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Ein Kartenhaus bricht zusammen
Die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt offenbarte die
Rückständigkeit Preußens
von Manuel Ruoff
Preußen, dem so gerne nachgesagt wird, daß es
kriegslüstern sei, verhielt sich während der napoleonischen Kriege lange
auffallend passiv und neutral. Der König war friedliebend und wenig
entschlußfreudig, das Land war mehr mit der polnischen als mit der deutschen
Frage beschäftigt und die Außenpolitik hoffte, als lachender Dritter aus den
Kriegen zwischen den anderen Großmächten hervorzugehen. Und Napoleon, der die
Gegner seiner Weltherrschaftsambitionen verständlicherweise lieber nacheinander
als alle auf einmal niederzuringen versuchte, gelang es, die Preußen bis nach
der Schlacht von Austerlitz hinzuhalten.
Nachdem Bonaparte Rußland und Österreich bei
Austerlitz geschlagen hatte, konnte er sich nun Preußen zuwenden. Am 7. Oktober
1806 drang der Kaiser der Franzosen mit 160000 Soldaten in Thüringen ein und
eröffnete damit den sogenannten Vierten Koalitionskrieg. In diesem Krieg stand
Preußen dem Kaiserreich weitgehend isoliert gegenüber. Abgesehen von
halbherziger russischer Hilfe stand nur die Nicht-Großmacht Sachsen an seiner
Seite. Nach einem Vorhutgefecht bei Saalfeld, bei dem der preußische
Hoffnungsträger Prinz Louis Ferdinand fiel, erlitt das Königreich in der
Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober eine vernichtende
Niederlage.
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Der tödlich verwundete Herzog von Braunschweig wird aus der Feuerlinie
geführt:
Mit dem frühen Ausfall ihres Oberbefehlshabers wurden die Preußen in
der Schlacht
buchstäblich kopflos, da der König, von dem es hieß, daß seine
liebste Zeit stets
die Bedenkzeit gewesen sei, sich zu einer zeitnahen
Entscheidung über die
Nachfolge nicht durchringen konnte. (Archiv) |
Die Niederlage von Jena ist weniger verblüffend.
Hier waren die Franzosen zahlenmäßig überlegen. Der Armee des Generals Friedrich
Ludwig Fürst zu Hohenlohe-Ingelfingen mit ihren 38000 Mann und dem Korps von
General Ernst von Rüchel mit 15.000 Mann stand die Hauptstreitmacht der Franzosen
unter dem Befehl Napoleons gegenüber. Zu den 55600 Mann, über die Bonaparte
bereits am Morgen des 14. Oktober verfügte, kamen bis 11 Uhr weitere 22.300 und
bis Mittag nochmals 18000. 95900 von Napoleon kommandierten Franzosen (von denen
allerdings nur 54000 unmittelbar eingesetzt wurden), standen nur 53000 Mann
unter preußischem Kommando gegenüber. Angesichts dieser Konstellation kann der
französische Sieg kaum verblüffen. Die Franzosen schlugen die Preußen und deren
sächsische Verbündete in die Flucht. 7500 verwundeten und getöteten Franzosen
standen 10000 preußische und sächsische Verwundete und Tote gegenüber, zu denen
noch einmal 10000 durch Gefangennahme verlorene Soldaten kamen.
Viel erschreckender war die preußische Niederlage
von Auerstedt, denn hier wurde die fünf Divisionen und eine leichte Brigade
umfassende preußische Hauptarmee mit ihren zusammen 49800 Mann von einem Korps
unter dem Kommando Louis Nicolas Davouts geschlagen, das mit seinen drei
Divisionen und einer Kavalleriebrigade gerade einmal 27300 Mann aufzubieten
wußte. Noch erdrückender war die zahlenmäßige Überlegenheit Preußens bei
Kavallerie und Artillerie. 8800 Reitern in 80 Eskadronen auf preußischer Seite
standen nur 1300 Reiter in neun Eskadronen auf französischer gegenüber, 230
Geschützen auf der Seite Preußens nur 44 auf jener Frankreichs. Und dennoch
verloren die Preußen die Schlacht von Auerstedt wie jene von Jena. 7000
verwundeten oder gefallenen Franzosen stehen 10000 preußische Verwundete und
Tote gegenüber. Hinzu verlor Preußen 3000 Mann durch Gefangenschaft. Wenigstens
gelang den Preußen ein geordneter Rückzug bis sie mit den ungeordnet
zurückflutenden Verlierern von Jena zusammenstießen. Statt das letztere
aufgefangen und in den geordneten Rückzug integriert worden wären, steckten sie
die Verlierer von Auerstedt mit ihrer Kopflosigkeit an, so daß der gemeinsame
Rückzug in der Nacht zum 15. Oktober in einem Fiasko endete.
Trotz alledem wäre die Doppelniederlage von Jena
und Auerstedt nur halb so demoralisierend gewesen, wenn sie nicht aufgedeckt
hätte, zu welch zerbrechlichem Kartenhaus sich die Armee und mit ihr der Staat
der Preußen seit den Tagen Friedrichs des Großen entwickelt hatten. Überheblich
und voller Dünkel hatte man sich auf den Lorbeeren Friedrichs II. ausgeruht und
von dessen Nimbus gelebt. Die Formen Friedrichs des Großen hatte man akribisch
gewahrt, aber die Dynamik war verlorengegangen. Der Anachronismus des
preußischen Feudalismus war im Kampf mit der fortschrittlichsten Großmacht des
Kontinents offenbar geworden. Preußen brach ähnlich einem Kartenhaus zusammen.
Bereits elf Tage nach der Doppelschlacht marschierten die Franzosen in die
Hauptstadt Berlin ein. Schließlich mußte Preußen trotz aller Härten des Friedens
von Tilsit sogar froh sein, daß es diesen Krieg überhaupt als Staat überlebte.
In all dem Elend, das die preußische Niederlage der Zivilbevölkerung brachte,
hatte sie doch wenigstens etwas Gutes. In der Stunde der Not erhielten Preußens
Reformer endlich eine Chance.
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