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"Es gibt erhebliche Überschneidungspunkte" |
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Vertreibung im 20. Jahrhundert:
Stiftungsdirektor verteidigt Ausstellungskonzept
Manfred Kittel im
Gespräch mit Joachim Scholl |
Der Direktor der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Manfred Kittel, hat die Kritik an
seinem Konzept für eine Dauerausstellung über Flucht und Vertreibung im 20.
Jahrhundert zurückgewiesen. Der Osteuropa-Historiker Martin Schulze-Wessel hatte
zuvor bemängelt, die Stiftung gehe über den Zweiten Weltkrieg als dominierenden
Kontext von Flucht und Vertreibung hinweg.
Joachim Scholl:
Vor zwei Jahren wurde die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung"
gegründet, und seither zerren allerlei politische Interessen an diesem Projekt
und vor allem an der Frage: Wie soll eine geplante Dauerausstellung zum Thema
aussehen? Wie soll das Leid der deutschen Vertriebenen im Kontext deutscher
Schuld dargestellt werden? - Im Studio begrüße ich nun den Direktor der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Manfred Kittel. Guten Tag!
Manfred Kittel: Guten Tag!
Scholl: Fühlen Sie sich herausgefordert
durch Martin Schulze Wessel und seine Kollegen?
Kittel: Wir freuen uns über jede
Initiative, sei es privater Art, gesellschaftlicher Art, Ideen, Überlegungen
dazu, wie man mit dem schwierigen Thema Flucht, Vertreibung, Zwangsmigration in
eine Ausstellung mitten in Berlin umgehen könnte. Das ist das eine. Das andere
ist, ob man in allen Punkten übereinstimmt. Ich glaube, so ein Stück weit ist
das, was hier stattfindet, auch ein ritualisierter Konflikt, der vielleicht
etwas schärfer rüberkommt, als er in der Sache tatsächlich ist. Und ich glaube,
es gibt durchaus auch erhebliche nicht nur Überschneidungspunkte, sondern
Überschneidungsflächen zwischen dem, was diese Historikerkommissionen vorgelegt
haben, und dem, was die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung plant.
Scholl: Auf die Gemeinsamkeiten oder die
Unterschiede dieser Konzepte wollen wir gleich zu sprechen kommen, Herr Kittel.
Aber in der Öffentlichkeit ist ja schon der Eindruck entstanden, dass die
Stiftung vor allem durch interne Querelen gekennzeichnet ist. Warum hat es
eigentlich auch so lange gedauert bis zu Ihrem Konzept zur Dauerausstellung, das
jetzt also demnächst vorgestellt wird?
Kittel: Lange gedauert hat es überhaupt
nicht. Man muss sich mal vor Augen halten, wie das in vergleichbaren Fällen, bei
vergleichbaren Projekten gelaufen ist. Und seit zwei Jahren gibt es das
Stiftungsgesetz. Aber bis die Stiftung dann auf die Beine kommt - mit dem
Personalaufbau et cetera - dauert es eben. Also wir haben jetzt in diesem Jahr
auch erst im Mai einen Ausstellungskurator eingestellt, jetzt ist September. So
fürchterlich lang kann ich den Weg zu einem Ausstellungskonzept nicht finden.
Man muss eben dazu sagen: Ich verstehe ja eine gewisse Ungeduld öffentlich, die
natürlich vor allem deswegen entsteht, weil immer wieder auch politisch so
massiv diskutiert wird über die Stiftung. Aber man muss dazu sagen: Eine
staatliche Stiftung ist keine Sponti-Veranstaltung. Es gibt Gremien, es gibt
Fristen, die einzuhalten sind, und im Rahmen derer bewegen wir uns. Und die
Stiftung, der Stiftungsrat hat bei seiner letzten Sitzung im März erstmals den
Direktor aufgefordert, gebeten, ersucht, wie Sie es nennen wollen, eine
Konzeption vorzulegen bis zur nächsten Sitzung. Die findet jetzt im Oktober
statt, und das Papier ist da.
Scholl: Wenn Sie die politischen Kräfte
ansprechen: Es heißt ja auch immer, dass der Bund der Vertriebenen unzulässig
Einfluss nimmt auf die Stiftung. Ist das so?
Kittel: Das kann ich aus meiner bisherigen
Erfahrung jedenfalls mit den beiden Stiftungsratsmitgliedern, die aktiv
mitwirken - seit, ja, jetzt einem Jahr etwa - nicht bestätigen. Das ist der
sudetendeutsche Sozialdemokrat Schläger und ein bayerischer Christsozialer mit
schlesischen Wurzeln, Herr Knauer. Und mit beiden hat es bisher im Stiftungsrat
keine Probleme gegeben. Hätte es welche gegeben, hätte es die Öffentlichkeit
sicher auch erfahren.
Scholl: Kommen wir mal zu den bislang
bekannten Punkten des Konzepts. Sie haben unlängst in einem Vortrag hier in
Berlin Eckpunkte schon vorgestellt, zum Beispiel sieht ihr Plan vor, die
Chronologie der Vertreibung in der Ausstellung
mit dem ersten Weltkrieg beginnen
zu lassen. Mit welcher Begründung?
Kittel: Man muss ja sehen, was der
Stiftungsauftrag ist. Der Stiftungsauftrag lautet zum einen, Flucht und
Vertreibung der Deutschen als einen Hauptakzent darzustellen in ihrer
historischen unmittelbaren Verursachung, im Kontext des nationalsozialistischen
Rassen- und Vernichtungskrieges. Eingebettet soll das Ganze - ausdrücklich im
März 2008 der Regierungsbeschluss im Vorfeld der Gründung der Stiftung -,
eingebettet soll das sein in den Kontext europäischer Vertreibungen im 20.
Jahrhundert. Also historisch-politisch gesehen: Das kurze 20. Jahrhundert, wie
man sagt, beginnt mit dem Ersten Weltkrieg und endet quasi mit dem Jahr 1989,
90, wenn man so will. Wir nehmen die 90er-Jahre dann aufgrund unseres
thematischen Fokusses natürlich noch komplett mit hinein, weil die ethnischen
Säuberungen im zerfallenden Jugoslawien am Ende des 20. Jahrhunderts ja noch mal
eine ganz wichtige Wegmarke sozusagen in der Geschichte von Zwangsmigration im
20. Jahrhundert markieren.
Scholl: Dagegen setzt nun die Münchner
Forschergruppe den Fokus auf den Zweiten Weltkrieg. Hören wir uns mal an, wie
Martin Schulze Wessel diesen Ansatz erklärt:
Martin Schulze Wessel: Für unser Konzept ist es
ganz grundlegend, dass der Zweite Weltkrieg mit den Vernichtungspraktiken
gegenüber Juden aber eben auch gegenüber Polen, dass dieser Zweite Weltkrieg den
entscheidenden, den dominierenden Kontext bildet für die Vertreibung und die
Flucht. Und wir wollen deutlich machen, dass es zwischen Vertreibung einerseits
und der Shoah aber eben auch der Verfolgung der Polen einen kategorialen
Unterschied gibt, was die Vernichtungsabsicht angeht und auch die Systematik der
Verfolgungen.
Scholl: Der Historiker Martin Schulze
Wessel über den Plan einer Dauerausstellung zum Thema Flucht und Vertreibung.
Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Manfred Kittel, dem
Direktor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Ein kategorialer
Unterschied, Herr Kittel, zwischen dem Genozid der Nazis, der Vernichtung des
jüdischen Volkes und der Vertreibung. Ich meine, diesem Unterschied werden Sie
auch zustimmen?
Kittel: Dem werden wir zustimmen, das habe
ich am Samstag, als ich Umrisse der Ausstellungskonzeption vorgetragen habe bei
einer internationalen Tagung, ja auch getan. Ich kann auch nur jeden Satz
unterschreiben, denn Herr Schulze Wessel … die Ausführungen, die er jetzt eben
getätigt hat. Die entscheidende Frage scheint mir dann zu sein, … Also es ist
völlig unstrittig: Für Flucht und Vertreibung der Deutschen ist dieser genannte
Kontext Zweiter Weltkrieg zentral.
Wir behandeln aber eben laut unseres Stiftungsauftrages eben auch andere Fälle
von Zwangsmigration im 20. Jahrhundert, eben auch solche, die schon vor dem
Dritten Reich lagen, die als Vorgeschichte zum Gesamtverständnis des Phänomens
Zwangsmigration, ethnische Säuberung einfach ganz wichtig sind: Der
griechisch-türkische sogenannte Bevölkerungsaustausch, sanktioniert im
internationalen Vertrag von Lausanne, auch durch die demokratischen Westmächte
1923, lag eben quasi am Ende - wenn man so will, ist er noch eine Folge des
Ersten Weltkrieges und der Konflikte in Kleinasien, im südlichen Europa. Der ist
ganz wichtig, im Übrigen auch, um zu verstehen, weshalb die Westmächte -
Churchill, Roosevelt -, die Westmächte dann 1944, 1945 einer Politik der
Vertreibung der Deutschen zustimmten.
Sicherlich vor allem auch vor dem Hintergrund des Zivilisationsbruches der
Nationalsozialisten, dieses Vernichtungskrieges, den das Dritte Reich geführt
hat im Osten, aber eben auch, wenn man so will, in der Longue durée, in der
längeren … in den Wurzeln des, des, des … zum Verständnis der Haltung der … oder
gerade von Churchill finden Sie immer wieder ganz explizit: Ja, das hätte doch
mit den Griechen und Türken Anfang der 20er-Jahre gut funktioniert. Diesen
Präzedenzfall gab es eben. Das relativiert aber nicht sozusagen den zentralen
Kontext Nationalsozialismus sozusagen in der Verursachung der Vertreibung der
Deutschen. Aber es ist sozusagen ein breiterer, weiterer Kontext, der wichtig
ist, wenn man das Thema ethnische Säuberung insgesamt verstehen will.
Scholl: Nun, Relativierung - das ist immer
so das Angst- und auch Schlüsselwort in der Debatte. Im Kern allen Streits um
dieses Thema geht es ja immer darum, also das Leid der deutschen Vertriebenen
jetzt auch darzustellen, aber dabei die grundlegende deutsche Schuld, wie es zu
dieser Vertreibung kam, nicht zu mindern. Ist denn hier überhaupt ein Konsens,
eine historisch objektive Sicht im Sinne einer Ausstellung denk- und dann auch
vermittelbar?
Kittel: Das wird die Ausstellung dann
zeigen. Wir werden uns jedenfalls sorgfältigst und peinlichst bemühen, die
unterschiedlichen Kontexte akribisch, wissenschaftlich genau darzustellen und
hoffen dann, den erwähnten Ansprüchen auch genügen zu können.
Scholl: Über ihre und andere Pläne - die
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Bei uns war der Stiftungsdirektor
Manfred Kittel. Danke schön für Ihren Besuch und das Gespräch!
Kittel: Vielen Dank, gerne!
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