr beeinflusst wurde. Die Umbennung sollte die preußischen Werte und Tugenden hervorheben, auf welche der Herausgeber sich beruft. Ruth Geede ging ihren Weg, wissend um die wichtigen Dinge im Leben. „Es war
ein langer, nicht immer leichter Weg“, wie sie selbst zugab. Ihr langer Weg
ist nun zu Ende. Es heißt Abschied nehmen von Ruth Geede, die nach
unermüdlicher Arbeit für die Ostpreußen ihre wohlverdiente Ruhe gefunden hat. Stationen eines arbeitsreichen Lebens Ruth Geedes Vita liest sich wie eine abenteuerliche Reise durch das vergangene Jahrhundert: Am 16. Februar 1916 erblickte sie mitten im Kriegswinter als Frühchen das Licht der Welt. Gerade einmal 36 Zentimeter maß sie und wog 2750 Gramm. Niemand hätte damals damit gerechnet, dass das „Saatkartoffelche“, wie ein Onkel sie scherzend nannte, einmal zu einer erfolgreichen Schriftstellerin heranwachsen würde. 1922 fand die erste Begegnung mit Agnes Miegel statt, als die kleine Ruth Geede ihren Vater, der als Quästor an der Königsberger Albertina arbeitete, in die Universität begleiten durfte. Sie sah die Dichterin im Säulengang der Albertina anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Agnes Miegel. Die Dichterin wurde Geedes Vorbild. Bei einer späteren Begegnung ermunterte Miegel das Nachwuchstalent zum Schreiben. Nach dem Krieg hielten sie Kontakt. Geede besuchte Miegel öfter an ihrem Wohnort Bad Nenndorf und schrieb die Laudatio zu deren 70. Geburtstag. 1933 durfte Ruth Geede, nachdem sie vorgesprochen und ein selbst geschriebenes Märchen eingereicht hatte, beim Reichssender Königsberg die „Kunterbunte Kinderstunde“ mitgestalten. Im gleichen Jahr wurde sie als jüngstes Mitglied in den Deutschen Schriftstellerverband aufgenommen, was als Ausnahme galt, denn das Mindestalter betrug 18 Jahre. 1934 hat Ruth Geede, erst 18 Jahre jung, ihre Karriere Autorin begonnen. Ihr erstes Buch „De Lävensstruuß“ schrieb sie mit 19. Es enthielt viele heitere und besinnliche Erzählungen. Von 1945 bis 1948 arbeitete Ruth Geede nach der Flucht aus Ostpreußen als Bibliothekarin, was sie aber nicht von ihrer großen Leidenschaft, dem Schreiben, abhalten konnte. In dieser Zeitspanne schrieb sie Schauspiele für Kinder und gab das Kinderjahrbuch „Das Karussell“ heraus. Sie setzte ihr schriftstellerisches Werk, das 1933 in Königsberg begonnen hatte, fort. 1948 hieß es zunächst, kleine Brötchen backen, als sie im niedersächsischen Dahlenburg einen Neuanfang als Volontärin bei der „Lüneburger Landeszeitung“ wagte, wo die gestandene Schriftstellerin das Journalisten-Handwerk „von der Pike auf“ lernen sollte. Viele Jahre später noch berichtete sie für die Zeitung aus Hamburg. 1955 heiratete sie, 38-jährig, den deutsch-chilenischen Exportkaufmann Guenter Vollmer-Rupprecht, den Sohn eines deutschen Kapitäns, der als Reise- und Wirtschaftsjournalist arbeitete. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie einen Pressedienst, der zahlreiche Redaktionen mit Material „fütterte“. Unter anderem hatten sie sich mit dem „Frauendienst (fd)“ selbstständig gemacht. Es erschienen viele journalistische Arbeiten unter ihrem Ehenamen Vollmer-Rupprecht. Als Schriftstellerin verwendete sie jedoch weiterhin ihren Mädchenname Geede. Aus der Ehe ging der einzige Sohn Roderich hervor, der in die Fußstapfen seiner Eltern trat und den Beruf des Journalisten wählte. 1979 übernahm Ruth Geede die Rubrik „Ostpreußische Familie“ im Ostpreußenblatt von ihrer Vorgängerin Ruth Maria Wagner, die ebenfalls aus Königsberg kam. Sie war es auch, die ihre Kollegin Anfang der 50er Jahre zum Ostpreußenblatt gebracht hatte. Ursprünglich als eine Art Schwarzes Brett gedacht, entwickelte sich die „Familie“ zu einer wichtigen Institution, an die sich Suchende aus aller Welt wendeten. 1985 wurde Ruth Geede für ihre Verdienste das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Als 1989 ihr Mann Guenter viel zu früh verstarb, stürzte Ruth Geede sich noch intensiver in die Arbeit. 1991 erhielt die Journalistin als Auszeichnung für ihre Verdienste um Ostpreußen und die „Ostpreußische Familie“ im Rahmen des Deutschlandtreffens in Düsseldorf den Kulturpreis für Publizistik der Landsmannschaft Ostpreußen (LO). Das Motto des damaligen Deutschlandtreffens „Heimat verpflichtet“ sei auch Leitwort für die Arbeit von Ruth Geede, hob Volker Schmidt, Leiter der Kulturabteilung der LO, in seiner Laudatio hervor. Mit dem Preußenschild, der höchsten Auszeichnung der LO, wurde Ruth Geede während des Deutschlandtreffens 2000 in Leipzig geehrt. Nach Agnes Miegel und Frida Todtenhaupt war Ruth Geede die dritte Frau, die den Preußenschild erhalten hat. 2002 erhielt Ruth Geede die Goldene Ehrennadel des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Ruth Geede – das sind 102 Jahre gelebtes Ostpreußen. Sie wird
unvergesslichen bleiben. In Anthologien ist ihr Name bereits heute neben
bedeutenden Ostpreußen wie Alfred Brust, Lovis Corinth, Simon Dach, E.T.A.
Hoffmann, Agnes Miegel, Louis Passarge zu finden. MRK
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