Flüchtlingstreck
auf dem Eisweg über das Frische Haff Foto: Andrej Harcow / Nasz Baltijsk
Die Flucht über das zugefrorene Haff aus der Täterperspektive
von Matthias Bäkermann
Der sowjetische Befehl aus dem Winter 1945 ist
klar gefaßt. Für den 18. Februar 1945 hatten die Divisionen einen Spezialauftrag:
„Vernichten der Kolonnen des Feindes, der sich über das Frische Haff und die
Eiswege in der Gegend von Passarge, Narmeln, Neukrug zurückzieht.“
Bei diesen „Feindkolonnen“ handelte es sich
allerdings nicht etwa um zurückziehende Wehrmachtseinheiten oder
Nachschubtransporte, sondern vorwiegend um Frauen, Kinder und Alte, die sich in
endlosen Trecks über das Eis des Frischen Haff auf die Nehrung zu retten
versuchten, um den letzten noch offenen Landweg aus Ostpreußen nach Westen zu
erreichen.
Wie ein jetzt in der polnischen Zeitung
Polskatimes erstmals veröffentlichter historischer Sensationsfund dokumentiert,
war für die sowjetischen Piloten dieses Ziel – lange Reihen unbewaffneter
Flüchtlinge auf Pferdekutschen – deutlich ersichtlich. Die bisher unbekannten
sieben Aufnahmen und zwei Ablichtungen sowjetischer Dokumente hatte zuvor der
polnische Hobbyhistoriker Ryszard Doda aus Alt Passarge (Stara Pasłęka) bei
Braunsberg (Braniewo) auf seinem Facebook-Profil gezeigt.
Ostpreußen auf
der Flucht im Frühjahr 1945 Foto: Andrej Harcow / Nasz Baltijsk
Diese habe ihm sein russischer Segelfreund Andrej
Harcow aus Kaliningrad mitgebracht, so Doda gegenüber Polskatimes. Die Fotos
seien mit einem Bord-Fotoapparat eines sowjetischen Schlachtfliegers Iljuschin
Il-2 „Schturmowik“ nach dem Luftangriff auf den schutzlosen „Gegner“ auf dem Eis
angefertigt worden.
Nach der sowjetischen Großoffensive („Weichsel-Oder-Operation“)
vom 12. Januar 1945 wurde bereits zwei Wochen später
Ostpreußen eingeschlossen.
Dort verteidigten sich letzte Wehrmachtseinheiten bis zur Kapitulation in
Königsberg am 9. April in einem immer kleiner werdenden Kessel. Rasch von der
Weißrussischen Front von Warschau nach Norden vorgestoßene Panzereinheiten
konnten bereits am 24. Januar östlich von
Elbing die Küste bei Cadinen und
Tolkemit erreichen.
Damit war für alle Ostpreußen der direkte Weg in
Richtung Danzig und
Pommern versperrt. In dem ungewöhnlich kalten Winter mit
wochenlangen Temperaturen bis zu minus 20 Grad wäre der Weg über das Eis der
Frischen Nehrung eigentlich passierbar gewesen. Allerdings starben abertausende
Zivilisten durch die sowjetischen Bomben oder auch direkten Tieffliegerbeschuß.
Zudem brachen viele Pferdekutschen im Eis ein, da durch die Bombardements viele
Treckrouten brüchig geworden waren.
„Die Tiefflieger kamen wie Hornissenschwärme
nieder und schossen auf Mann und Maus. Die getroffenen Wagen gingen in der
schwarzen Ostsee unter. Das schlimmste waren die Schreie der Pferde, die
Menschen waren stumm, es war traumatisch,“
erinnert sich 2013 der damals
minderjährige Heinz-Jürgen Manier.
Die Täterperspektive dieses Kriegsverbrechens
dokumentiert die Meldung aus einem Armeearchiv der Roten Armee, die Doda mitsamt
der Fotos in die Hände gespielt wurden: „Zwischen 15.40 bis 16.20 Uhr am 18.
Februar 1945 flogen zur Erfüllung des Auftrags 8 Gruppen von 4 bis 5 Flugzeugen
der 75. und 136. GSchAP. Drei Gruppen fanden sich auf ihrem Flug in schlechtem
Wetter wieder – völlige Bewölkung in einer Höhe von 70 bis 100 Meter, Sicht
weniger als 1 Kilometer. (…) Fünf Gruppen gelangten trotz schwieriger
Wetterverhältnisse zum Ziel und führten den Auftrag aus.“
Diese Netzseiten sind optimiert
für 1024x768 oder höher und 24 Bit Farbtiefe sowie MS-Internet Explorer 11.x oder höher.
Netscape ab 7.x oder andere Browser mit Einschränkungen verwendbar. - Soundkarte
für Tonwiedergabe erforderlich.