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Schulstunde

 


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Masurische Schulstunde

Was haben die PISA-Studie und der masurische Ortsnamen „Ukta” gemeinsam? Viel mehr als einen kauzigen Lehrer und 60 Jahre Geschichte. Etwa zu der Zeit, als uns die wissenschaftliche Studie eine beängstigende Schieflage unseres heutigen Schulsystems mit unglaublichen Wissenslücken vornehmlich unserer Hauptschüler vor Augen führte, begab sich der Fernsehjournalist Klaus Bednarz nach Ostpreußen auf die Spuren seiner Vorväter. Er stieß auf den ihm seltsam klingenden Namen des „versteckt in Masuren” liegenden Ortes und fand ihn bemerkenswert.

Ich hatte den Namen schon gehört, von meiner Mutter, die als Wassersportlerin den Beldahnsee liebte und an Ukta „idyllische” Erinnerungen hatte. Aber da war noch etwas. Aus tiefem Unterbewusstsein kramte ich eine Schulstunde zu Tage, der ich mein erstes, wissentlich aufgenommenes Verständnis für die pädagogische Arbeit eines guten Lehrers verdanke. Dabei war es nur eine unbedeutende Schulstunde in der Johannisburger Volksschule in der Hegelstraße, in der das Kreiskrankenhaus lag, in dem ich geboren wurde. Weshalb ich dort zur Schule ging, wo ich doch in Lötzen „eingeschult” worden war, und weshalb auch nur für ein paar Wochen, das weiß ich nicht mehr. Es hatte wohl etwas mit den unterschiedlichen Sommerferien zu tun, die ich meist bei den Großeltern in Johannisburg verbrachte, denn Volksschüler war ich auch noch in Marienwerder (Westpreußen) bis 1938.

Als Gastschüler der vermutlich zweiten Klasse im Jahre 1935 war ich meinen Klassenkameraden nicht fremd. Wir kannten uns gut aus auf dem Marktplatz, den großen Bleichwiesen an der alten Holzbrücke, auf Johannishöh' und auf beiden Pissek-Ufern zwischen Seglerhafen und Ruderclub. Aber von Ukta hörten die meisten von uns zum ersten Mal, als der freundliche alte Lehrer uns an einem heißen Sommertag ankündigte, nun wolle er uns mal erklären „woher der Wind weht”. Mein erster Geographie-Unterricht (oder sagte man Erdkunde?) begann.

Er malte einen kleinen Kreis mit einem Punkt darin auf die Mitte der Tafel. „Die Kreisstadt Johannisburg!”. Links daneben malte er in einem Abstand, der die reale Entfernung nicht erkennen ließ, drei kleinere Kreise ohne Punkte und schrieb dazu von oben nach unten „Neu-Ukta, Ukta, Alt-Ukta”. „Nun merkt euch!”, sagte er streng, „ich wohne in Ukta. Das liegt im Westen. Im Westen!

Das war uns neu, denn in der Richtung gab es nur einen dichten, 20 Kilometer langen Wald bis zum Niedersee und den uns vom Hörensagen bekannten Ort Rudczanny. Den kannte man, weil dort sogar ausländische „Touristen” hinfuhren. Wir konnten nicht ahnen, dass uns der gute Schulmeister das Lernen nur einfacher machen wollte, indem er geographische Realitäten ignorierte. Wem wird es später schon aufgefallen sein, daß alle Uktas außerhalb des Landkreises Johannisburg und - genau genommen - west-nord-westlich von der Kreisstadt lagen, wie es eine navigatorische Ortsbestimmung korrekt darstellen würde. Unserem Lehrer aber ging es ums Wesentliche, und seine Didaktik blieb holzschnittartig masurisch.

„Wenn ich mit dem Fahrrad zu meinen Eltern von Ukta nach Alt-Ukta fahre, fahre ich - aufgepasst! - nach Süden! Nach Süden!” Jetzt waren wir mit zwei Himmelsrichtungen vertraut. „Und wenn ich wieder nach Hause radele, fahre ich nach - aufgepasst! - Norden. Nach Norden!” Das war zu begreifen und unser Lehrer schien es bemerkt zu haben. Zufrieden und mit verschmitztem Lächeln radelte er weiter.

„Wenn ich von Ukta zu meinem Bruder nach Neu-Ukta fahre, fahre ich ... na, fahre ich nach ...?” Unsicheres Schweigen, keine Antwort, kein Finger hob sich. „Nach oben!” sagte ein Vorwitziger. „Nach Norden, du Damlack!”, sagte er. „Norden ist immer oben!” Und nun, gewissermaßen um den tatsächlichen Bildungsstand der Lorbasse zu prüfen, legte er uns einen Stein auf den Weg. „Wenn ich von Neu-Ukta wieder nach Hause fahre, dann fahre ich ...? „Nach Westen!” schallte es ihm im Chor entgegen, Er ist entsetzt, schweigt, denkt nach und ist erfreut, dass wenigstens einer von uns mit erhobenem Finger zur Korrektur fähig ist. „Aber Herr Lährer, Sie haben doch jesacht, Ukta liecht im Westen.” „Ja, von Johannisburg aus gesehen, aber von Neu-Ukta aus liegt Ukta im Süden.” Jetzt aber, zum krönenden Abschluss seiner pädagogischen Mühen, formuliert er akzentuiert die letzte Frage: „Und wo liegt eigentlich Johannisburg, wenn ich von Ukta komme?” Wie einstudiert schreien gleich mehrere los: „Am Pissek! Am Pissek!” Verständnisvoll, leise, fast zärtlich sagt der alte Lehrer: „Ja, am Pissek, aber im Osten, von Ukta aus gesehen. Johannisburg liegt im Osten, ihr Glumsköpp'!”

Vielleicht erinnert sich noch einer an diese lehrreiche Stunde unserer Johannisburger Kindheit oder auch nur in Dankbarkeit an unsere alten, guten Lehrer.
 

Quellen:
Klaus Krause – eingesandt von Peter M. Krause,
Adam-Kawillou-Str. 27, 55118 Mainz
veröffentlicht im Johannisburger Heimatbrief 2005

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