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Ärger auf den zweiten Blick Ein Buch, das nicht hält, was der Titel verspricht: »Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung« von Peter Großpietsch Wieder sorgte ein polnisches Buch für Ärger. Zunächst jedoch nicht! Das polnische Werk „Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung – Ost- und Mitteleuropa 1939 bis 1959“, von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft und dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität sowie den Medien im linken Spektrum gefördert und mit uneingeschränktem Lob überschüttet. Es erwähnt tatsächlich, mehr oder weniger erstmalig, die Leiden der Ostdeutschen im einzelnen: „Totschlag, Vergewaltigungen, Morde, Deportation.“ Dies ist zu loben, den polnischen Historikern sei dafür gedankt. Aber nach weiterer Durchsicht muss angemerkt werden, dass das Werk, dessen polnischer Originaltitel auf Deutsch „Aussiedlungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen 1939 bis 1959“ heißt, leider zu viele Defizite und Unkorrektheiten enthält, um als Standardwerk Anerkennung zu erhalten. Dabei befinden wir uns im Kontext mit der Publizistin Helga Hirsch. Das Buch trägt den Titel: „Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung“, bezeichnet aber ab Seite 188 durchweg das Vertreibungsgeschehen als „Umsiedlung“, „Aussiedlung“, hin und wieder als „Ausweisung“, „Entfernung“ und „freiwillige Ausreise“. Auch wird zynisch vom „Verlassen Polens“ gesprochen (so auf Seite 188, 1. Absatz) zu einem Zeitpunkt, als die deutschen Ostprovinzen lediglich nach dem Potsdamer Protokoll unter polnische Verwaltung gestellt worden waren. Somit wird die gewaltsame, völkerrechtswidrige Inbesitznahme eines Viertels Deutschlands mit Gewalt und unter Missachtung des Völkerrechts (unter anderem nach der Haager Landkriegsordnung von 1907) umschrieben und vertuscht sowie die Vertreibung allein den Siegermächten aufgrund des Potsdamer Protokolls angelastet, obwohl bereits vorher die brutale Ausweisung durch die polnische Miliz praktiziert wurde; dies ist auf Seite 184 des Buches aus der Feder hochrangiger polnischer Professoren im eigenen Netzwerk sogar (widersprüchlich) beschrieben. Übrigens: Die Westmächte hätten für staatsrechtlich wirksame Grenzziehungen die Zustimmung ihrer Parlamente benötigt. Und: Im Potsdamer Protokoll ist nur von der „Überführung“ der Deutschen aus Polen die Rede, also nicht aus den deutschen Provinzen. Alle uns vorliegenden polnischen Vertreibungsbefehle datieren weit vor Potsdam. Eine wesentliche Bestimmung des Potsdamer Protokolls, nämlich die, dass die künftige Grenze zwischen Polen und Deutschland erst in einem Friedensvertrag geregelt werden soll, wird unterschlagen. Zudem: In dem Werk der polnischen Wissenschaftler wird das Hinarbeiten Polens auf eine Grenze an Oder und Neiße seit 1919 übergangen. Es heißt bei ihnen: „Der Krieg hat die Grenzen Polens radikal verändert …“ (Seite 188). Weiter: „Die Verschiebung der Grenze Polens an die Linie Oder–Lausitzer Neiße und die auf der Konferenz von Potsdam getroffene Entscheidung der Alliierten über die Aussiedlung der Deutschen bedeuteten den fast hundertprozentigen Austausch der Bevölkerung …“ (Seite 195). Die Vertreibung der mehr als drei Millionen Sudetendeutschen ist gänzlich unter den Tisch gefallen. Das ist mehr als peinlich. 15 Prozent des Buchinhalts gilt der Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland, der größten Vertreibung der Weltgeschichte, während auf 50 Prozent der Seiten die Verbrechen an Polen und polnischen Juden geschildert werden. Die geflüchteten Deutschen werden nicht als Vertriebene angesehen, obgleich sie bekanntlich von der polnischen Miliz ab Juni 1945 mit militärischer Gewalt daran gehindert wurden, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren – siehe hierzu das „Görlitzer Tagebuch“. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass das Buch nicht hält, was sein Titel verspricht. Man kann vermuten – auch viele Presseberichte beim Erscheinen des Buches deuteten darauf hin –, dass damit massiv in die Debatte um die Ausrichtung der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ eingegriffen werden sollte – leider auch mit erheblichen deutschen Steuermitteln. Man nennt das heute Geschichtspolitik. Aus diesen immer wiederkehrenden, bitteren Erfahrungen kann man nur die Bitte äußern, nicht ungeprüft Empfehlungen auszusprechen oder zu veröffentlichen, die der Gesamtproblematik des Schicksals der Vertriebenen nicht angemessen sind. Bozena Szaynok: „Illustrierte Geschichte der Flucht und Vertreibung – Ost- und Mitteleuropa 1939 bis 1959“, Weltbild, Augsburg 2009, gebunden, 253 Seiten, 14,95 Euro > Dossier: Der Streit um das Vertriebenenzentrum
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