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Die Vertreibung der Deutschen Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als logische Konsequenz der Hitlerschen Verbrechen zu bezeichnen, «kann nicht befriedigen, wenn man die Komplexität der Gründe und des Geschehens um die Vertreibung der Deutschen verstehen will. Man muss das Eigengewicht der Ziele der Gegenmächte in Ost wie in West mit einbeziehen.» Dies unternimmt inzwischen in der 14. deutschsprachigen Auflage der Amerikaner Alfred de Zayas, der während mehr als zwei Jahrzehnten in leitender Stellung in Uno-Menschenrechtsgremien tätig war. Dass er sich seit der Erstfassung (1977) an der Rechtsstellung von Individuen orientiert und Vorstellungen einer Aufrechnung kollektiver Schuld eine Absage erteilt, macht die Stärke des Buches aus. Denn er ist nicht nur promovierter Historiker, sondern auch promovierter Jurist. Das Völkerrecht verbietet bekanntlich Kollektivstrafen. In minuziöser Quellenarbeit zeigt de Zayas, dass in Polen und der Tschechoslowakei schon lange vor dem Krieg die Absicht gehegt wurde, die dort wohnhaften Deutschen aus ihrer rund 700jährigen Heimat zu vertreiben. Beide Staaten missachteten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz von Minderheiten. Der von de Zayas als Rassist demaskierte Beneš verstand es dann ab den frühen 1940er Jahren, den späteren Siegermächten die Politik der Vertreibung der Deutschen als Preis für Frieden und Stabilität zu verkaufen. Die Ostmächte wussten dieses Programm in den Verhandlungen über die Nachkriegsordnung (vor allem in Potsdam) gegenüber den Westmächten geschickt durchzusetzen. Letztere begnügten sich mit der Forderung nach einem «humanen» Vorgehen. Auf diese «humane» Weise wurden 15 Millionen Deutsche vertrieben, wobei 2 Millionen – grösstenteils an Hunger – starben. Das Elend der Flüchtlinge betraf ja vor allem Frauen, Kinder, Alte und Kranke. Der Völkerrechtler Felix Ermacora qualifiziert diese Vertreibungen als Genozid. Man verharmlost die Verbrechen der Nazis kein bisschen, wenn man nicht akzeptieren will, dass sie dazu dienen sollen, Völkerrechtsverbrechen zu legitimieren, die zudem bis heute grösstenteils weder moralisch anerkannt noch juristisch aufgearbeitet sind. De Zayas erkennt darin einen Präzedenzfall für spätere Vertreibungen in Palästina, Zypern, Bosnien oder Kosovo. Sein engagiertes Wirken gegen solche «Kriegsstrategien » hat bedeutenden Anteil daran, dass sich das Recht auf Heimat in den letzten Jahren als fundamentales Menschenrecht etablieren konnte. Patrick Sutter Alfred de Zayas: Die Nemesis von Potsdam: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. Herbig-Verlag, München 2005. 415 S., € 25.–.
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