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»Moment
mal!« Wer jetzig Zeiten leben will, muß hab’n ein tapferes Herze. Angstmacher ziehen durchs Land, Untergangs-Propheten treten fast täglich im Fernsehen auf und schüren Zukunftsängste, malen kommende Katastrophen an die Wand, Hitze, Dürre, Überschwemmungen, Stürme, Hurrikane, Flutwellen, Endzeit. Nichts ist mehr sicher. Die Arbeitsplätze nicht und nicht die Renten. Denn Europa stirbt aus. Die Alten sterben nicht früh genug, und Kinder werden nicht genug geboren. CDU und SPD wetteifern bei der Aufführung eines grotesken Krippenspiels. Unsere Untergangs-Propheten sprechen von der EU, von den globalen Katastrophen, von den weltweiten drohenden Gefahren und den verhängnisvollen Fehlern der USA. Über Deutschland sprechen sie nicht. Und wenn, dann im Ton der Anklage. Die deutsche Schuld. Oder mit Spott: Diese Deutschen! Denk ich an Deutschland in der Nacht. Haha. Wenn einer laut sagt, daß er eigentlich auch stolz ist, Deutscher zu sein, stolz auf unsere Geschichte und unsere großen Musiker, Dichter, Erfinder und Könige ist, sieht er sich vorher dreimal um, ob ihm nicht die Nachbarn zuhören. Fußball ja. Deutschland als Mannschaft. Das hat sogar die „Bild“-Zeitung zur Begeisterung freigegeben. Etwas höhnisch: Schwarz-Rot-Geil! titelten die 30jährigen Macher des Vier-Millionen-Blatts. Auswendig, wenn ihnen jemand ihr Internet-Handy wegnehmen würde, wüßten sie nicht zu sagen, warum diese Farben Schwarz-Rot-Gold eingeführt wurden. Aber die Schulkinder sangen 2006 zum erstenmal ihre Nationalhymne und viele Millionen schwenkten deutsche Fahnen und sie schämten sich nicht. War das geil? Oder eher normal? Wenn ein großer Fernsehsender wochenlang einen aufwendigen Film über die Flucht und Vertreibung der Deutschen ankündigt, über die Flüchtlingstrecks in Ostpreußen 1945 bei 14 Grad Kälte, die Tiefflieger, die mit ihren Bomben den Weg über das zugefrorene Haff aufbrechen und so Greise und Frauen und Kinder mitsamt Pferden und Wagen in das eiskalte Wasser stürzen ließen, die russischen Soldaten, die den Flüchtlingstrecks den Weg abschnitten, über die deutschen Frauen und halbwüchsigen Mädchen herfielen und die Greise erschossen? Wenn jemand die unsäglichen Leiden der 15 Millionen Flüchtlinge 2007 endlich einmal thematisiert, freuen wir uns und warten gespannt auf die Sendung. Und dann sahen wir den Film. Oh mein Gott! Wer tat uns dieses? Sollen wir der Drehbuchautorin Gabriela Sperl am Ende noch dankbar sein, daß sie für uns diese herzergreifende Schnulze geschrieben hat? Über die Flucht der schönen, aber kühlen Gutsbesitzerin aus Ostpreußen, mit bitterbösen SS-Leuten, halbherzigen Wehrmachtsoffizieren, volltrunkenen Russen und einem edelmütigen und gebildeten französischen Fremdarbeiter, der am Ende die herb-blonde Gräfin, die natürlich nicht vergewaltigt wurde, heimführt? Ich weiß nicht recht. Auch die meinungsführende „Frankfurter Allgemeine“ weiß nicht so recht, ob es das gut gespielte Melodram auch gut finden soll und der „Spiegel“ lobt die elegante Reiterin Maria Furtwängler, fürchtet aber, daß die meisten Ostpreußen sich in den edlen Gutbesitzern und ihren stolzen Töchtern nicht wiedererkennen: Der Zuschauer lernt, daß er nicht dazugehört. Der „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner schreibt zwei Tage vor der Ausstrahlung des Films einen Brief an uns: „Liebe Heimatvertriebene!“ Er, der als Baby offenbar mit auf der Flucht vor den Russen war, will das Leid seiner Mutter vergessen. Seine Mutter, schreibt Wagner, ist tot, die meisten Vertriebenen auch. Also vergeßt das Ganze, seht euch den Film nicht an. Aber die meisten Ostpreußen und Danziger und anderen Vertriebenen sind gar nicht tot. Alle sahen sich den Film an. Wann gibt es schon mal einen Film über ihr Leben? Der Film war schön. Wie Melodramen von Rosamunde Pilcher. Mit dem guten Ende nach vielen Konflikten. Man muß nur keinen Film über „Flucht und Vertreibung“, so der ursprünglich geplante Titel, erwarten. Auf den Film, der das ganze Ausmaß der Vernichtung zeigt, warten wir noch. Mit Recht rügt die „FAZ“, daß die Filmemacher sich nicht von dem „volkspädagogischen“ Gestus befreien konnten, jedes an Deutschen begangene Verbrechen zu relativieren, aufzurechnen: „Sie müssen jede Szene, welche die Grausamkeiten der Russen und das Sterben auf der Flucht zeigt, mit anderen kontern, in denen die Wehrmacht Verbrechen begeht, Deserteure hingerichtet oder fliehende Zwangsarbeiter hingemetzelt werden. Der russische Soldat, der eben noch mit seinen Kumpanen brutal zwei Frauen vergewaltigte, von denen eine sich wenig später am Fenster erhängt, wird postwendend von seinem Vorgesetzten erschossen.“ Eben das stimmt nicht. Im Gegenteil, die sowjetischen Soldaten waren von der Kriegspropaganda zu den Vergewaltigungen aufgefordert worden. Offiziere, die sich dem widersetzten wie der Offizier Lew Kopelew, wurden gemaßregelt und degradiert! Verbrechen gegen Verbrechen. Ist das nicht genau das, was den Vertriebenen immer vorgeworfen wird: Relativierung? Warum wurde ausgerechnet jetzt, nach mehr als 60 Jahren ein solcher Film gedreht? Mit 2400 litauischen Komparsen und zwei echten sowjetischen „Moskito“-Jägern und den T-34-Panzern. Für neun Millionen Euro. Woher kam das Geld, und warum kam es erst 60 Jahre nach der Kapitulation? Soll dies am Ende der Ersatz sein für das immer wieder verschobene „Zentrum gegen Vertreibungen“? Oder ist es eine Trendwende unserer Mediengesellschaft in letzter Minute? Für die Lebenszeit der meisten Vertriebenen in der letzten Minute? Und wieder mit der Relativierung der Vertreibungsverbrechen? Trauer nur unter dem Vorbehalt unserer Bußfertigkeit und Selbstanklage? „Du bist Hitler!“ Über zwei Millionen Menschen verloren durch Flucht und Vertreibung ihr Leben. Fast alle waren Frauen, Kinder und Greise. Ebenso wie die Deportation und Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten ist die Vertreibung der Deutschen und die Ermordung von Millionen dieser Flüchtlinge ein einmaliges Ereignis in der neueren Geschichte, das jede bisher gekannte geschichtliche Dimension sprengt. Ein singuläres Verbrechen. Hitlers Deportationen und die Ermordung der europäischen Juden wurden im Nürnberger Prozeß als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Doch dieses in Nürnberg geschaffene Recht mußte, wenn es dauerhafte Billigung der Völker finden wollte, normativ werden. Der Gedanke eines übergreifenden Rechts, nach der alle Kriegsverbrechen strafbar sein müßten, lebt mit der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag fort. Nach diesem Recht werden die Kriegsverbrechen der Serben und Kroaten von 1997 bis 1999 abgeurteilt. Dürfen aber die Kriegsverbrechen, die Massenmorde und Vergewaltigungen der Roten Armee nach einem anderen Maßstab beurteilt werden? Bisher gibt es nicht einmal eine Akte in Den Haag. Über die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen urteilte der englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russel schon am 23. Oktober 1945 in der Londoner „Times“: „In Osteuropa werden jetzt Massendeportationen von unseren Alliierten durchgeführt, und ein offensichtlich vorsätzlicher Versuch wird unternommen, viele Millionen Deutsche auszurotten, nicht durch Gas, sondern indem man ihnen ihre Häuser und Nahrung wegnimmt, um sie einen langsamen quälenden Hungertod sterben zu lassen. Sind Massendeportationen Verbrechen, wenn sie während des Krieges von unseren Feinden begangen werden, und gerechtfertigte Maßnahmen sozialer Regulierung, wenn sie durch unsere Alliierten in Friedenszeiten durchgeführt werden? Ist es humaner, alte Frauen und Kinder herauszuholen und in der Ferne sterben zu lassen, als Juden in Gaskammern zu ersticken?“ Solange in unserem Land das Leugnen geschichtlich gesicherter Tatsachen mit Gefängnis bestraft wird, möge nicht nur das „Holocaust-Leugnen“, sondern auch das Leugnen des Genozids an den Armeniern und der Vertreibungsverbrechen im deutschen Osten ein Straftatbestand werden. Klaus Rainer Röhl veröffentlichte zu dem Thema Flucht und Vertreibung das Buch „Verbotene Trauer“. (siehe: www.google.de/search?q=Verbotene+Trauer+Rainer+R%C3%B6hl&hl=de&lr=lang_de&start=10&sa=N)
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