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Am 16. bis 18. September fand im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums ein Symposium zum Thema „Flucht Vertreibung, ethnische Säuberungen“ mit über 250 Teilnehmern statt. Die Preußische Allgemeine Zeitung sprach darüber mit dem US-amerikanischen Völkerrechtler und Historiker Alfred M. de Zayas. PAZ: Mit diesem Symposium sollte auch das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen vorbereitet werden. Waren Sie dabei? de Zayas: Es waren 264 Personen auf der Teilnehmerliste. Da fehlten allerdings einige der bedeutendsten Experten für diesen Themenkreis wie etwa Prof. Dr. Matthias Stickler, Prof. Dr. Arnulf Baring, Prof. Dr. Hans-Detlef Horn, Prof. Dr. Gilbert Gornig, Prof. Dr. Norman Naimark (Stanford University), Prof. Dr. Stephen Vardy (Duquesne University), Dr. Kearn Schemm vom US State Department und Prof. Dr. Bohumil Dolezal (Prag). Vielleicht wurde der eine oder andere doch eingeladen und war verhindert. Was mich angeht, so wurde ich nicht eingeladen. PAZ: Wurden Sie möglicherweise bewusst ausgeschlossen? de Zayas: Das müssten Sie die Veranstalter fragen. Im Jahre 2005 wurde ich vom Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch eingeladen, das Kapitel „Vertreibung und Völkerrecht“ für den Katalog der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ zu schreiben. Ich war auch bei der Eröffnung der Ausstellung dabei. Auch 2005 wurde ich vom Institut für Zeitgeschichte eingeladen, an einer Tagung über die Potsdamer Konferenz und über die Vertreibungsbeschlüsse teilzunehmen. Meine Positionen und meine Stellung als Experte für diese Fragen haben sich nicht geändert, wohl aber die Verhältnisse in Deutschland. 2009 schrieb ich für die Oxford Encyclopedia of Public International Law den Beitrag „Forced Population Transfer“, und ich habe in den letzten zwölf Monaten an mehr als einem Dutzend Panels der Vereinten Nationen in Genf teilgenommen – einige über „ethnische Säuberungen“. PAZ: Wie beurteilen Sie die Richtung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung? de Zayas: Zuweilen bekommt man den Eindruck, dass bestimmte Politiker diese Stiftung kaputtmachen wollen. Es herrschen Einschüchterung und Mobbing, ja Drohung und Erpressung. Dies ist kein guter Ansatz für einen wissenschaftlichen Dialog – noch nicht einmal ein Ansatz für den Beginn einer aufrichtigen Beschäftigung mit der Thematik. PAZ: Sagten Sie Beginn? Der Fall des Eisernen Vorhangs liegt 20 Jahre zurück, die Vertreibung selbst 65 Jahre! de Zayas: Die Schuld für diese Misere liegt nicht nur bei betroffenen Ländern wie Polen und der Tschechischen Republik, wo es natürlich Schuldgefühle gibt. Sie liegt auch bei manchen deutschen Journalisten und Politikern und bei manchen deutschen Wissenschaftlern, die die Sache mit einer widernatürlichen Logik anpacken. PAZ: Worin besteht diese „Widernatürlichkeit“? de Zayas: Dreh- und Angelpunkt ist die These, dass wegen der vorangegangenen NS-Verbrechen eine Wiedergutmachung der Vertreibung nicht in Frage kommt und selbst ein ehrendes Gedenken an die Opfer und eine unvoreingenommene Erforschung des Geschehens irgendwie unzulässig sei. Aber das ist aus vielen Gründen absurd. PAZ: Nennen Sie uns die Wichtigsten! de Zayas: Anachronismen und falsche Zusammenhänge prägen die Diskussion. Anstatt sich mit der Vorgeschichte der Vertreibung, den geopolitischen Interessen der beteiligten Akteure, den Verträgen von Versailles und Saint Germains zu beschäftigen, wird eine monokausale Erklärung für die Vertreibung postuliert. Als ich in den 1970er Jahren als Fulbright-Stipendiat zu Forschungsarbeiten nach Deutschland kam, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass die deutsche politische Klasse die Vertreibung so außerhalb ihres Kontextes betrachten und alles nur auf Hitler abstellen würde. Heute werden alle geächtet, die an historische Zusammenhänge wie Versailles erinnern ... PAZ: Sie denken an Hartmut Saenger, Arnold Tölg und Erika Steinbach? de Zayas: Ja. Und man könnte wohl noch mehr Namen nennen. PAZ: Gibt es weitere Argumente, warum die NS-Verbrechen kein Argument gegen die Aufarbeitung sein können? de Zayas: Ja, sicher. Die Vorgeschichte kann ein Verbrechen wie die Vertreibung oft mehr oder weniger plausibel machen, aber sie kann es niemals rechtfertigen und deswegen auch Wiedergutmachung nicht ausschließen. Sonst ließe sich fast für jedes große Verbrechen der Geschichte irgend ein „Entschuldigungsgrund“ finden. Ein zweiter Grund ist, dass die Masse der Opfer der Vertreibung an den Verbrechen des NS-Regimes auch nicht im Ansatz persönlich schuldig geworden ist. Ein drittes Argument wäre, dass die Vertreibung den betroffenen Ländern selbst am meisten geschadet hat, so dass es schon deswegen absurd wäre, die durch Vertreibung geschaffenen Tatsachen sozusagen für unantastbar zu erklären. PAZ: Sie vertreten die gegenteilige Position? de Zayas: Nicht nur ich als Völkerrechtler, Historiker, Bürger und Mensch. Das allgemeine Völkerrecht verbietet aus gutem Grund, dass durch Vertreibung und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschaffene Tatsachen anerkannt werden. PAZ: Müsste, um dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen, der frühere Zustand („status quo ante“) wiederhergestellt werden? de Zayas: Das ist nicht immer möglich, vor allem nicht nach so langer Zeit. Gefordert sind aber aufrichtige Bemühungen, dem Recht wenigstens prinzipiell Geltung zu verschaffen durch unzweideutige und öffentliche Anerkennung des verbrecherischen Charakters der Vertreibung und durch eine zumindest symbolische Wiedergutmachung, ohne die alle öffentlichen Erklärungen bloße Worthülsen blieben. Genau das aber lehnen die Gegner des Berliner Zentrums kategorisch ab, und zwar nicht nur Nationalisten in Warschau und Prag, sondern auch ihre Helfer in Deutschland. Nur deswegen gibt es ja diesen quälenden und beschämenden Streit um das Zentrum in Berlin. PAZ: Vor zwei Jahren haben Sie Ihre „50 Thesen zur Vertreibung“ veröffentlicht, die auf Ihren Büchern „Die Nemesis von Potsdam“ und „Die deutschen Vertriebenen“ basieren. Wie sind die Thesen von Wissenschaft und Politik aufgenommen worden? de Zayas: Obwohl sich die Thesen ausgesprochen gut verkaufen, haben sich die Wissenschaftler zu deren kristallklaren Aussagen ruhig verhalten, genauso ruhig wie die Politk. Ich meine, dass sich die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ früher oder später mit den Aussagen der 50 Thesen beschäftigen muss. Es nutzt nicht, die zentralen Fragen auszuklammern und nur Unwesentliches drum und dran zu diskutieren. PAZ: Wo liegen die Versäumnisse der Wissenschaft? de Zayas: Man argumentiert anachronistisch und behauptet beispielsweise einen „kausalen Nexus“ zwischen Holocaust und Vertreibung. Doch diese ursächliche Verknüpfung gab es nicht. Wenn man die Memoranda des State Department und des britischen Foreign Office 1941 bis 1945 gelesen hat, wenn man die Diskussionen der Allliierten an den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam kennt, fällt auf, dass dort gar kein Hinweis auf den Holocaust erscheint. Die Entscheidungen zur Vertreibung folgten rein geopolitischen Interessen − in erster Linie derjenigen Stalins und seiner polnischen und tschechischen Partner. Erst viel später wurde der Holocaust als anachronistisches Argument dafür herangezogen, warum das in Sachen Vertreibung so eindeutige Völkerrecht für die Ost- und Sudetendeutschen nicht zu gelten habe. PAZ: War der Holocaust nicht einzigartig? de Zayas: Gewiss, aber dieser Begriff der Einzigartigkeit wird leider von manchen Journalisten, Politikern und Pseudo-Wissenschaftlern instrumentalisiert, um eine aufrichtige Diskussion über die Vertreibung zu erschweren, um die Vertreibung zu relativieren, und sogar in gewissen Sinne nachträglich zu rechtfertigen oder zu legalisieren. Nun, was heißt eigentlich „Einzigartigkeit“? Wenn der Begriff bedeutet, dass ein bestimmtes Geschehen einzigartig ist, ist diese Feststellung ziemlich banal. Wenn es aber bedeuten sollte, dass, wenn ein bestimmter Völkermord als einzigartig eingestuft wird, dann die Opfer von anderen Völkermorden unerheblich sind, dann stellt dies eine Art Negationismus des Leidens der anderen Opfer dar (seien es Armenier, Roma und Sinti, amerikanische Indianer, australische Ureinwohner, Ruander oder eben vertriebene Deutsche) und kann auf eine schwere Verletzung von deren Menschenrechten hinauslaufen, obwohl sie fraglos die selbe Menschenwürde und den selben Anspruch auf Respekt besitzen.
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