Wo einst Odol frischen Atem versprach Das
Deutschlandhaus in Berlin: Bald soll es als "Sichtbares Zeichen" dem Erinnern an
Flucht und Vertreibung dienen
Vor dem großen Krieg flimmerten hier die Lichter der Weltstadt Berlin.
Odol versprach von einem mächtigen Lichtturm herab allzeit frischen Atem und die
Allianz Sicherheit in allen Wechselfällen des Lebens. Träger dieser spektakulären
Reklame war ein Gebäudekomplex, der nach Plänen des Architektenbüros Bielenberg & Moser
zwischen 1926 und 1931 in der Nähe des Anhalter Bahnhofs und des Prinz-Albrecht-Palais
errichtet wurde, das damals Gästehaus der Reichsregierung war und später zum Hauptsitz
des Reichssicherheitshauptamtes, der Zentrale des Völkermordes, werden sollte. Das
elfgeschossige Europahaus und das mit ihm verbundene niedrigere Deutschlandhaus
sind Monumente der Neuen Sachlichkeit. In die Büroetagen kam der Angestellte, Prototyp
des modernen Großstadtmenschen, um zu arbeiten; in den Europa Tanzpavillon oder
das Filmtheater Europapalast, um sich zu amüsieren. Hier war die Zukunft zuhause.
Das urbane Leben pulsierte.
Heute liegt die Gegend an der Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte auch
fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall an der Peripherie des "neuen Berlin". Und
die benachbarte traurige Nachkriegsarchitektur saugt die selbstgewisse Modernität
der Gebäude gewissermaßen auf. Wer es nicht weiß, kommt kaum auf den Gedanken, dass
es sich um Vorkriegsbauten handelt. Seit 1999 ist hier der Berliner Sitz des Entwicklungshilfeministeriums.
Daneben gibt es in dem Komplex einen bunten Strauß von Nutzern. Er reicht von der
Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" über die Bundeszentrale für
politische Bildung, das Institut für Städtebau, das Robert-Koch-Institut und die
Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost bis zum Berliner Landesverband des Bundes
der Vertriebenen. Viele Mieter werden weichen müssen, denn im Deutschlandhaus wird
in den nächsten Jahren jenes "Sichtbare Zeichen" errichtet, das nach dem Willen
der Großen Koalition in der Gedenklandschaft der Hauptstadt die Opfer von Flucht
und Vertreibung angemessenen würdigen soll. Die Geschichte und die Geschichtsbetrachtung
bemächtigen sich also eines Gebäudes, bei dessen Grundsteinlegung vor mehr als achtzig
Jahren man wohl eher davon geträumt hatte, nicht nur den steinernen Ballast der
Geschichte abzuwerfen und in lichte und luftige Räume unbeschwerter Gegenwart vorzustoßen.
Aber wahrscheinlich sind heute solche Träume realistischer als damals. Und das hat
nicht zuletzt mit der Wahrnehmung der Geschichte zu tun.
Dass die größten Hindernisse für das "Sichtbare Zeichen" nun aus dem Weg
geräumt sind, gleicht einer politischen Quadratur des Kreises. Die wichtigste Voraussetzung
war der Regierungswechsel in Polen. Er ließ Gespräche mit der polnischen Seite überhaupt
erst als sinnvoll und aussichtsreich erscheinen, umso mehr als in Warschau jetzt
Außenstaatssekretär Wladyslaw Bartoszewski, ein profunder Deutschlandkenner und
als KZ-Überlebender eine moralische Instanz, die Federführung hat. Die Regierung
Tusk hat die kategorische Ablehnung des Projekts aufgegeben. Polen wird seine Realisierung
nicht mehr als Affront betrachten sondern mit "freundlicher Distanz" beobachten,
wie nach den Gesprächen verlautete, die Kulturstaatsminister Neumann vergangene
Woche in Warschau führte. Es gibt keine offizielle polnische Beteiligung, aber doch
eine wohlwollende Begleitung, was auch bedeuten kann, dass polnische Wissenschaftler
an der geplanten Ausstellung mitarbeiten, die in den Grundzügen auf der Schau "Flucht,
Vertreibung, Integration" beruhen soll, die mit großen Erfolg und unter beträchtlichem
polnischen Lob vor zwei Jahren im Bonner Haus der Geschichte gezeigt wurde. Sie
beschäftigte sich mit der Integration von 12 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen
in die deutsche Nachkriegsgesellschaft und würdigte deren Beitrag zum Wiederaufbau.
Auf heftige Kritik aus Polen war dagegen die Ausstellung "Erzwungene Wege" gestoßen,
die zur gleichen Zeit von der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" ausgerichtet
worden war. Sie bettete zwar die Vertreibung Deutscher politisch korrekt in einen
gesamteuropäischen Zusammenhang ein und gab dem Vertreibungsschicksal der Polen
angemessenen Raum. Weil aber hinter der Stiftung auch der Bund der Vertriebenen
und vor allem dessen Präsidentin Erika Steinbach steckt, war die Empörung in Polen
groß. Nun heißt es, dass auch Elemente dieser Schau in die neue Dauerpräsentation
übernommen werden könnten. Im Hause Neumann gibt man sich optimistisch, dass neben
den Polen nun auch die deutschen Vertriebenen mit dem "Sichtbaren Zeichen" ausgesöhnt
werden können. Jedenfalls sei das von Steinbach betriebene "Zentrum gegen Vertreibungen"
als staatlich gefördertes Projekt vom Tisch. Und was die Repräsentanz der Vertrieben
im Rat der Stiftung angeht, die als Träger des "Zeichens" unter dem Dach des Deutschen
Historischen Museums" gegründet werden soll (welches in diesem Zuge auch gleich
aus einer GmbH in eine Stiftung verwandelt wird), da werde man sich schon einigen.
Neumann ist wie ein erfahrener Politiker vorgegangen. Erfahrene Politiker
schnüren Pakete. Das Paket, in das er das "Sichtbare Zeichen" so verpackte, dass
es nicht als böser Widerhaken herausragte, hieß "Gesamtheit der deutsch-polnischen
Kulturbeziehungen". Darüber wurde in Warschau gesprochen. Und es wurden Fäden gesponnen.
Es ging um ein in Danzig geplantes Kriegsmuseum, um deutsche Beteiligung an der
Gedenkstätte auf der Westerplatte, um ein Solidarnosc-Denkmal in Berlin und die
Wiederbelebung des zwischen den Präsidenten Rau und Kwasniewski verabredeten aber
im deutsch-polnischen Winter vereisten Europäischen Netzwerks Erinnerung. Und an
der Stiftung Schloss Genshagen, die noch eine deutsch-französische Sache ist, soll
Polen künftig auch beteiligt werden. Da wäre es dann wieder, das Weimarer Dreieck.
In den Jahrzehnten des Kalten Krieges war das Deutschlandhaus eine Frontstadt-Institution.
Die Landsmannschaften der Vertriebenen hatten hier ihre Büros, es gab Ausstellungen
und eine Bibliothek. Hunderttausende westdeutscher Schüler auf Berlinfahrt wurden
im Auftrag des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen bis zur Wende hier durchgeschleust.
Dann wurde die staatliche Förderung der kulturellen Aktivitäten der Vertriebenen
noch unter der Regierung Kohl Schritt für Schritt zurück gefahren, nicht zuletzt,
weil das Gewirr aus Vereinen und Stiftungen, in das die Geldströme flossen, immer
wieder zu Nachfragen des Bundesrechnungshofes führte. Rot-Grün beendete dann die
Förderung des Deutschlandhauses ganz. Auch die Kulturstiftung der Vertriebenen und
der Ostdeutsche Kulturrat stellten um die Jahrhundertwende ihre Arbeit ein. Damit
war die Epoche der noch stark von der Erlebnisgeneration geprägten "Vertreibungsnachsorge"
beendet. Dafür, dass etwas völlig Neues beginnt, steht das "Sichtbare Zeichen".
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