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Einzigartiges Kulturdenkmal Wer in den 90er Jahren nach der Öffnung des nördlichen Ostpreußens den Weg in das acht Kilometer von Königsberg entfernte Arnau fand, stand vor den Resten eines Bauwerkes, das einst zu den schönsten Dorfkirchen der Ordenszeit zählte. Ein Vertrag soll jetzt zur Besserung der Lage beitragen. Es ist der aufopfernden Entschlossenheit des Vorsitzenden des Kuratoriums Arnau e. V., Walter T. Rix, zu verdanken, daß es diesen Sommer zur Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages gekommen ist. Die Unterzeichnung fand im Haus der Gebietsregierung in Königsberg statt. Vertragspartner sind auf russischer Seite der Direktor des „Gebietsmuseums für Geschichte und Kunst“, Sergej Alexander Jakimov, und auf deutscher Seite der Vorsitzende des Kuratoriums Arnau. Der Leiter des staatlichen Kulturdenkmalschutzes des Königsberger Gebiets, Wladimir Borisowitch Jarosch, ließ es sich nicht nehmen, der Zeremonie beizuwohnen. Das neue Vertragswerk sieht vor, daß die Kirche Arnau als Museum zu den Öffnungszeiten des Gebietsmuseums allen interessierten Menschen nach entsprechender Anmeldung und gegen Gebühr (2 Euro ohne Führung und 4 Euro mit) offensteht. Anmeldung aus der Bundesrepublik Deutschland sind über Telefon (04346) 29980, Fax (04346) 601483 und e-Mail: walter.rix@Kuratorium-Arnau.de möglich. Man kann sich auch direkt in Königsberg beim Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst anmelden: Uliza Klinitscheskaja 21, Telefon 007 (4012) 453844 oder 007 (4012) 453710. Im Vertrag wird weiter hervorgehoben, daß das Kuratorium Arnau e. V. gleichberechtigt und partnerschaftlich an allen Planungen, Restaurierungsarbeiten und geplanten Ausstellungen beteiligt ist und daß das Gebietsmuseum und das Kuratorium gemeinsam die Restaurierung der Kirche und die Wiederherstellung der Wandgemälde betreiben. Aus Anlaß der Vertragsunterzeichnung gab es auf Einladung Yakimovs in der bereits äußerlich wieder hergestellten Kirche in Arnau eine Pressekonferenz. Das Interesse der russischen Medien, und zwar nicht nur von Zeitungen, sondern auch Radio und Fernsehen, war ungewöhnlich groß. Unermüdlich beantworteten Rix und Yakimov die Fragen der Journalisten, was man durchaus als Novum russischer Pressegepflogenheiten ansehen kann. Von russischen Journalisten war zu hören, daß sie seit 17 Jahren auf diesen Termin gewartet haben, denn es war durchaus bekannt, daß es sich bei dieser Kirche wegen der übermalten Seccomalerei um etwas Besonderes handelt. Sorgen bereitet dem Kuratorium die Finanzierung dieses immensen Vorhabens. Die finanzielle Förderung durch die „Zeit“-Stiftung ist ausgelaufen, und das Kuratorium hofft auf eine weitergehende Unterstützung. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden sich im Internet unter: www.Kuratorium-Arnau.net. Die Kirche und das Kuratorium von Arnau Die an der ehemaligen Reichsstraße 1 in Richtung Insterburg gelegene St. Katharinenkirche in Arnau hatte den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt überstanden. Mit der Übernahme durch die Sowjetunion ereilte sie jedoch das Schicksal fast aller Gotteshäuser im Königsberger Gebiet. Sofern die Kirchengebäude nicht planmäßig zerstört oder gezielt dem Verfall ausgesetzt wurden, nutzte man sie wirtschaftlich. Dies war immer noch das kleinere Übel, denn so entgingen sie der Vernichtung – wie auch die Kirche von Arnau. Über 40 Jahre lang diente das Gebäude der örtlichen Kolchose als Getreidespeicher. Dazu wurden der Turm und das Dach zur Hälfte abgetragen und die dadurch gewonnenen Dachbalken als Zwischenboden in das Kircheninnere eingezogen. Um ein Einfahrtstor für Lastwagen und Traktoren zu erhalten, durchbrach man die Apsis – erschütternde Zeugnisse einer mißachteten Kultur. In einer Dokumentation über „Königsberg nach 1945“, die das Herder-Institut in Marburg im Dezember 1994 herausgab, ist zu lesen: „Zerstörungen durch Kriegshandlungen oder infolge derselben gehören zu den tragischen, weil unvermeidlichen Begleiterscheinungen des Krieges. Demgegenüber gehören Zerstörungen nach Kriegsende zu den am meisten bedrückenden Ereignissen, weil sie bei einer anderen Art von Besatzungspolitik und bei einer anderen Einstellung zum Land und seiner Kultur hätten vermieden werden können.“ Die Kirche von Arnau ist nach jener von Juditten die zweitälteste nicht nur Ostpreußens, sondern des gesamten historischen Ordensgebiets einschließlich des Baltikums. Eine erste urkundliche Erwähnung des Baus der Pfarrkirche in Verbindung mit einem „festen Haus“ des Deutschen Ordens stammt aus dem Jahre 1320. Schon nach der Eroberung des Samlandes in der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte der Deutsche Ritterorden rings um Königsberg eine Reihe von Sicherungsburgen gebaut, darunter auch Arnau. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde in Etappen auf einem Hügel nahe der Burg die Wallfahrtskirche der Heiligen Katharina erbaut. Die hoch über der Niederung des alten und neuen Pregels gelegene Kirche wurde in der Tradition des Ordens aus Feldsteinen und gefugten Ziegeln erbaut. Von besonderer Bedeutung sind die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Wandmalereien im Inneren der Kirche, die in 119 Bildern die Stationen der Heilserlangung veranschaulichen. Dieses Werk eines unbekannten Meisters ist eine Bilddarstellung der Heilsgeschichte vom Sündenfall über das Leben Christi bis zum Jüngsten Gericht, wie sie im Spätmittelalter populär war. Nach der Reformation wurde dieser Heilsspiegel wegen der Bildfeindlichkeit des Protestantismus mit einer weißen Kalkschicht überzogen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen unter zahlreichen Tüncheschichten einzelne Malereifragmente des in Vergessenheit geratenen Heilsspiegelzyklus wieder zum Vorschein. Von 1908 bis 1912 wurde dann der komplette Zyklus freigelegt und konserviert sowie der gesamte Innenraum renoviert. Soweit die Vorgeschichte. Nach dem Erwerb durch die Kolchose „Rodniki“ wurden diese Wandmalereien durch den Einbau des bereits erwähnten Zwischenbodens erheblich reduziert. Was noch zu sehen war, übertünchte man im Zuge der Umwandlung als Getreidespeicher erneut mit einem Kalkanstrich. Trotz eines Notdaches führten Schäden am Dach und an den Fenstern nach und nach zu einer weitgehenden Unbenutzbarkeit des Gebäudes, ebenso zu einer Durchfeuchtung des Putzes, was stellenweise zur Ablösung desselben mitsamt der sich darauf befindlichen Malereien führte. Eine Ortsbesichtigung im Juli 1992 führte auf deutscher Seite zu der Erkenntnis, daß jetzt gehandelt werden muß, um dieses unvergleichliche Kulturdenkmal zu retten. Unmittelbar darauf konstituierte sich das „Kuratorium Arnau“ unter der Federführung des Architekten und DiplomIngenieurs Ralph Schroeder, dem es nach mühsamen Verhandlungen mit der russischen Seite gelang, die Kirche unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Mittlerweile ist das Kuratorium Arnau ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Abstimmung mit den verantwortlichen russischen Institutionen die Kirche wiederherzustellen.
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