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Heimlich verlobt Kaum zu glauben, was so passieren kann! Da fährt doch das Elschen, gerade 17 geworden, die Jüngste von den Koslowskis aus Krottken, nur für ein paar Tage zu ihrer verheirateten Schwester Suschen nach Kussewen, niemand ahnt Arges! Sie fährt nur, um Eingemachtes zu überbringen und Butter und Keuchel, aber als sie heimkommt, macht sie verliebte Augen wie ein Stint, grinst und gesteht: „Ich habe mich heimlich verlobt. Mit Willi Malessa aus Kussewen. Er ist Junglehrer. Am Sonntag kommt er zu Besuch. Und im Herbst, wenn die Kartoffeln ausgebuddelt sind, wollen wir heiraten!“ „Erbarmung!“ sagte Muttchen nur. „Was wird Vatchen dazu sagen?“ Vatchen hin, Vatchen her. Es sollte schlimmer kommen! „Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden“, wetterte das Vatchen. „Schlag dir diese Dammligkeit nur aus dem Kopf, Marjell! Daraus wird nichts!“ „Aber wenn wir uns doch so lieben!“ schluchzt das Elschen. „Nun laß ihn erst mal kommen, dann sehen wir weiter“, schlug Muttchen besänftigend vor. Dem Elschen konnten weder Vatchen noch Muttchen was abschlagen. War ihnen dieses Küken doch nach zehnjähriger Pause zu den drei strammen Marjellens Suschen, Martha und Maria noch zusätzlich beschert worden. Als niemand mehr damit rechnete, wurde ihnen dieser Racker noch in die Wiege gelegt, genau rechtzeitig, damit das Baby noch an der Hochzeit der Ältesten, dem Suschen, teilnehmen konnte! Nun waren die Jahre dahingeeilt, aus dem Kind war ein schönes Fräuleinchen geworden; eine Haut wie Milch und Blut, Augen blau wie Veilchen, dazu tief und unergründlich wie das Wasser des Otschkosees. Armes, bedauernswertes Mannchen, der die mal zur Frau bekam! Nach außen war sie die reinste Unschuld vom Lande, in Wirklichkeit eine wilde, nahezu unzähmbare Hummel! Nun schien sich dieser Bedauernswerte in der Person des Willi Malessa gefunden zu haben. Sollte er nur kommen, der Herr Junglehrer, man würde ihn auf Herz und Nieren prüfen und dann erst die Entscheidung fällen, ob es zu einer richtigen Verlobung kommen sollte oder nicht! Da hatte man aber die Rechnung ohne Maria und Martha gemacht, den beiden bedeutend älteren Schwestern der heimlichen Braut. Mariechen und Marthchen, überreife Jungfrauen wie Augustäpfel im September, waren aus verschiedenen Gründen bis dato unbemannt geblieben. Bis zu einem gewissen Grad waren Maria und Martha gutmütig. Sie hatten kaum etwas dagegen einzuwenden, daß das Nesthäkchen immer beschont wurde. Nun aber, da sie sich plötzlich zu verloben gedachte, schlug diese Nachricht bei ihnen wie ein Stich ins Wespennest ein. „Wo hat es in Borutta und Umgebung schon mal so was gegeben!“ schrie Mariechen erbost, „daß die Jüngste vor den älteren Schwestern heiraten darf? Wie es Sitte und Brauch ist, wird hier schön der Reihe nach geheiratet!“ „Ja, so ist es!“ kreischte Mariechen. „Zuerst kommen wir heran und zuletzt kommst du, du dumme Gans!“ „Dann kann ich warten, bis ich alt und grau bin“, heulte Elschen. Das hätte sie nicht sagen sollen, denn nun prasselten eine Menge unschöner Worte auf sie hernieder, die wiederzugeben nicht angebracht erscheint. „Ruhe“ brüllte das Vatchen dazwischen. „Noch bin ich der Herr im Haus. Noch habe ich das Sagen!“ „Auf keinen Fall wird die Else vor uns heiraten!“ beharrte Martha auf ihrem Standpunkt. „Laß die Marjell sich ihre Aussteuer erst verdienen, wie wir es taten. Der feine Herr Lehrer braucht sich hier nicht sehen lassen!“ „Er wird kommen!“ brüllte Vatchen. „Und dann reden wir weiter darüber. Natürlich wird Elschen nicht Hals über Kopf heiraten, ein, zwei Jährchen kann sie warten.“ „Dann haben wir hier nichts weiter zu suchen“, meinte Martha kreidebleich. „Glaubt ja nur nicht, daß wir uns weiterhin von früh bis spät auf dem Feld abrackern. Ab sofort werden wir streiken. Ihr werdet sehen! Komm, Mariechen!“ Erhobenen Hauptes verließen die beiden das Zimmer und begaben sich unverzüglich in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Man hörte die Tür laut zuschlagen, dann wurde der Schlüssel im Schloß umgedreht. „Erbarmung!“ hauchte Muttchen. „Das kann schön werden!“ Das Schlimmste war, nun mußten sie und das Elschen mit dem Vatchen hinaus aufs Feld. Auf diese Weise lernte Elschen auch einmal richtige Arbeit kennen. Nun war die Else von früh bis spät auf den Beinen, half beim Abfüttern im Stall, beim Kühemelken und nicht zuletzt auf dem Feld. Dazu mußten noch nebenbei Kuchen gebacken und alles für den Besuch des Freiers vorbereitet werden. Am Abend sank Elschen todmüde zu Bett. Doch das war nicht das Schlimmste. Dazu kam noch der Kummer mit Maria und Martha, die weiterhin stur im Streik verharrten. Sie verweigerten nicht nur die Arbeit, sie rührten fortan auch keinen Bissen mehr an. Ständig hielten sie sich hinter verschlossener Tür auf. Mit weiblicher List versuchte Muttchen, Martha und Maria aus dem Bau zu locken, kochte ihre Lieblingsspeisen, Kumst mit Speckklößen, briet Kartofelflinsen, stellte Tabletts mit lauter Köstlichkeiten vor ihre Türe, alles war vergeblich, die Tür blieb verschlossen, die Tabletts unangerührt! Lieber hungerten sich die störrischen Marjellens ein Loch in den Bauch, als daß sie nachgegeben hätten. Dabei stand die Kornernte kurz bevor. In der kommenden Woche sollte der erste Schnitt beginnen. Und was dann? Wer würde vier starke Arme ersetzen? Im Dorf hatte jeder mit sich selbst zu tun. Hilfskräfte waren nicht aufzutreiben! Vatchen sah schwarz. In seiner Not wandte Vatchen sich an das Onkelchen aus Borutta. Der war ein kluger, lebenserfahrener Mann, der wußte immer Rat! „Ihr müßt sie aushungern“, riet er. „Ihnen den Hahn abdrehen. Das ist das einzige sichere Mittel!“ „Aber sie hungern ja freiwillig“, rief das Vatchen und raufte sich die Haare. „Vier Tage lang geht das schon, und sie denken nicht daran, aufzugeben!“ „Dann müssen sie eine heimliche Quelle haben“, behauptete das Onkelchen. „Sonst könnten sie nicht durchhalten.“ „Aber wo denn?“ gab das Vatchen zu bedenken. „In der Speisekammer fehlt nuscht. Nicht ein Eichen.“ „Und wie steht es mit der Räucherkammer?“ fragte das Onkelchen und blinzelte verschmitzt. „Die ist vom Flur aus bequem zu erreichen. Habt ihr da schon nachgeschaut?“ „Der Deubel auch, nein!“ gab Vatchen zu. Unverzüglich eilte er heim, um die Räucherkammer zu inspizieren. Tatsächlich! Es fehlten zwei dicke Rauchmettwürste und ein kleiner Schinken. „Hier wird ein Riegel vorgeschoben“, beschloß das Vatchen. Ein stabiles Schloß wurde besorgt und am gleichen Tag an der Tür zur Räucherkammer angebracht. Fortan trug er den Schlüssel dazu ständig bei sich. In derselben Nacht wurde Vatchen aus unruhigem Schlaf durch ein leises Rumoren im Flur geweckt. Gleich darauf hörte er die Martha laut „Verfluchter Mist!“ schimpfen. Da legte sich das Vatchen beruhigt auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. Er hatte das sichere Gefühl, daß der Hungerstreik ein baldiges Ende nehmen würde. Der Sonntag kam herbei und mit ihm der Willi Malessa. Insgeheim waren Vatchen und Muttchen ein bißchen enttäuscht, weil der Willi äußerlich nicht viel hermachte. Er war eher unscheinbar, glich, mit einer Nickelbrille auf der Nase, nur entfernt den schwärmerischen Schilderungen des verliebten Elschens. Dafür schien es ihm nicht an inneren Werten zu fehlen, wie es das Vatchen im Laufe des Sonntags beim Gespräch feststellte. Willi Malessa war nicht nur ein kluger Mann, er besaß darüber hinaus noch einige Talente! Nachdem er gut zu Mittag gespeist und einige Gläschen süßen Wein getrunken hatte, begann er Lieder zur Laute vorzutragen: „Rose weiß, Rose rot ...“, sang er, und: „Jetzt wollen wir Bickbeeren pflücken gehen ...“ Das Elschen hing mit verliebten Blicken gebannt an seinem Mund. Es herrschte eitel Freude und Sonnenschein, bis zu dem Augenblick, als sich der Besucher nach Maria und Martha erkundigte. „Sie – sie sind verreist! Kommen aber bald wieder!“ erklärte das Muttchen stockend. „Es kam ganz plötzlich.“ Das gute Muttchen, die ehrliche Haut, lief bei dieser Notlüge rot an. Glücklicherweise mußte sie zur Küche eilen, um das Abendessen vorzubereiten. Dem Gast zu Ehren hatte man eine frühe Ente geschlachtet, obwohl die Zeit dafür noch nicht reif war. So ein zarter Entenbraten, innen schön mit Majoran und Äpfeln gefüllt, war ein Leckerbissen besonderer Art. Natürlich machte der Bratenduft vor der Tür zu Marias und Marthas Zimmer nicht halt. „Sogar Entenbraten kriegt der dämliche Kerl!“ knurrte Martha böse. „Wir aber müssen hungern!“ „Von müssen kann keine Rede sein“, meinte Maria schnippisch. „Du hast es ja selber so gewollt!“ „Ich?“ „Ja, du! Du dämliche Gans, du ganz alleine!“ schimpfte Mariechen. „Ich aber habe die Nase voll von der ganzen Streikerei! Du kannst ja hungern, bis du schwarz wirst! Es hilft uns ja alles doch nichts. Sie tun, was sie wollen!“ „Streikbrecherin!“ höhnte Martha und drohte mit der Faust. „Du kannst mich mal ...“, forderte sie das sonst so stille Mariechen auf. „Ich gehe jetzt in die gute Stube und esse Entenbraten zum Abendbrot!“ Martha kämpfte einen schweren Kampf mit ihrem Bruder Innerlich. Schon war das Mariechen fein gekleidet dabei, die Stube zu verlassen, als sie ihr zurief: „Nu wart’ doch schon die paar Minutchen. Ich komme ja mit!“ Nun ist nicht mehr viel zu berichten. Mit diesem schwerwiegenden Entschluß war die Streikerei beendet. Der Willi Malessa bezauberte im übrigen noch am gleichen Abend mit seinem Charme seine zukünftigen Schwägerinnen. Sie schlossen sogar Duzbrüderschaft und sangen gemeinsam zur Laute: „Rosenstock holder, blüh ...“ und: „Es hat ein Bauer ein hübsches Weib, die blieb so gerne allein ...“ Zwei Wochen später
feierte man die offizielle Verlobung von Elschen und Willi.
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