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Gegen jede Bagatellisierung Der Verfasser dieser 50 Thesen ist amerikanischer Völkerrechtler (Harvard) und Historiker und seit zwei Jahrzehnten Mitglied des Kuratoriums der Internationalen Gesellschaft für Menschenreechte (IGFM). Er war hoher Uno-Beamter und Chef der Petitionsabteilung im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte in Genf. 2003 von der Uno pensioniert, lehrt er seitdem Völkerrecht am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf, an der Universität von British Columbia (Vancouver) und an der Geneva School of Diplomacy. Als Fulbright-Stipendiat kam er in den siebziger Jahren nach Göttingen, wo er in Geschichte promoviert wurde. Sein erstes Buch „Die Nemesis von Potsdam. Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“ erschien 1977 und liegt inzwischen in der 14., sehr erweiterten Ausgabe bei Herbig (2005) vor. Sein zweites Buch, die „Anmerkungen zur Vertreibung“ (Stuttgart 1986), enthielt bereits 22 „Thesen zur Vertreibung“. Sie bilden den Kern der hier besprochenen 50 Thesen, die ausführlicher formuliert und mit vielen erklärenden Fußnoten und Literaturhinweisen versehen sind. Dabei handelt es sich um 17 historische und 18 völkerrechtliche Thesen, die dann gewisse Schlußfolgerungen gleichsam zwangsläufig nach sich ziehen. Die 15 Schlußfolgerungen kann man schwerlich ablehnen – so beispielsweise These 50: „Es gilt, Vertreibungen überzeugend zu ächten und damit künftige ‘ethnische Säuberungen’ zu verhindern. Eine gründlichere Auseinandersetzung mit allen Aspekten der Vertreibung der Deutschen in ihrem gesamteuropäischen und menschenrechtlichen Kontext und sinnvolle, für alle Seiten tragbare Anstrengungen zur Überwindung der Unrechtsfolgen würden eine solche Prävention fördern. Die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen und das geplante ‘sichtbare Zeichen’ in Berlin können dazu einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie sich strikt an der historischen Wahrheit und am Völkerrecht orientieren.“ Kaum ein Wissenschaftler hat sich so lange und so interdisziplinär mit der Vertreibung beschäftigt wie de Zayas. Da er dem Beirat der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen angehört, darf man hoffen, daß er auch in die neue Forschungs- und Dokumentationsstelle in Berlin berufen wird. Nun ist de Zayas vor allem Menschenrechtler und betrachtet die Vertreibung der Deutschen nicht nur historisch, in ihren umfassenden Zusammenhängen (Verträge von Versailles, St. Germain, Trianon, Ribbentrop-Molotow-Pakt, Generalplan Ost), sondern vor allem in ihrer menschenrechtlichen Dimension. Dabei kann er sich auf die Worte des ersten UN-Hochkommissars für Menschenrechte, José Ayala Lasso (Ecuador), berufen, der 1995 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main und 2005 in Berlin die deutschen Vertriebenen eindeutig als Opfer anerkannte. Als Anomalie bewertet de Zayas, daß die weitaus meisten deutschen Medien diese bedeutenden Worte Ayala Lassos weitgehend ignorierten, ebenso wie sie die Worte der Anerkennung und der Caritas von Papst Johannes Paulus II. und von Benedikt XVI. zu den Vertriebenen überwiegend schlichtweg ignorierten. Die Thesen nehmen vehement gegen die Bagatellisierung der Vertreibung, gegen Aufrechnungen, gegen Kollektivschuld, gegen die Täter/Opfer-Schablone Stellung. Sie lehnen die pietätlose Haltung einiger deutschen Historiker ab, die die Vertreibung durch die Verbrechen der Nationalsozialisten erklären und sogar rechtfertigen wollen. Die Thesen sind aber auch nicht einfach ein „Plädoyer“ für die deutschen Vertriebenen. Sie sind ein „Plädoyer“ für die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte und für die Notwendigkeit, aller Opfer mit Ehrfurcht zu gedenken. Als Historiker zeigt de Zayas, daß die deutsche Ostsiedlung weitestgehend friedlich vor sich ging, daß die meisten deutschen Bauern und Kaufleute in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen, Mähren bereits im 12. und 13. Jahrhundert dorthin siedelten, meistens auf Einladung und nicht als Eroberer. Eigentlich läßt sich die populärwissenschaftliche Idee eines deutschen Drangs nach Ostens weniger belegen als ein slawischer Drang nach Westen. Immerhin war der Zweite Weltkrieg nur der Anlaß, nicht aber die Ursache der Vertreibung. Im Vorwort schreibt de Zayas: „Der heute oft behauptete einfache kausale Nexus zwischen Krieg und Vertreibung überzeugt nicht und ist zudem wissenschaftlich unhaltbar. Das Kriegsende wäre ohne Vertreibung der Ostdeutschen durchaus denkbar gewesen. Die Rheinländer wurden von den Franzosen und Niederländern nicht nach Osten vertrieben. Weshalb wurden die Ostpreußen und Sudetendeutschen nach Westen verjagt? Ursache der Vertreibung waren die freien Entscheidungen einer nicht allzu großen Zahl von Politikern mehrerer Staaten, deren langfristiges geopolitisches Kalkül 1945 in die größte Vertreibung der Geschichte mündete.“ De Zayas gehört nicht zu den Zeitgeist-Historikern, die ihren Mantel nach dem politischen Wind hängen. Er hat in den einschlägigen deutschen, amerikanischen, britischen, französischen und schweizerischen Archiven gründlich geforscht. Er sprach mit mehreren Teilnehmern an der Potsdamer Konferenz und interviewte den politischen Berater von Eisenhower, Robert Murphy, der das Vorwort zu „Nemesis at Potsdam“ schrieb. Er sprach mit dem Chef der Deutschlandabteilung im US-Außenministerium, James Riddelberger, mit George F. Kennan, mit dem Verfasser des Artikels XIII des Potsdamer Kommuniqués (das kein Abkommen war!), Sir Geoffrey Harrison, mit dem Verfasser des Artikels IX (über die Oder-Neiße-Linie), Sir Dennis Allen, mit den Nürnberger US-Anklägern Telford Taylor und Benjamin Ferencz, mit polnischen, tschechischen und russischen Wissenschaftlern und vor allem mit den Opfern – den Vertriebenen und ihren Vertretern: Herbert Czaja, Herbert Hupka, Bundesminister a.D. Heinrich Windelen und natürlich der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach. Er hat etliche neue Dokumente und Erkenntnisse zutage gefördert, die in den Thesen einen klaren, konkreten und konzentrierten Ausdruck finden. Didaktisch sind die Thesen für den Geschichts- und Politikunterricht an Gymnasien hervorragend geeignet. Hoffen wir, daß die Bundeszentrale für politische Bildung und die Landeszentralen es auch so sehen. Alfred M. De Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung. Verlag Inspiration Un Limited, London und München 2008, broschiert, 52 Seiten, Abbildungen, darunter eine Sprachenkarte, 7 Euro (info@verlag-inspiration.de) Dr. Reinhard Gnauck kooptiert dem Vorstand der Deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM).
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