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Sind die Sudetendeutschen schuld? Das Ringen um den Lissabon-Vertrag treibt absurde Blüten: Tschechiens Präsident Václav Klaus fordert Garantien der EU gegen Rückgabeforderungen der deutschen Vertriebenen − und macht damit unfreiwillig klar, dass diese Frage offen ist. Ausgerechnet der deutsche EU-Kommissar Verheugen wiederum weiß ganz genau, wer Schuld ist an der tschechischen Blockade: Die Sudetendeutschen und ihre politische Schutzmacht, die CSU. Viele Vertriebe staunten nicht schlecht, als sie vor wenigen Tagen die Zeitung aufschlugen: Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus begründete seinen Widerstand gegen den EU-Reformvertrag mit der Furcht vor Rückgabeforderungen der enteigneten Sudetendeutschen. Die EU-Grundrechtecharta, die Bestandteil des Vertrages ist, so Klaus im Prinzip durchaus schlüssig, könnte es den Vertriebenen erlauben, tschechische Gerichte zu „umgehen“. Deshalb fordere sein Land eine Ausnahmeklausel. Wahr ist, dass es dem Wesen der EU als Rechts- und Wertegemeinschaft zutiefst entsprechen würde, wenn sie den vertriebenen Ost- und Sudetendeutschen, die seit über 65 Jahren auf einen Funken Gerechtigkeit und Wiedergutmachung hoffen, diese Möglichkeit eröffnen würde. Tatsache ist jedoch, dass eben diese Aussicht nicht nur Tschechen und Polen ein Gräuel ist, sondern auch vielen deutschen Politikern. Von daher wurde bereits im Jahre 2004, bei der Osterweiterung der Union, sorgfältig darauf geachtet, dass das Völkerrecht für die 14 Millionen deutschen Vertriebenen in einigen wichtigen Punkten weiterhin suspendiert bleibt: Keine Eigentumsrückgabe, keine Strafverfolgung noch lebender Vertreibungsverbrecher, keine Aufhebung wenigstens der oft mörderischen Urteile der frühen Nachkriegszeit in der Tschechoslowakei, aber auch der Volksrepublik Polen gegen Deutsche. Dass diese rigide Linie so nebenbei auch die Rückgabe jüdischen Eigentums verhinderte, wurde in Brüssel und Berlin in Kauf genommen, in Warschau und Prag hingegen begrüßt. Die Warnungen der Betroffenen, darunter Sudeten-Sprecher Bernd Posselt und BdV-Präsidentin Erika Steinbach, dass ein „Schleifenlassen“ dieser Frage sich später rächen könnte, wurden übergangen. Posselt warnte mehrfach davor, diese Problematik könne als eine Art politischer Blindgänger zum unpassendsten Zeitpunkt doch noch detonieren, gab aber auch zu verstehen, dass er die Eigentumsfrage in der Sache für erledigt halte. Dagegen plädierte der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen Wilhelm v. Gottberg für eine Politik des langen Atems, die eine wie auch immer geartete, sorgfältig dem Völkerrecht verpflichtete Wiedergutmachung zumindest nicht ausschließen sollte. Ohnehin war die Haltung der EU in dieser Frage keineswegs einseitig gegen die deutschen Vertriebenen gerichtet: So forderte das Europäische Parlament 1994 in einer Resolution die Rückgabe nicht nur des jüdischen Eigentums in Ostmitteleuropa, sondern auch weiterer Enteignungen der Kriegs- und Nachkriegszeit. 1999 und 2000 forderte das Straßburger Parlament sogar zweimal ausdrücklich die Aufhebung der völkerrechtswidrigen Benesch-Dekrete. In einem weiteren Beschluss wurde die tschechische Regierung zum Dialog mit den Vertriebenen aufgefordert. In den Folgejahren hatten Gerhard Schröder und nicht zuletzt Günther Verheugen als „Erweiterungskommissar“ alle Hände voll zu tun, um mit bestellten Gutachten und anderen Winkelzügen eine EU-Erweiterung auch ohne diese völkerrechtlich dringend gebotenen Schritte durchzusetzen. Die Frage, warum sie das taten und ob es dafür Gegenleistungen gab, können wohl erst zukünftige Historiker beantworten. Verheugens Versicherungen dieser Tage, die Benesch-Dekrete entfalteten keine Rechtswirkungen mehr und seien mit dem EU-Recht voll vereinbar, war schon immer leicht als „das Gegenteil von der Wahrheit“ erkennbar. Große Zeitungen wie die „FAZ“ berichteten laufend über tschechische Gerichtsurteile auf der Basis der Dekrete, in Einzelfällen wurde damit nachträglich enteignet. Ausgerechnet Václav Klaus hat diese Sicht nun bestätigt: Ohne Ausnahme von der Grundrechtecharta sei es möglich, Rückgabeforderungen nach Enteignungen durch den EU-Gerichtshof zu erzwingen. Er sei besorgt, dass die Charta den Dekreten aus den Jahren 1945 und 1946 widerspreche. Groß ist Klaus’ Angst vor einer funktionierenden Justiz: Es sei nicht hinnehmbar, dass etwa „EU-Richter aus Malta oder Spanien“ darüber entschieden, ob Sudetendeutsche ihr Eigentum zurückerhalten, vertraute er der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ an. Während Berlin und Brüssel zu dieser entlarvenden Äußerung schweigen, stellten sich linke deutsche Europapolitiker auf die Seite der Enteigner. Der MdEP Jo Leinen (SPD) plädierte ohne Ironie für eine „politische Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs“ der EU-Staaten mit der Zusicherung, „dass die Grundrechtecharta in Tschechien keine Anwendung findet“. Verheugen wiederum gab der CSU eine Mitschuld an der Hängepartie um die Lissabon-Ratifizierung: Klaus könne die Eigentumsansprüche der Sudetendeutschen nur deshalb instrumentalisieren, weil diese Frage „von deutscher Seite am Leben erhalten wurde“, warf er der CSU vor, sich für das Völkerrecht einzusetzen. Deren Generalsekretär Alexander Dobrindt sprach von einem „unglaublichen Vorgang“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk, nannte den Vorstoß Verheugens einen „politischen Blindflug“.
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