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Die letzten
Tage von Königsberg bei Kriegsende 1945 Als im August 1944 fast ganz Königsberg durch zwei Bombenangriffe zerstört war, ging man doch daran, die Trümmerhaufen von den Straßen wegzuräumen, ja, die Straßenbahnen fuhren nach und nach wieder. Es schien so, als ob das Leben wieder normal werden sollte. Die Behörden fingen wieder an zu arbeiten, trotzdem die Gebäude zum Teil zerstört waren. Das Stadthaus hatte ganz sonderbar gewölbte Wände bekommen, gearbeitet wurde nur in den unteren Räumen; das Postscheckamt war ausgebrant. In notdürftig verschalten Räumen hausten der Volkssturm und eine technische Abteilung der Post. Das Postamt I, Poststraße, war noch vollkommen in Ordnung. Vom Schloß standen nur noch die Mauern. Der Tragheim war vollständig verschwunden. Ging man dort durch die ehemaligen Straßen, so erschrak man über die Stille, die dort herrschte. Auf dem Steindamm waren teilweise noch Häuser bewohnbar. Vom Schloß bis zur Kaiserstraße gab es nur Ruinen, und die Kaiserstraße nach dem alten Ostbahnhof war eine Stätte des Grauens. Von dem Unheil verschont waren vielleicht der Haberberg und zum größten Teil die Vorstädte, darunter die Hufen. Die Villa von Dr. Teichert war ausgebrannt, und die Hagenstraße in dieser Gegend hatte sehr gelitten. Bei uns waren in der Luisenallee die Blindenanstalt und Umgebung ausgebrannt, und bis zur Hindenburgstraße war die Flottwellstraße ein Opfer der Flammen. Die Königstraße war übel zugerichtet. ebenso ein Teil vom Roßgarten. Fahrenheitstraße und Umgebung waren fürchterlich. Dort wurden noch im Oktober Leichen ausgegraben. Maraunenhof war wenig beschädigt. Um die Gerhardtstraße herum war überhaupt nichts passiert. Wir lagen wie ein Eldorado inmitten der Verwüstung oder besser gesagt am Rande derselben. Von allen Kirchen standen nur die Haberberger, die Steindammer, die Lutherkirche, die Luisenkirche und vielleicht die neue in Ratshof. Von allen anderen standen nur die Mauern da. Die Speicher im Hundegatt brannten noch wochenlang. ebenso Kohlenhaufen auf der Altst. Holzwiese. Vielleicht hast Du das alles aber selbst gesehen. Unvergeßlich wird mir der Abend sein. an dem ich zum ersten Male in die ausgebrannte Stadt hineinkam. Es war zwei Tage nach der Katastrophe, und wir mußten mit Essen zur Stadt hinein. Es war schon Dämmerung, und unsere Fahrt ging über den Steindamm bis zur Wagnerstraße und in diese hinein. Überall nur ausgebrannte Ruinen, in denen zum Teil Stichflammen aus den Gasrohren kamen, dazu noch alles in beißenden Rauch gehüllt. Wir hatten uns einen Soldaten aufgelesen, der eine mächtige Stimme hatte. Er rief unseren Essenwagen aus, und aus allen Ecken und Winkeln kamen Gestalten herausgekrochen, verschmutzt, verbunden und zum Umfallen. Je dunkler es wurde, desto mehr Lichtchen tauchten auf, die die Leute in den Händen trugen, um etwas sehen zu können. Es war ein Bild zum Erbarmen und alles das ein Resultat von 1 1/2 Stunden. Ich hatte mich zu dem sogenannten Katastrophenblock gemeldet und war auch zu den Löscharbeiten eingesetzt. Dafür erhielt ich die Kriegsverdienstmedaille. Im Oktober 1944, als die Russen bei Gumbinnen standen, setzte eine panikartige Flucht aus Königsberg ein. Es gab Menschen, die den Bahnhof tagelang nicht verlassen hatten, um irgendeinen Zug ins Reich zu ergattern. Aber auch diese Angstperiode ging vorüber. Weihnachten 1944 war trostlos für mich. Am liebsten wäre ich aus dem Lazarett nicht nach Hause gegangen. Ich hatte wohl einen Baum besorgt. Alice hatte ihn geschmückt, die als Ausgebombte bei mir mit Bertha wohnte. Er wirkte fremd auf mich und erweckte kein weihnachtliches Gefühl. Dann kam der Januar 1945 und ein Tag, an dem zum ersten Male Geschützdonner zu hören war. Ella war von Insterburg auch nach Königsberg gekommen. Das Donnern hat seitdem auch nicht mehr aufgehört. Die Angriffe aus der Luft wurden immer häufiger. Sirenen gab es nicht mehr, es war ja alles zerschlagen. Hörte man Gesumme in der Luft, so knatterten meistens auch gleich die Maschinengewehre, und man mußte sich beeilen, in irgendein Haus hineinzukommen, bis die Luft wieder rein war. Am 28. 1. 1945 erschoß sich Wiesner in seiner Wohnung. Ich war da schon bei der Flüchtlingsbetreuung eingesetzt. Die Flüchtlinge aus der Provinz strömten in Scharen nach Königsberg hinein und mußten untergebracht werden. Also am 28.1.1945 lag die Gen.-Litzmann-Straße schon unter feindlichem Artilleriefeuer, das auf dem freien Gelände zwischen Polizei und Hufenbrauerei einschlug. Die Russen waren von Cranz um Königsberg herumgegangen, wir waren nach dem Samland eingeschlossen. Es gab keinen Weg mehr hinaus. Am 20.1. munkelte man schon von der Katastrophe. An diesem Tage ging der letzte Zug ins Reich. Am 21.1. konnte man auch mit der Bahn nach Braunsberg nicht mehr hinaus. Der Ring war zu. Königsberg war also eingeschlossene Festung, man konnte nicht mehr hinaus. Am 20.1. ging der letzte Zug nach Danzig. Der am 21.1. abging, mußte wieder zurückkommen. Noch vor Elbing wurde er beschossen. Im Samland waren die Russen vorgestoßen und hatten Metgethen besetzt. Dieser letzte Weg wurde nach 10-14 Tagen wieder freigekämpft, und der Flüchtlingsstrom ergoß sich aus der Stadt hinaus. Wie sah es nun in Königsberg aus! Das Herz tat einem weh, wenn man in die Stadt kam. Elektrische Bahnen fuhren nicht mehr. Überall wurden Barrikaden gebaut. Aber was für welche. Man mußte lachen, wenn man diese Gebilde sah. Die erste von uns war zwischen Nordbahnhof und Polizeipräsidium. Sie bestand aus übereinander geschichteten alten Mülleimern. Die zweite stand zwischen Stadthaus und Messe. Ihr diente ein quergestellter elektrischer Anhängewagen, ein zerschossenes Auto und mehrere Mülleimer. Dann habe ich noch die Barrikade in der Wrangelstraße erlebt, die diese Straße am Mitteltragheim absperrte. Am Oberteich - Cäcilienallee - hatte man die schönen Bäume gefällt und quer über die Straße gelegt, daß nur eine schmale Durchfahrt frei blieb. Auf den Hufen war eine vom Hufengymnasium nach der Hornstraße aufgebaut, auf beiden Seiten eine Ansammlung von Gemüll, in der Mitte eine Schranke mit einem Volkssturmmann davor. Alle diese Gebilde sollten die Panzer aufhalten. Am Straßenpflaster wurde nichts mehr gemacht; es hatten sich tiefe Löcher überall gebildet, und der Dreck, verursacht durch die Schneeschmelze und den alten sowie neu hinzugekommenen Schutt, war groß. Der Tiergarten war öffentlich geworden. Im Palmensaal waren Pferde untergestellt, im großen Saal ein Lazarett eingerichtet. Da, auf dem sonst so gepflegten Hauptweg, ist es mir passiert, daß mein Schuh im Dreck steckenblieb. In dieser Zeit bin ich weiter als bis zum Kaiser-Wilhelm-Platz nicht gekommen. Mir standen die sonderbarsten Fuhrwerke für meine Lazarettarbeit zur Verfügung: ein Rollwagen, auf dem man bei dem Pflaster wie ein Gummiball emporsprang, ein geschlossener Wäschewagen von Schwerend, mit dem auch die Leichen transportiert wurden, und eine elegante Hochzeitskutsche aus dem vorigen Jahrhundert. Wer dieses Vehikel aufgefunden hatte, weiß ich nicht. Ich habe es nicht benutzt, ich kam mir darin zu albern vor. Da war mir der Rollwagen schon lieber, wenn ich auch jedes Mal meine Knochen beinahe zusammenrichten mußte. Das Lazarett Maraunenhof lag unter Beschuß. Die Verwundeten waren in den Hufenschulen, im Tiergarten und in der Schubertstraße in Villen untergebracht. Einmal bin ich noch hinausgefahren, und zwar sehr feudal: in einem großen Omnibus, bestückt mit Flak und in Begleitung eines Feldwebels und drei Mann. Es war ein herrlicher Wintertag voll Sonne, weit und breit keine Menschenseele, sogar der Beschuß hatte aufgehört für einige Zeit. Ich fand von meinem Material, das ich holen wollte, nichts vor. Alles war aufgebrochen und gestohlen worden. Die Panzer-Division Groß-Deutschland hatte nach ca. 14 Tagen bis drei Wochen den Weg nach Pillau frei gemacht, den Russen also zurückgeschlagen. In dem Fritzner Forst, also im Norden von Königsberg, saß er fest, und wir wunderten uns, weshalb er von dort nicht vertrieben wurde. Er beschoß die Stadt weiter und rückte auch näher an sie heran. So hatte er Tannenwalde erreicht und lag dort unserem Volkssturm gegenüber. Die Kämpfe müssen nicht einfach gewesen sein, wie ich von Verwundeten hörte, die teilweise zu Fuß in die Lazarette strömten. Die Schwerverwundeten wurden von den leichter Verletzten geführt oder gar getragen. Solche Elendsgruppen konnte man öfters auf unserem Ende antreffen. Das Herz drehte sich einem im Leibe herum. Aus der Luft wurden wir öfters belegt, aber wenn es nicht stundenlang andauerte, machten wir uns nichts daraus. Im Gegenteil, wenn das Krachen einmal aussetzte, kam es uns unheimlich an. So ging es bis zum 1.4.1945. Dann nahm die Kampftätigkeit rasch zu; es schien der letzte Sturm zu sein. Jedenfalls war die Hölle plötzlich los - Artillerie, Flieger und Stalinorgel. Als ich die letztere das erste Mal auf der Straße erlebte, dachte ich, die Welt ging unter. Der Russe hatte inzwischen das Wasserwerk erreicht, und die Schleiermacherstraße war Hauptkampflinie. Da kam von der Ortsgruppe am 7.4.1945 der Befehl, die Bevölkerung soll in das Innere der Stadt. Ich hielt es für Wahnsinn, denn von uns aus konnte man eventuell doch noch hinaus. Bertha und Alice wollten jedoch in die Stadt hinein, und ich übernahm es, erst einmal allein zu versuchen, dort hinzukommen. Mit dem Luftschutzgepäck krochen eine Frau und ich durch die geöffneten Mauereinbrüche, die die einzelnen Häuser miteinander verbanden. An der Wäscherei in der Beeckstraße mußten wir auf die Straße, hier riß die Verbindung ab. Die Beeckstraße stand noch heil da. Bei Beschuß aus der Luft mußten wir in die Häuser hinein, bis zur Beethovenstraße kamen wir aber gut hin. Dort fing das Chaos an. Die Straße war nicht wieder zu erkennen. Ich wollte durch den Tiergarten. Kurz vorher war jedoch ein riesiger Bombenkrater, durch den wir nicht hindurchkonnten, ohne beschossen zu werden. Wir gingen also die Beethovenstraße entlang. Die Bäume in ihr waren früher mit Sprengladungen versehen und jetzt gesprengt. Die ganze Straße war schwarz von Pulver, und das Holz deckte sie, in kleine Stücke gerissen, vollständig zu. Dazwischen lagen die Drähte der elektrischen Bahn und die Glasscherben der Fenster. Die Zäune der Vorgärten waren mit in die Luft geflogen. und die Straße wirkte jetzt unendlich breit. Die Häuser standen nur als Ruinen da, brannten teilweise noch und waren zusammen gestürzt. Wer Königsberg nicht kannte, wußte nicht, wo er sich befand. Die Reichardstraße wies wenigstens keine Bombenkrater auf, durch sie konnten wir hindurchgehen, Hermannallee und weiter zur Schubertstraße. Dort erwischte uns aber ein großer Bombenangriff, und wir konnten immer nur von Keller zu Keller laufen. Die Häuser in der Schubertstraße standen noch so ziemlich, und in ihren Kellern lagen Panzertruppen, die in Ponarth eingesetzt wurden und dort kämpften. Mit der Zeit gelangten wir bis zum Nordbahnhof. Mehr als drei Stunden hatte man gebraucht. Das Polizeipräsidium stand noch, das Landgericht ebenfalls. Der Nordbahnhof brannte und war im Zusammenbrechen. Anfangs hatte ich eine gewisse Angst, zu meinen Arbeitsstellen zu gehen. Es war auch sonderbar, wenn einem fast dauernd etwas über dem Kopf hinsauste. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran. Nur wenn aus der Luft geschossen wurde, nahm ich Deckung. Es war nicht selten, daß auf den Straßen verendete Tiere und tote Menschen lagen. Auf dem Platz vor dem Nordbahnhof wurden Soldaten und Volksstürmer erschossen, die sich irgend etwas zu Schulden kommen ließen. Sie blieben einige Zeit dort liegen und bekamen ein Schild: »Ich war feige.« Viel Vieh war in die Festung getrieben. und es hieß. wir könnten uns 3-4 Jahre halten. Essen holten wir uns aus den Fleischwarenwerken, bekamen auch nebenbei so mancherlei und lebten, was Verpflegung anbetraf, wirklich gut. Es wurde uns alles kostenlos geliefert, Geld brauchte man keins. Als der Weg nach Pillau wieder frei wurde, kam das Geld wieder zu seinem Recht. Die Gerhardtstraße hatte auch schon recht viele Arri-Treffer. Die Russen schossen jedoch mit Übungsmunition vom Stablack, die nicht explodierte. Unser Haus war noch immer verschont geblieben, rechts und links, vorn und hinten klafften schon vielfach Löcher in den Mauern. Wir waren zu Urmoneits hinunter gezogen und waren die einzigen im Hause, zu denen allmählich Flüchtlinge aus Ponarth, Rosenau, Kohlhof etc. hinzukamen. Schlafen taten Bertha und Alice im Luftschutzkeller, Ella und ich noch oben. Wir hielten uns auch noch viel oben auf. Nur wenn Bomben fielen, türmten wir. Wir hatten uns an das Donnern und Schießen schon so gewöhnt, daß wir unruhig waren, wenn einmal Ruhe war. Die brennenden Fensterrahmen fielen auf den Platz. Über den Adolf-Hitler-Platz wagten wir uns nicht hinüber; das wäre bei dem Luftbeschuß mehr als Leichtsinn gewesen. Zudem wären wir auch nicht mehr in die Stadt hineingekommen. Diese lag wie eine grau-blaue Dunstwolke vor uns. über der nach allen Richtungen nur Feuerzungen zu sehen waren. Was von Königsberg noch gebrannt haben mag. weiß ich nicht; es waren ja nur Trümmer darin noch enthalten. Wir gingen also wieder zurück, der Rückweg ging etwas besser vonstatten. Zu diesem brauchten wir nur etwa zwei Stunden. Von der Brahmsbrücke sahen wir, daß die Gegend ums Schauspielhaus in Flammen stand. Jetzt brannte auch die Hermannallee. Aus der Wohnung meines Zahndoktors Wetzker schlugen die hellen Flammen hinaus. Wir waren bis zur Tiergartenstraße gegangen und wollten durch diese hindurch. Durch einen tiefen Krater mußte man sich durcharbeiten, der mit Wasser an den tiefsten Stellen gefüllt war. Die Tiergartenstraße war vollständig ausgebrannt. Und nun kommt das Merkwürdige. Als wir wieder zur Beeckstraße kamen, lag diese vollständig in Ordnung vor uns, ebenso die Gerhardtstraße. Die Artillerietreffer hatten wohl die Wände durchschlagen, aber die Häuser standen, nichts brannte. In unserer Wohnung war im Eßzimmer die erste Fensterscheibe des ganzen Hauses kaputtgegangen. Die Fensterscheiben der anderen Häuser waren zum größten Teil erledigt. Wie ein Eldorado lag unsere Straße inmitten der Zerstörung. Ein Bombenkrater lag lediglich auf dem Platz inmitten des Blocks uns gegenüber. Das war mein letzter Gang in die Stadt. Am Landgraben/Ecke Hindenburgstraße brannte das Haus mit dem Restaurant von Ramott. In der Nacht um halb ein Uhr soll dieses Feuer durch die Hindenburgstraße die Ecke Gerhardtstraße erreicht haben und um ein Uhr gab es den Befehl, die Stadt zu verlassen, der Russe wäre nicht aufzuhalten. Wir sollten durch den Tiergarten, Golzallee, Pillauer Landstraße auf das Geleise der Pillauer Bahn bis zum Wurzelkrug. Ich bin noch durch die Pillauer Landstraße gegangen, an unserem Friedhof vorbei. Einen Blick von außen über den Zaun habe ich noch geworfen, dann ging es weiter. Durch die Lawsker Allee bin ich gewandert, die Luisenkirche stand noch, der Juditter Bahnhof war nur noch ein kleiner glimmender Haufen, und die Häuser auf unserem Wege brannten teils oder waren ausgebrannt. Die Leitungen der Bahn (elektrische) lagen auf der Straße. In der Dunkelheit konnte man wenig sehen, und als es hell wurde, hingen mir nur so die Flicker vom Körper. Nun noch Berichte von Leuten, die in Königsberg geblieben waren. Am 8. 4.1945 morgens sind wir hinausgegangen. Gegen Mittag war der Russe in der Kunkelstraße, und abends war der Tiergarten Hauptkampflinie, die der Volkssturm verteidigte. Weiter nach Westen ging die Hauptkampflinie durch die Fürstenteichschlucht. Am 8.4.1945 wurde auch noch im stark beschossenen Schloß Volkssturm zusammengezogen, der sich aber dann versuchte ins Samland hinauszukämpfen, schließlich aber gefangengenommen wurde. Bis Juditten war alles schon von russischen Posten besetzt. Vom Schloß soll nur noch ein Turm stehen. Der Schloßteich soll zugeschüttet sein. Unsere ganze Gegend bis zum Tiergarten ist ein einziges Trümmerfeld. Es stehen: Polizeigebäude, General-Litzmann-Straße, Postamt 9, Hindenburgstraße, Hufengymnasium (allerdings nur zum Teil), Hippelschule, Krausschule, Joh.-Ambrosius-Schule, Burgschule und die Gneisenaustraße. Von der Mädchengewerbeschule stand auch nur ein Teil, und der ist als russisches Hotel eingerichtet. Ecke Dieffenbachstraße, Hammerschmiede, Hammerkrug steht ein Teil. Ein Teil von Ratshof ebenfalls. In der Hindenburgstraße wächst alles voll wilder Bäume, und überall findet man hohes Gras wie im Urwald. Beim Einzug der Russen hat vieles gestanden. Es wurde ausgeplündert und dann in Brand gesteckt. Der Hauptbahnhof ist verschwunden. Die russischen Züge verkehren auf dem alten Ostbahnhof. Eine Brücke soll nur noch stehen, die am Münchenhof, ich nehme an, die Holzbrücke. Die Hauptsache ist nun, daß Ihr beide gesund bleibt. Es ist furchtbar, wenn man in der jetzigen Zeit noch krank ist. Und für mich ist es schlimm, daß mir hier sozusagen die Hände gebunden sind und daß ich keinem helfend beispringen kann. Ich hoffe aber bestimmt, daß auch für uns einmal wieder etwas Sonne scheinen wird. Durch die jetzige Zeit müssen wir nun einmal durch. Ihr möchtet nun sicher noch etwas von Königsberg hören. Ja, darüber könnte ich Seiten schreiben. Ich habe es noch am 7.4.1945 versucht, in die Stadt zu kommen. Bis zum Nordbahnhof brauchte ich drei Stunden, ich konnte mich nur von Haus zu Haus schleichen, so schlimm waren die Luftangriffe. Weiter als bis zum Nordbahnhof kam ich nicht. Erstens wäre es unmöglich gewesen, über den großen Platz zu kommen, und dann brannte die ganze Stadt. Eine schwarze Wolke lag von Osten nach Westen, in der nur ab und zu die Flammen zu sehen waren. Auf dem Rückwege sah man auch die Gegend des Schauspielhauses brennen. Die Schubertstraße war noch einigermaßen in Ordnung, hier lag Militär. Die Hermannallee brannte, die Beeckstraße und Tiergartenstraße bis zur Beethovensrraße waren schon ausgebrannt. Die Beethovenstraße existierte nicht mehr, weder die Bäume noch die Zäune noch die Häuser. Unser Viertel stand noch wie ein Eldorado da, die Arri-Treffer waren wohl zahlreich, haben aber wenig Schaden angerichtet, weil viele Blindgänger dabei waren. Aber es fing schon an allen Enden an zu brennen. Zuerst ging die Kneipe Hindenburgstraße, Ecke Landgraben (Romoth) in Flammen auf, das war nachmittags, und in der Nacht brannte schon das ganze Ende bis zur Charlottenstraße. Unsere Beeckstraße zeigte auch mehrere Brandherde. Hinaus mußten wir jetzt also, zumal die Russen schon im Wasserwerk, ja in der Schleiermacherstraße, also zehn Minuten von uns entfernt waren. Wenn man mir jetzt erzählt, in Königsberg ginge schon die elektrische Bahn, kann das unmöglich sein. Doch hiervon nun Schluß. Ich bin hier mit Deiner Schulkameradin Erna Assmuß, jetzige Erna Komm, zusammen, von der ich Dich herzlichst grüßen soll. Ich wünsche nur das eine für Euch, daß Ihr beide gesund bleibt, alles andere kommt von selbst. Grüße Martha herzlichst, ich lasse ihr gute Besserung wünschen. Auch Dir viele Grüße, Deine Schwester Anna. o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o Kobenhavn-Klövermarken 14.12.1946 Liebe Hete Für Deinen Brief, abgestempelt 19.11.1946, danke Dir vielmals. Wenn Du diese Zeilen erhältst, wird das Weihnachtsfest schon hinter Dir liegen, und ich wünsche Dir, daß Du es wenigstens einigermaßen gesund verlebt hast. Für das neue Jahr 1947 sende ich Dir die besten Wünsche. Vielleicht bringt es uns endlich etwas Ruhe und Frieden. Ich erschrak mich nachträglich, als ich in Deinem Brief las, daß Du auf der Flucht über das Eis des Haffes gegangen bist. Was Du da und auch noch später durchgemacht hast, ist ja furchtbar gewesen. Ich wünsche nur, Du wärest in Bayern geblieben, da Du doch nicht mit Martha zusammensein kannst. Ich hoffe stark, daß die Zonengrenzen einmal fallen werden und daß es uns dann eventuell möglich ist, in erreichbarer Nähe zusammenzusein. Du wunderst Dich, daß ich noch so spät in Nickelswalde sein konnte! Nickelswalde liegt in der Weichselniederung in der Danziger Bucht. Danzig soll am 27.3.1945 gefallen sein, und ich kann Dir sagen, uns war gar nicht wohl zu Mute, als wir so allmählich erfuhren, daß wir nach Norden mußten. Aber es war nun einmal so. Am 8.4.1945 ging ich aus Königsberg hinaus, abends war ich in Bludau, wo ich bis 13.4.1945 blieb. Weil wir dort ausgeräuchert wurden, ging die 5. PD (Panzerdivision) nach Zimmerbude. Am 14.4.1945 hatten uns die Russen dort auch bereits aufgestöbert, und ich löste mich von den Soldaten, da es dort zu brenzlig wurde. Am selben Tage ging ich nach Lochstädt und wurde am selben Tage nach Neuhäuser gebracht. In der Nacht vom 15. zum 16.4.1945 mußten wir auch aus Neuhäuser hinaus und wurden morgens um 5 Uhr von Pillau auf die Nehrung übergesetzt. Zu Fuß ging es bis KM-Stein 7, mit dem Auto dann bis KM-Stein 11,5. Weiter kamen wir nicht, wir übernachteten im Walde. Am 17.4.1945 sollten wir eventuell am Stein 15 verladen werden. Der Landungssteg war jedoch von Fliegern vernichtet, und so ging es wieder per pedes und teilweise per Wagen nach Kahlberg und von dort nach Vogelsang. In Vogelsang konnten wir von der Arbeitsbahn mitgenommen werden, fuhren über Stutthof, Steegen und kamen abends in Nickelswalde an. In der Nacht vom 18. zum 19.4.1945 ging es mit der Fähre nach Hela, und am 20.4.1945 früh 5 Uhr schiffte man uns ein. Unser Ziel sollte Rügen sein, und in Dänemark landeten wir. Wir wunderten uns damals selbst darüber, daß man uns in die Weichselniederung sandte. Man hatte das Gefühl, als ob man dem Russen in die Arme ging. Der Weg aber war frei. Es hieß, daß das Weichseldelta künstlich überschwemmt sei. Nicht einmal von Fliegern sind wir in jener Gegend belästigt worden. Von den letzten Tagen in Königsberg muß ich Dir ein andermal schreiben. Ich habe versucht, diese Erinnerungen niederzuschreiben, aber es steht einem auch so noch alles vor Augen. Wenn Du annimmst, daß im Februar Brücken und Geleise schon gesprengt gewesen waren, so ist das ein Irrtum. Ich bin noch verschiedentlich in der Stadt gewesen, aber die Brücken waren alle in Ordnung. Die elektrische Bahn war wohl stillgelegt, weil von den Luftangriffen die Oberleitungen zerstört waren, auch waren in kurzen Abständen Barrikaden gebaut, und die eingestürzten Häuser hatten die Geleise verschüttet. Zudem waren die Straßen in einem furchtbaren Zustand. In den Asphaltschüttungen waren tiefe Löcher, und mit den gepflasterten Straßen war es nicht anders. Es wurde nichts mehr gemacht. Fuhrst Du mit dem Pferdefuhrwerk durch die Stadt, dann sprangst Du wie ein Gummiball herum. In derselben Nacht mit mir ging Hans Scherwat hinaus, und von ihm hörte ich, daß am 7.4.1945 die grüne Brücke und noch andere gesprengt worden seien. Außerhalb der Stadt, in Ponarth, Ballieth, Rosenau etc., wird es schon früher zu Sprengungen gekommen sein, denn hier tobte ja der Kampf. Erna Komm ist inzwischen nach Deutschland abgereist. Ihre Tochter hat beim DRK gearbeitet, und beide konnten als Wehrmachtsgefolge hinauskommen. Deinen Gruß werde ich bei nächster Gelegenheit gern bestellen. Daß es Martha so schlecht geht, tut mir in der Seele weh, aber von hier kann ich nicht helfen. In mir ist noch viel gesunder Lebensmut, der bisweilen arg ins Schwanken kommt. Ich habe auch gegen Verzweiflung und böse Stimmungen anzukämpfen, hauptsächlich, wenn man ab und zu auch anfällig ist. Meine Zähne sind vollständig erledigt, sie reichen kaum noch zum Kauen von Brot. Aber alles nehme ich in Kauf. Ich hoffe stark, im neuen Jahr über die Grenze zu kommen, wenigstens lasse ich nichts unversucht. Und mit vereinten Kräften werden wir uns mit Gottes Hilfe ein neues Leben zimmern. Ich bin schon so dankbar, daß Ihr alle lebt, und was Ihr ertragen habt und noch ertragt, kann ich letzten Endes auch. Irmi will Weihnachten zu Erich fahren und ihm wieder seine Sachen in Ordnung bringen. Einmal hat sie es schon getan. Die Reise ist leider immer mit Urlaubnehmen verbunden. Sie muß sich erst eine Position schaffen, denn augenblicklich verdient sie monatlich nur 30,- Mark. Nebenbei erwirbt sie sich noch vielleicht ebensoviel durch Zeichnen und Malen. Um sie sorge ich mich am wenigsten, sie wird schon ihren Mann stehen, und wenn sie noch so schwer arbeiten muß. Sie tut mir auch leid, daß sie abends bisweilen todmüde ist. Sie ist aber noch jung, und uns ist es in unserer Jugend auch nicht anders gegangen. Wir haben auch arbeiten müssen, und wie. Nun wünsche ich Dir noch einmal alles Gute und grüße Dich herzlichst.
Deine Schwester Anna
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