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Berlin soll wieder zahlen Muß Deutschland wegen Massakern im Jahre 1944 Entschädigung an Italien zahlen? Das Auswärtige Amt bestreitet das, doch italienische Richter sind unnachgiebig. Vor knapp zwei Wochen schwangen die Richter des Obersten Zivilgerichts in Rom erneut den Hammer. Sie verurteilten Deutschland dazu, rund 800.000 Euro an Angehörige von NS-Opfern zu zahlen. Konkret geht es um das Massaker im toskanischen Civitella. Dort ermordete am 29. Juni 1944 eine SS-Einheit, vorgeblich als Vergeltung für einen Anschlag italienischer Partisanen, brutal über 200 Zivilisten – darunter zahlreiche Frauen, Kinder und Alte. Die Soldaten vergewaltigten etliche Frauen und töteten mit Genickschüssen den Priester und die Gläubigen, die sich zur Messe in der Dorfkirche versammelten hatten. Unter den Beteiligten war auch der heute 88jährige Unteroffizier Max Josef Milde, den das Militärgericht in La Spezia schon 2006 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt hatte. Das Kassationsgericht bestätigte nun das Urteil gegen Milde und forderte die Bundesrepublik auf, die Hinterbliebenen der Opfer finanziell zu entschädigen. Doch Deutschland verweigert die Zahlung und pocht weiterhin auf das weltweit anerkannte Prinzip der Staatenimmunität, wie der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Jens Plötner, bestätigte. Der offizielle Anwalt Deutschlands, Augusto Dossena, warnte davor, internationale Verträge durch die Zulassung von Einzelklagen zu unterlaufen und damit „die Büchse der Pandora“ zu öffnen. Schließlich könnten dann Kriegsverbrechen zwischen allen europäischen Staaten strafrechtlich verfolgt werden – mit unberechenbaren finanziellen und diplomatischen Risiken. Italien selbst müßte bangen, für seine Greueltaten unter der Federführung des Duce in Albanien, Griechenland, Jugoslawien, Libyen und in Äthiopien zur Rechenschaft gezogen zu werden. Nicht zu reden von den Algeriern, die alte Rechnungen mit Frankreich aufmachen könnten. Oder vom Balkan, auf dem alte Konflikte durch wechselseitige Forderungen zwischen Serben, Kroaten und anderen Völkerschaften neu aufflammen könnten. Dossena argumentiert ferner, die Ansprüche Italiens seien bereits mit dem Friedensvertrag von 1947 und einem Wiedergutmachungsabkommen von 1961 erfüllt worden, bei dem Deutschland damals 40 Millionen D-Mark für italienische Zwangsarbeiter und jüdische Opfer zahlte. Die italienische Generalstaatsanwaltschaft hält dagegen, diese Verträge würden „moralische Schäden bei Nazi-Massakern“ nicht betreffen und das Prinzip der Staatenimmunität gelte nicht bei derartigen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Italienische Beobachter schätzen, daß Deutschland eine Prozeßwelle mit etwa 10.000 ähnlichen Fällen ins Haus steht. Schon im Juni dieses Jahres zeigte Italien der Bundesrepublik in der Entschädigungsfrage die Zähne. Da entschied der Kassationshof in Rom, daß ehemalige italienische Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland deportiert worden waren, den deutschen Staat auf Schadensersatz verklagen dürfen. Damit gaben die Italiener auch den Opfern des SS-Massakers im griechischen Distomo Recht, denen Deutschland trotz einer rechtskräftigen Verurteilung durch das oberste griechische Gericht bisher keine Entschädigung gezahlt hat. Um die Bundesrepublik doch noch zur Zahlung zu bewegen, droht Italien nach wie vor an, die Villa Vigoni zwangsversteigern zu lassen.
Das edle Tagungszentrum am Comer See war eine Schenkung an die Bundesrepublik Deutschland von Don Ignazio Vigoni Medici di Marignano. Die Villa und das dort ansässige deutsch-italienische Kulturzentrum werden heute vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom italienischen Außenministerium verwaltet und sind somit eine der wichtigsten Begegnungsstätten der bilateralen Beziehungen. Eine Enteignung und Zwangsversteigerung der Villa würde zum Eklat führen. Deutschland prüft nun, ob es die Angelegenheit
vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen soll. Die
deutsch-italienischen Beziehungen könnten durch die Opferansprüche einerseits
und die jeweiligen Staatsinteressen andererseits empfindlich zwischen Hammer und
Amboß geraten.
PAZ 05.11.2008: Diskutieren
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