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Die Frauen von Nidden standen am Strand,
über spähenden Augen die braune Hand,
und die Böte nahten in wilder Hast,
schwarze Wimpel flogen züngelnd am Mast.
Die Männer banden die Kähne fest
und schrieen: "Drüben wütet die Pest!
In der Nied'rung von Heydekrug bis Schaaken
gehen die Leute in Trauerlaken!"
Da sprachen die Frauen: "Es hat nicht Not,
vor unsrer Türe lauert der Tod,
jeden Tag, den uns Gott gegeben,
müssen wir ringen um unser Leben.
Die wandernde Düne ist Leides genug,
Gott wird uns verschonen, der uns schlug!" -
Doch die Pest ist des Nachts kommen,
mit den Elchen über das Haff gesprungen.
Drei Tage lang und drei Nächte lang
wimmernd im Kirchstuhl die Glocke klang;
am vierten Morgen schrill und jach,
ihre Stimme in Leide brach.
nd in dem Dorfe, aus Kate und Haus,
sieben Frauen schritten heraus,
sie schritten barfuß und tief gebückt
in schwarzen Kleidern buntbestickt.
Sie klommen die steile Düne hinan,
Schuh und Strümpfe legten sie an,
und sie sprachen: "Düne, wir sieben
sind allein noch übriggeblieben.
Kein Tischler lebt, der den Sarg uns schreint,
nicht Sohn und nicht Enkel, der uns beweint,
kein Pfarrer mehr, uns den Kelch zu geben,
nicht Knecht noch Magd ist mehr unten am Leben.
Nun, weiße Düne, gib wohl acht:
Tür und Tor ist dir aufgemacht,
in unsre Stuben wirst du gehn,
Herd und Hof und Schober verwehn.
Gott vergaß uns, er ließ uns verderben.
Sein verödetes Haus sollt Du erben,
Kreuz und Bibel zum Spielzeug haben -
nur, Mütterchen, komm uns zu begraben!
Schlage und still ins Leichentuch,
du unser Segen, einst unser Fluch. -
Sie, wir liegen und warten ganz mit Ruh." -
und die Düne kam und deckte sie zu.
Agnes Miegel
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Quelle:
Wahl, Irmgard, Buchheim, Karl (Hrsg.): Deutsche Balladen
Eine Auswahl aus zwei Jahrhunderten, Leipzig 1944. |
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