Ein Trauma der Deutschen wird begründet
Schrankenlose Geldvermehrung machte vor 90 Jahren die
Einführung einer neuen Währung, der Rentenmark, nötig
von Klaus J. Groth
Im Sommer 1923 hatte die Inflation in Deutschland
ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. Hausfrauen schleppten Taschen voll Geld zum
Einkaufen. Sie mussten sich beeilen, denn die Preise stiegen an manchen Tagen im
Stundentakt. Im Juni kostete ein Ei 800 Mark, ein Liter Milch 1440 und eine
Fahrt mit der Straßenbahn in Berlin 600 Mark. Geschäftsleute horteten ihre
Waren, es kam zu Plünderungen. Viele Theater und Kinos ließen sich die
Eintrittskarten mit Naturalien bezahlen. Die besten Plätze kosteten ein Pfund
Butter, die hinteren zwei Eier. Was nutzte es, dass ein Handwerker am Monatsende
150.000 Mark nach Hause brachte und Professoren Millionengehälter bezogen, die
Inflation stieg immer schneller als die Löhne. Ebenso rasant verlor die deutsche
Währung im Ausland an Wert. Zuletzt musste man für einen US-Dollar 4,2 Billionen
Mark bezahlen.
Die Hyperinflation war der Preis, den die
Deutschen für den verlorenen Krieg bezahlten. Sie hatten eine doppelte Schuld zu
begleichen: die immensen Kosten der Kriegsführung und die Reparationen, die
ihnen die Alliierten im Versailler Vertrag von 1919 aufbürdeten. 1921 wurde die
Schadenersatzforderung im sogenannten Londoner Schuldenplan auf 132 Milliarden
Goldmark, das entspricht 47.000 Tonnen Gold, festgesetzt. Außerdem verlangten
die Sieger einen Anteil von 26 Prozent an den Erlösen des deutschen Exports. Vor
allem die Franzosen steuerten den harten Kurs gegen ihren „Erbfeind“, dem sie
die Niederlage
im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 nicht verzeihen konnten.
Die Forderung war unerfüllbar. Die deutsche
Wirtschaft lag bald am Boden, die Zahl der Arbeitslosen stieg auf fast 30
Prozent. Dafür liefen die Geldpressen des Staates Tag und Nacht. Im November war
der höchste Geldschein 100 Billionen Mark „wert“.
Die von Krisen
geschüttelte Weimarer Republik stand vor dem Ruin.
Am 13. August 1923 wurde der Liberale Gustav
Stresemann zum Reichskanzler gewählt. Er leitete zusammen mit dem
Reichswährungskommissar und späteren Präsidenten der Reichsbank Hjalmar Schacht
die Vorbereitungen für eine Währungsreform ein, die stabile Verhältnisse und
bessere Lebensbedingungen in Deutschland schaffen sollte. Da der Staat nicht
über genügend Goldreserven verfügte, wurde die neue Währung, die Rentenmark,
durch eine Grundschuld gedeckt, für die das gesamte deutsche Gewerbe, die
Industrie und die Landwirtschaft mit Grund und Boden im angenommenen Wert von
3,2 Milliarden Rentenmark hafteten. Die am 15. Oktober gegründete Deutsche
Rentenbank sollte als unabhängiges öffentlich-rechtliches Kreditinstitut den
gewaltigen Währungsschnitt steuern. Am 15. November wurde die neue Rentenmark
ausgegeben. Sie ersetzte die Papiermark, seit 1919 Zahlungsmittel der Weimarer
Republik.
Rentenmark-Ausgabe: Warteschlange in
Berlins Oberwallstraße
Die Reform war die größte Geldvernichtungsaktion,
die jemals in einer Industrienation stattfand. Für eine Billion Papiermark gab
es nach Streichung von zwölf Nullen eine Rentenmark. Die Menschen brachten
säckeweise Geld zu den Ausgabestellen. Die Geldscheine, die sie dafür erhielten,
passten in jedes Portemonnaie. Komplette Ersparnisse hatten sich in nichts
aufgelöst. Zudem wurden die Kriegsanleihen aus dem Ersten Weltkrieg nicht
zurückgezahlt. Fein heraus waren nur diejenigen, die „Betongold“ – Immobilien
und Ländereien – besaßen oder Schulden hatten. Die leidgeprüften Deutschen
fügten sich in ihr Schicksal. Mancher heizte den Ofen mit dem Papiergeld an, so
erfüllte es wenigstens noch einen Zweck. Die Scheine mit Billionenwerten sind
heute begehrte Sammelobjekte.
Von der Skepsis, die viele Bundesbürger der
Umwandlung der Deutschen Mark in den Euro, den „Teuro“,
entgegenbrachten, war bei der Einführung der Rentenmark nichts zu spüren. Die
Menschen vertrauten darauf, dass sie aus der Krise herausführen würde.
Tatsächlich war die Währungsreform der entscheidende Schritt zu einer
wirtschaftlichen Blütezeit. Die Zeitungen schrieben über das „Wunder der
Rentenmark“. Die neue Währung war nur als Überganglösung geplant und sollte in
die Reichsmark übergehen. Sie brachte die fiskalische Voraussetzung für eine
Änderung der Reparationen. Ein internationaler Expertenausschuss unter Leitung
des US-amerikanischen Bankiers und späteren Vizepräsidenten der USA Charles
Dawes (1865–1951), erarbeitete einen neuen Finanzierungsplan, der die Zahlungen
an die wirtschaftliche Leistung Deutschlands knüpfte. Kredite aus dem Ausland,
vor allem aus den USA, und Investitionen sollten Deutschland wirtschaftlich auf
die Beine helfen. Für den nach ihm benannten Plan erhielt Dawes 1925 den
Friedensnobelpreis.
Schon ein Jahr nach der Einführung der Rentenmark
und dem strikten Sparkurs der Regierung hatte sich die Situation im Deutschen
Reich so entspannt, dass die Reichsmark als endgültige Währung eingeführt werden
konnte. Sie war im Wesentlichen durch Gold gedeckt und notierte zum Dollar mit
4,2 Mark, genauso wie zu Vorkriegszeiten. Die Rentenmark sollte eigentlich nach
und nach eingezogen werden. Sie blieb aber als gleichwertiges Zahlungsmittel im
Umlauf, da die Regierung die Bürger nicht verunsichern wollte. Auf den Scheinen
der Parallelwährung befanden sich keine deutschen Hoheitszeichen. Das offizielle
Kürzel für beide Währungen war RM. Die letzten Rentenmarkscheine zu ein und zwei
RM wurden am 5. September 1939 ausgegeben. Sie waren bis zur
Währungsreform 1948
in den alliierten Besatzungszonen gültig.
Die Reichsmark läutete die sogenannten goldenen
20er Jahre ein. Von 1924 bis 1929 wuchs das Produktionsvolumen um 50 Prozent.
Kunst und Wissenschaft blühten auf, und Berlin wurde zu einer glitzernden
Metropole. Die Weltwirtschaftskrise beendete 1929 mit dem Börsenkrach in New
York den Höhenflug. Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen bereiteten den Boden
für den Aufstieg der Nationalsozialisten.
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