|
|
»Moment mal!« Sind Vertriebene Nazis? Natürlich nicht. Aber man kann bei jedem Heimattreffen hören, daß wir uns, bevor wir unserer verlorenen Heimat gedenken, erst einmal für die im Krieg begangenen Verbrechen der National-sozialisten entschuldigen sollen. Die an uns und an unseren Eltern begangenen Kriegsverbrechen sollen wir verstehen. Als Reaktion auf den Krieg, als Racheakte. Die Medien rufen uns immer wieder zur Verständigung und Versöhnung auf. Mit den polnischen Nachbarn vor allem, den Tschechen, den Russen, den jüdischen Mitbürgern und den restlichen Völkern der Welt. Man kann ganz sicher sein, daß diese Aufrufe auch auf dem diesjährigen Ostpreußentag zu Pfingsten wieder zu hören sein werden. Jetzt ist glücklich, nach vielem Hin und Her und gegen den Willen von Herrn Thierse, das sogenannte „Sichtbare Zeichen“ beschlossen worden. Eine ständige Ausstellung über Vertreibungen. Aber gleich werden wir ermahnt, erst mal den Polen und Tschechen die Hand zur Versöhnung zu reichen. „Selbstverständlich!“, sagen die Vertriebenen. Wir waren ja die ersten, die 1950 in der „Charta der Vertriebenen“ den Polen und Tschechen die Bereitschaft zur Verständigung angeboten haben. Habt ihr das vergessen? Doch man muß offen sagen, daß die Versöhnungsbereitschaft der Polen und Tschechen schon mal größer – und ehrlicher – war. Warum wohl? Das Verhältnis wurde von Jahr zu Jahr schlechter, nachdem sich der Beitritt Polens und Tschechiens zur EU abzeichnete. Angeblich lag das an den Plänen der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen, der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach, in Berlin ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu errichten, in dem das Schicksal der 15 Millionen Deutschen, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, registriert, gesammelt, erforscht und für die Nachwelt dokumentiert werden sollte. Seitdem dieser Plan quer durch die deutschen Parteien (mit Ausnahme der Grünen und der Nachfolger der SED, versteht sich) breite Zustimmung fand, mehrten sich die Angriffe aus Warschau und Prag. Man wollte den polnischen Hausbesitzern und Bauern Angst machen, daß sie die Gebäude, den Grund und Boden, die Milliardenwerte, die ihnen der Staat aus beschlagnahmtem deutschen Privatbesitz übereignet hatte, womöglich zurückgeben müßten. Wie wäre es, fragten sich einige Polen, wenn eines Tages die Erben der früheren deutschen Grundstücke und Häuser sich melden würden? Das Erbrecht an Immobilien verfällt bekanntlich nicht. Reden müßte man darüber unter EU-Bürgern ja mal können. „Verloren ist verloren“, sollen die ostpreußischen oder schlesischen und sudetendeutschen Bauern sagen, die Haus und Grundstücke verloren haben, „das war Hitlers Krieg“. Warum aber sollen gerade sie dafür bezahlen? Selbst wenn wir einmal die erkennbar absurde These von Lea Rosh zugrunde legen würden, daß die Deutschen ein „Tätervolk“ seien, und also auch ihre erbberechtigten Enkel und Urenkel bis ins siebente Glied für Hitlers Krieg zahlen müßten – warum zahlen dann nur die Erben der Bewohner von Danzig, Stettin oder Breslau und nicht die Erben aus Köln oder Hamburg? Das Rechtsgut (Haus oder Boden) ist ja nicht untergegangen, es ist nur von jemand anders, einem Polen oder Tschechen, in Besitz genommen worden. Arglos. Man hat ihm gesagt, daß die Deutschen durch den verlorenen Krieg jeden Anspruch auf ihr Eigentum verloren hätten. Pech für die Pommern, Schlesier, Danziger, Ostpreußen und Sudetendeutschen. Doch jedermann weiß, daß es in der Rechtsgeschichte kein Tätervolk gibt, sondern nur Ansprüche. Deshalb bewahren die Palästinenser aus dem Westjordanland immer noch ihre Grundbuchauszüge von 1967 auf, obwohl ihr Land von anderen gewaltsam in Besitz genommen wurde, übrigens auch infolge eines verlorenen Krieges. Das Land ist verloren, die Ansprüche auf ihr Eigentum behalten sie. Die Ansprüche der deutschen Vertriebenen auf ihr Eigentum hat die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder gegenüber Polen und Tschechien für null und nichtig erklärt. Das war sehr leichtfertig, denn der Verzicht auf das Privateigentum von Bürgern der Bundesrepublik muß auch nach EU-Recht Bestand haben, und die Ansprüche der Erbberechtigten werden sich nun gegen die Bundesrepublik Deutschland richten. Und das könnte sehr teuer werden. Der minimale Lastenausgleich im Westen des Landes um 1952 war ausdrücklich als Abschlagszahlung deklariert. Vier Provinzen sind nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Die von der gerade wiedergewählten Frau Steinbach vertretene Mehrheit der Vertriebenen aber will diese Ansprüche bekanntlich nicht betreiben. Das ist mehr als Versöhnungsbereitschaft. Polen und Tschechen wissen das auch, und es wäre jetzt an der Zeit, daß sie das auch einmal öffentlich aussprechen. Es geht um Gerechtigkeit, um das Recht auf Heimat und das Recht auf Trauer. Statt zu trauern, sollten wir jetzt, nach 63 Jahren, einen Beitrag zur europäischen Völkerverständigung leisten und den Polen und Tschechen die Hand zur Versöhnung reichen. Das klingt so, als hätte es die Charta der Vertriebenen von 1950 (!) nie gegeben, in der genau das mustergültig und für alle Zeiten aufgeschrieben stand: der Verzicht auf jede Revision und der Wunsch nach Versöhnung. Zu der Versöhnung aber gehört auch die Wahrheit. Wenn wir aber die Wahrheit über die Geschichte der Vertreibung herausfinden wollen, muß uns erlaubt sein, auch die ganze Wahrheit auszusprechen. Als meine Großmutter 1948 an dem ersten deutschen Grenzbahnhof ankam, hatte sie nicht einmal mehr Schuhe, eine leere Kunststoff-Handtasche und kein Gepäck, sondern nur das, was sie auf dem Leib getragen hatte. Kurz vor der Grenze war der Zug von polnischen „Partisanen“ angehalten und die 1.500 Insassen aus Danzig vollständig ausgeplündert worden. 1945 waren sie und mein Großvater trotz aller Warnungen in Danzig geblieben. Er war nicht in der Partei gewesen, aber er war Luftschutzwart in seinem Haus, das genügte. Er kam in ein russisches Lager am Rand der Stadt. Dort ist er nach einigen Wochen wegen Entkräftung zusammengebrochen und wurde von den Bewachern mit einem Spaten erschlagen. Ein Mithäftling hat es meiner Großmutter erzählt. Sie bekam einen kleinen Zettel von der „Kommandantur“, viel später, als die Polen schon die Verwaltung von Danzig übernommen hatten: „Tod durch Tuberkulose“. Sie selbst, 62 Jahre alt, wurde „nur“ vergewaltigt, immer wieder. Den zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, die bis 1949 in den Westen kamen, folgten bis 1994 noch einmal 3,5 Millionen Aussiedler. Außerdem flohen aus dem Gebiet der Sowjetzone, der späteren DDR, bis Ende 1989 4,6 Millionen. 20 Millionen Deutsche verloren ab 1944 Heimat, Vermögen und Land. Über zwei Millionen Menschen verloren durch Flucht und Vertreibung ihr Leben. Hitlers Deportationen und die Ermordung der europäischen Juden wurden im Nürnberger Prozeß als Kriegsverbrechen verurteilt. Zu Recht. Doch dieses in Nürnberg geschaffene Recht dürfte, wenn es dauerhafte Billigung der Völker finden sollte, nicht nur für eine beschränkte Gruppe von Menschen angewandt werden. Der Gedanke eines übergreifenden Rechts, nach dem alle Kriegsverbrechen strafbar sein müßten, lebt mit der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag fort. Dürfen aber die Kriegsverbrechen, die Massenmorde und Vergewaltigungen der Roten Armee, die Vertreibungsverbrechen der Tschechen und Polen nach einem anderen Maßstab beurteilt werden? Über die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen urteilte der englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russel schon am 23. Oktober 1945 in der Londoner „Times“: „In Osteuropa werden jetzt Massendeportationen von unseren Alliierten durchgeführt, und ein offensichtlich vorsätzlicher Versuch wird unternommen, viele Millionen Deutsche auszurotten, nicht durch Gas, sondern indem man ihnen ihre Häuser und Nahrung wegnimmt, um sie einen langsamen quälenden Hungertod sterben zu lassen.“ Allmählich spricht sich die volle Wahrheit herum. Und die heutige Koalitionsregierung, vor allem aber die CDU/CSU, sollte die Vertriebenen nun endlich als vollwertige demokratische Interessenvertreter betrachten und nicht länger als lästige Bittsteller, die man als langsam aussterbende Alte oder sogar als Ewiggestrige betrachtet. Sondern sie als eine wichtige – nicht nur bei Wahlen wichtige – Kraft in unserer Gesellschaft anerkennen. Deren Wunsch nach einer Gedenkstätte sie nun auch entsprochen hat, wie jetzt, ein Jahr vor den Wahlen (!) verkündet wird. Das ist gut so. Aber es gehört auch zur Sorgfaltspflicht einer verantwortungsvollen Bundesregierung, die Überlebenden der Vertreibung und ihre Erben gegen Diffamierungen im In- und Ausland in Schutz zu nehmen. Für die Vertriebenen ist das „Ende der Bescheidenheit“ angesagt. Klaus R. Röhls Buch „Verbotene Trauer“ ist zur Zeit vergriffen. Es wird gerade eine vierte Auflage gedruckt. www.klausrainerroehl.de.
Diskutieren
Sie diese Meldung in unserem Forum
Diese Netzseite ist optimiert für
800x600 / 1024x768 oder höher und 24 Bit Farbtiefe sowie MS-Internet Explorer 11.x
oder höher. |
|