Regierungsbildung in Warschau
Populisten und Rechtsextreme in Polens Regierung
05. Mai 2006 In Polen
ist es der bisherigen Minderheitsregierung der nationalkonservativen Partei Recht
und Gerechtigkeit (PiS) der Zwillingsbrüder Kaczynski am Freitag gelungen, eine
Mehrheitskoalition zu bilden. Ihre Partner in der neuen Regierung sind die populistische
Bauernpartei Samoobrona („Selbstverteidigung“) Andrzej Leppers und die rechtsextreme
Liga Polnischer Familien (LPR) unter Roman Giertych.
Die beiden Parteiführer werden zu stellvertretenden
Ministerpräsidenten; Lepper erhält das Landwirtschaftsministerium, Giertych das
Erziehungsministerium. Die drei Parteien haben zusammen gegenwärtig 238 Stimmen
im polnischen Unterhaus, dem Sejm. Zusammen mit zwei unabhängigen Abgeordneten wird
das Bündnis nach Angaben des PiS-Fraktionsvorsitzenden Przemyslaw Gosiewski auf
240 Stimmen kommen, neun mehr als für die absolute Mehrheit nötig sind.
Rücktritt aus Protest
Schon seit der Parlamentswahl im Herbst vergangenen
Jahres hatte sich die PiS-Regierung von Ministerpräsident Marcinkiewicz im Parlament
auf die informelle Unterstützung der LPR und der Samoobrona gestützt.
Der parteilose Außenminister Stefan Meller, ein Anhänger
der europäischen Integration, hatte bereits in den vergangenen Tagen angekündigt,
daß er aus Protest gegen den Eintritt Leppers in die Regierung sein Amt zurücktreten
werde. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich schwierig; offenbar sagten
mehrere Kandidaten ab.
Vorige Woche noch Uneinigkeit
Der Eintritt der LPR in die schon vergangene Woche
vereinbarte Koalition der PiS mit der Samoobrona hatte sich seit der Nacht zum Freitag
abgezeichnet. Vergangene Woche hatte sich ihre Fraktion noch im Streit über den
Eintritt in die Regierung gespalten; Parteiführer Giertych war außerhalb der Koalition
geblieben.
Am Freitag Morgen besuchte er dann Ministerpräsident
Marcinkiewicz in seiner Kanzlei. Von allen Seiten wurde daraufhin signalisiert,
daß ein Koalitionsabkommen unmittelbar bevorstehe. Gosiewski teilte mit, Präsident
Kaczynski befürworte den Eintritt der LPR in die Regierung, und Andrzej Lepper ließ
wissen, wenn es nach ihm gehe, könne der LPR-Vorsitzende Giertych ebenso wie er
selbst den Titel eines stellvertretenden Ministerpräsidenten erhalten.
Unterstützung von Radio Maryja
Das zweite Ministerium für die LPR ist das Ressort
Meereswirtschaft und Fischerei, das Rafal Wiechecki übernimmt. Für Leppers Samoobrona
sind dagegen die Ministerien für Landwirtschaft, Arbeit und Soziales sowie Bau und
Verkehr vorgesehen. Die Koalition der drei Parteien führt mit der LPR und der PiS
zunächst jene beiden politischen Kräfte zusammen, die in den vergangenen Jahren
vom antisemitischen, nationalkatholischen Sender Radio Maryja unterstützt wurden.
Sie haben diesen Sender sowie die mit ihm verbundene
Fersehstation „Trwam“ intensiv als Plattform für ihre Kommunikation genutzt. Beide
Parteien halten die Befreiung Polens vom Einfluß der Postkommunisten für eine ihrer
Hauptaufgaben.
Militanter Patriotismus statt Europäertum
Ihr Verhältnis zur Europäischen Union ist kühl bis
feindselig, wenn auch die PiS sich seit ihrer Regierungsübernahme im Herbst bemüht,
ihr euroskeptisches Image abzulegen. Patriotische Werte und solche, die in ihren
Augen „katholisch“ sind, halten sie hoch und widersetzen sich dem Kampf der polnischen
Homosexuellen um gesellschaftliche Anerkennung. Die Todesstrafe wird von beiden
befürwortet.
Mit Leppers bäuerlicher Samoobrona haben PiS und
LPR gemein, daß ihre Wählerschaft zu einem großen Anteil aus Verlierern der Wende
besteht - einer Gruppe, die in Polen, dem Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit
der Europäischen Union, immer noch wahlentscheidend sein kann.
Auch ein ausgeprägter, manchmal militanter Patriotismus
ist allen drei Parteien eigen. So haben alle drei Regierungsparteien in den vergangenen
Jahren immer wieder versucht, antideutsche Ressentiments zu mobilisieren.
Mit dem Gesetz in Konflikt
Zu den Unterschieden gehört allerdings, daß der mehrfach
vorbestrafte Lepper weder die Neigung seiner Partner für einen strengen Vollzug
von Recht und Gesetz teilt, noch deren Abneigung gegen frühere Kommunisten.
Zu Zeiten der Diktatur hat er selber als Direktor
eines Landwirtschaftsbetriebs der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei angehört,
und in den Jahren danach ist er als Anführer gewalttätiger Bauernproteste gegen
die Lasten des Systemwechsels im Allgemeinen und die Europäische Union im Besonderen
immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten.
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