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„Besitzerschleichung“ oder legale Übereignung?
Nach einem der Duma vorgelegten Gesetzentwurf sollen
nach 1917 enteignete Objekte religiöser Zweckbestimmung ab 1. Januar 2011 wieder
in den Besitz der Konfessionen übergehen, deren Eigentum sie früher einmal waren.
Im Kaliningrader Gebiet gehörte die überwiegende
Mehrheit der Gotteshäuser katholischen und evangelischen Gemeinden. Beobachter meinen,
dass die russisch-orthodoxe Kirche nun eilig versucht, die Kirchen in ihren Besitz
zu bringen, weil Katholiken und Protestanten ab 2011 die gesetzlich vorgesehene
Rückgabe ihres Eigentums geltend machen können.
Es wird dabei außer Acht gelassen, dass in vielen ehemaligen Gotteshäusern jetzt
Kultur- oder Bildungseinrichtungen untergebracht sind: ein Theater, die Philharmonie,
eine Berufsschule usw. Sie sind für teures Geld aus staatlicher oder privater Hand
saniert worden und befinden sich jetzt in gutem bautechnischem Zustand. Einige Kaliningrader
Politiker und Spezialisten haben sich zu diesem Problem geäußert, wie die Nachrichtenagentur
„Regnum Novosti“ berichtet:
Igor Rudnikow, Abgeordneter der Gebietsduma: „Ich halte das für eine Besitzerschleichung
durch eine kommerzielle Organisation unter dem Namen ‚Russisch-orthodoxe Kirche‘.
Es sieht so aus, als ob unsere Regierung Artikel 14 der Verfassung nicht kennt,
der eindeutig die Gleichheit aller Konfessionen festschreibt. Es passieren gerade
Dinge, derer wir uns später einmal alle schämen werden. Als Abgeordneter habe ich
vorgeschlagen, im Gebiet einen Volksentscheid durchzuführen – eine aus meiner Sicht
akzeptable Lösung, solange sich die von der russisch-orthodoxen Kirche begehrten
Objekte noch im staatlichen Besitz befinden. Denn sie sind Volkseigentum.“
Alexander Epifanow, Architekt und Restaurator: „Ich bin dafür, dass die Kultureinrichtungen
in den seinerzeit extra für diese Zwecke angepassten Baudenkmälern verbleiben. Die
Übereignung an einen anderen Nutzer würde praktisch eine Liquidierung des vorhandenen
Kulturmilieus – des Puppentheaters, der Philharmonie etc. – bedeuten. Eine Übereignung
befürworte ich nur im Fall von verwahrlosten und verfallenden Baudenkmälern.“
Pawel Fjodorow, „Gerechtes Russland“, regionaler Parteivorsitzender: „Ginge es um
einen anderen russischen Bezirk, so wäre das kein Problem, weil dort praktisch alle
kirchlichen Bauten früher der Russisch-orthodoxen Kirche gehörten. Hier jedoch hatte
sie keine Besitztümer. Ich halte deshalb ihren Standpunkt für nicht zeitgemäß und,
milde gesagt, für unkorrekt. Was sie beansprucht, ist ein besonderes Kulturgut,
das Teil der Stadtgeschichte und Eigentum der ganzen Nation geworden ist.“
Wladimir Morar, Abgeordneter der Gebietsduma („Patrioten Russlands“) und „Verdienter
Lehrer“ Russlands: „Man sollte nicht vergessen, dass das Gesetz noch nicht verabschiedet
wurde. Noch ist es ein Gesetzentwurf. Ich meine, dass das Gesetz überprüft werden
sollte, ob darin sowohl die Interessen der Russisch-orthodoxen Kirche als auch das
Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu Kulturgütern berücksichtigt werden. In
unserer konkreten Situation sollte man die Folgen der Übereignung eines jeden Baudenkmals
genau abwägen. Eine pauschale Vorgehensweise bringt hier nichts.“
Elena Wojtechowitsch, Journalistin: „Eine kostenlose Übereignung ruft bei mir nur
Befremden hervor. So wie das gemacht wird – wenn unsere Regierung noch vor dem Inkrafttreten
eines föderalen Gesetzes in aller Eile das „Geschäft“ mit Hilfe eines regionalen
Gesetzes abzuwickeln versucht – ich nenne das eine Eigentumumverteilung, die dem
Grundgesetz und den Bürgerrechten zuwiderläuft. In Russland sind Kirche und Staat
getrennt und die großartigen Baudenkmäler in angesehenen Gegenden unseres Gebiets
sind staatliches Eigentum. Sie wurden mit nicht unerheblicher staatlicher Unterstützung,
also mit dem Geld der Steuerzahler saniert und wiederaufgebaut. Solche Regierungsentscheidungen
sollten unter Berücksichtigung der Meinungen der Bürger gefasst werden. Sehr zweifelhaft
erscheint mir die moralische und rechtliche Grundlage, auf der die führende – jedoch
nicht einzige – Konfession in unserem Gebiet Anspruch auf fertige, seit Jahrzehnten
bestehende Theater, Museen, Philharmonien und Bildungsrichtungen erhebt. Das Versprechen,
die Mietverträge von Kultur- und Bildungseinrichtungen weiter laufen zu lassen,
erscheint wenig glaubwürdig. Man kann ja jeden Mietvertrag, auch einen, der den
Mietern Rechte auf „unbeschränkte Zeit“ garantiert, jederzeit unter einem passenden
Vorwand einseitig kündigen. Es ist nicht zu glauben, dass Kultur, Kunst und Bildung
den Verantwortlichen im Land so wenig bedeuten, dass sie so leicht bereit sind,
die Kulturgüter in fremde Hände zu geben. Es gibt außerdem so viele völlig verwahrloste
und halb zerstörte alte Kirchen im Gebiet – bitte nehmt sie und kümmert euch um
sie! Das würde ein positives Echo hervorrufen, auch in Bezug auf die Kirche und
die Behörden. Außerdem gäbe es dann keinen Grund, die moralische Seite einer solchen
Übereignung in Zweifel zu ziehen.“
Igor Rewin, Abgeordneter der Gebietsduma und regionaler Vorsitzender der Kommunistischen
Partei: „Ich glaube, das Gesetz ist nicht gut durchdacht. Ich bin dafür, dass die
Kultureinrichtungen ihren jetzigen Status als staatliches Eigentum behalten. Wir
haben versucht, Änderungen in den Gesetzentwurf einzubringen – vergebens! Eine ähnliche
Situation wie in unserem Gebiet gibt es auch in Karelien, wo alte Gotteshäuser der
finnisch-evangelischen Kirche erhalten geblieben sind, und auf der Insel Sachalin
mit ihren prachtvollen religiösen Bauten, die seinerzeit von den Japanern errichtet
wurden. Es sind jetzt alles museale Objekte, von denen die russisch-orthodoxe Kirche
nun Besitz ergreifen möchte.“
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weitere Informationen:
19.12.2010: Не укради
Demo in Königsberg gegen Objektübertragung an ROK
http://www.kasparov.ru/material.php?id=4D0E2A3630D36
weitere Berichte zum
Eigentumsstreit
im Ostdeutschen Diskussionsforum unter:
Ostdeutsche Heimatarbeit;
Kuratorium Arnau - aktuell;
auf den Netzseiten des Kuratoriums Arnau e.V.:
www.kuratorium-arnau.net/aktuelles/;
www.kuratorium-arnau.net/Info/Presse/;
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