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"Getrennt marschieren, vereint schlagen" Der Krieg von 1866 ist nicht aus Notwehr gegen die Bedrohung der eigenen Existenz entsprungen, auch nicht hervorgerufen durch die öffentliche Meinung und die Stimmung des Volkes; es war ein im Kabinett als notwendig erkannter, längst beabsichtigter und ruhig vorbereiteter Kampf nicht für Ländererwerb, Gebietserweiterung oder materiellen Gewinn, sondern für ideelles Gut - für Machtstellung. Dem besiegten Österreich wurde kein Fußbreit seines Territoriums abgefordert, aber es mußte auf die Hegemonie in Deutschland verzichten." Der "große Schweiger", Preußens Generalstabschef Helmuth von Moltke hat es auf den Punkt gebracht. Der Deutsche Krieg war kein moderner Krieg zwischen Völkern, sondern ein klassischer Kabinettskrieg (vergleiche PAZ vom 22. Mai 2004). Folgerichtig wurde in diesem Krieg im Gegensatz zum Dritten Einigungskrieg ein halbes Jahrzehnt später auch nicht das in den Befreiungskriegen gestiftete Eiserne Kreuz verliehen. Viele empfanden es sogar als einen Anachronismus, daß im Zeitalter des Nationalismus noch einmal Deutsche auf Deutsche schossen. In anderer Hinsicht war der Deutsche Krieg sehr modern. Beispielsweise in seiner Größenordnung. Die Schlacht bei Königgrätz war das bis dahin größte kriegerische Treffen. Selbst an der berühmten Völkerschlacht bei Leipzig, waren "nur" 430.000 Soldaten beteiligt gewesen. Diesmal, obwohl eine rein innerdeutsche Auseinandersetzung, waren es zwischen 440.000 und 460.000, je ungefähr zur Hälfte Preußen auf der einen Seite sowie Österreicher und Sachsen auf der anderen. Diese enormen Truppenstärken machten die Versorgung und den Transport zu einem kaum lösbaren Problem. Moltke zog daraus die Konsequenz, daß er die für den Kampf gegen den preußischen Hauptgegner im Deutschen Krieg, Österreich, zur Verfügung stehende Streitmacht in leichter zu versorgende und zu transportierende Verbände aufteilte. Er erkannte, daß es genügte, daß die preußische Hauptmacht vereint war, wenn sie auf die österreichische traf, daß sie deshalb aber nicht auch vorher vereint marschieren mußte mit allen damit verbundenen logistischen Problemen. Mit den Worten "getrennt marschieren, vereint schlagen" brachte er diese Taktik auf den Punkt. Zur erfolgreichen Umsetzung dieser Taktik bedurfte es jedoch gewisser technischer Hilfsmittel. Um zu erreichen, daß trotz der Teilung der Streitmacht und der räumlichen Trennung der einzelnen Teile beim großen Schlag gegen den Gegner alle rechtzeitig zugegen sind, bedurfte es schneller Kommunikationsmittel und schneller Transportmittel. Als schnelles Kommunikationsmittel nutzte Moltke den Telegrafen, als schnelles Verkehrsmittel die Eisenbahn. Die Genialität und der Erfolg Moltkes liegen nicht zuletzt darin, daß er erkannte, wie das Kriegshandwerk dem technischen Fortschritt anzupassen war und welche Möglichkeiten die technischen Errungenschaften der Industrialisierung den Kriegführenden boten. Moltke, der de facto die preußischen Truppen gegen Österreich führte, stand auf österreichischer Seite Feldzeugmeister August von Benedek gegenüber. Österreichs Streitkräfte waren geteilt in eine kleinere Südarmee, die gegen Preußens Verbündeten Italien kämpfte, und eine größere Nordarmee unter dem Kommando Benedeks. Im Gegensatz zu Moltke war Benedek kein großer Stratege. Benedek war vornehmlich wegen seiner Popularität bei der Truppe mit dem Kommando betraut worden, und die Innovationskraft Moltkes fehlte ihm. Zu seiner Ehrenrettung muß man allerdings darauf hinweisen, daß es nicht genügt, die innovative Idee zu haben, die Errungenschaften des technischen Fortschritts für den Krieg zu nutzen, man muß sie auch in ausreichendem Maße zur Verfügung haben. Und hier ist es an der Zeit darauf hinzuweisen, daß Preußen stärker industrialisiert, wirtschaftlich potenter war als Österreich und auch über ein engmaschigeres Eisenbahnnetz verfügte. Im Gegensatz zu Moltke vertrat Benedek die Ansicht: "Es gibt kein höheres oder einfacheres Gesetz der Strategie als das Zusammenhalten der Kräfte." Zu Beginn der Kampfhandlungen lag die österreichische Nordarmee bei Ölmütz in Mähren. Moltke hatte die Streitkräfte auf einen Bogen verteilt, der von der preußisch-sächsischen bis zur schlesisch-preußischen Grenze reichte, nördlich von Sachsen an der Elbe die sogenannte Elbarmee unter Herwarth von Bittenfeld, östlich von Sachsen die von des Königs Neffen Prinz Friedrich Karl kommandierte Erste Armee und in Schlesien die Zweite Armee unter dem Kommando von Kronprinz Friedrich Wilhelm. So sollte sowohl eine Eroberung des reichen und früher zu Österreich gehörenden Schlesiens mit der Provinzhauptstadt Breslau als auch ein Durchmarsch nach Berlin verhindert werden. Benedek griff jedoch weder Schlesien an noch setzte er zum Marsch nach Berlin an. Er verfolgte vielmehr eine defensive Strategie. Das lag an der Bewaffnung. Während die österreichischen Soldaten noch mit Vorderladern ausgerüstet waren, verfügten die preußischen Soldaten bereits über Hinterlader. Der große Vorteil des moderneren preußischen Gewehres bestand in dem weniger umständlichen Ladevorgang und der damit zusammenhängenden höheren Feuergeschwindigkeit. So war schon manche Angriffswelle im Geschoßhagel einer preußischen Schützenlinie liegengeblieben. Das wollte Benedek seinen Leuten ersparen, und so überließ er Preußen die Initiative. Am 16. Juni 1866 rückte die Elbarmee in das auch in diesem Krieg mit Österreich verbündete Sachsen ein. Die sächsische Armee unter Kronprinz Albrecht zog sich nach Österreich zurück, um sich mit der Benedeks Nordarmee zu vereinen, die sich ihrerseits auf die Sachsenarmee zubewegte, um sich in Nordostböhmen zu vereinigen. Vereint bauten die beiden Armeen nahe der Festung Königgrätz östlich des Laufes des Flusses Bistritz eine Verteidigungsstellung aus, wobei die Sachsen den linken Flügel bildeten. Am Morgen des 3. Juli griffen die Preußen, die mittlerweile nach der sächsischen auch die österreichische Grenze überschritten hatten, von Westen her an, auf dem linken Flügel die Erste Armee, auf dem rechten die Elbarmee. Lange hielten Österreicher und Sachsen dem preußischen Angriff stand. Die österreichische Artillerie war auf den sich an das Bistritztal anschließenden Hügeln gut postiert, und in ihren Verteidigungsstellungen und den Kämpfen in dem östlich der Bistritz gelegenen unübersichtlichen Wäldern konnten die Österreicher den Vorteil, den die Preußen durch ihre schneller feuernden Gewehre besaßen, gut kompensieren. In den für beide Seiten verlustreichen Kämpfen wollte der entscheidende Durchbruch weder der Elb- noch der Ersten Armee gelingen. Alles hing nun von der Zweiten Armee des Kronprinzen ab. Benedek ging davon aus, daß diese dritte preußische Armee nicht mehr früh genug erscheinen würde, um in die Kämpfe eingreifen zu können, und für den Fall, daß sie doch noch rechtzeitig erschiene, ging Benedek in seinem tradierten Denken davon aus, daß sie zu den beiden anderen preußischen Armeen stoßen und sich in deren Front einreihen würde. Das war ein folgenschwerer Irrtum. Um die Mittagszeit näherte sich die Zweite Armee vom Nordosten her dem Schlachtfeld und griff von hier aus die Österreicher an. Die österreichische rechte Flanke war diesem Angriff schutzlos ausgeliefert. Das lag zum einen daran, daß Benedek mit einem derartigen Angriff der Zweiten Armee nicht gerechnet hatte. Das lag aber auch an befehlswidrigem Verhalten der für die Verteidigung der rechten Flanke gegen den Nordosten zuständigen Offiziere. Sie hielten die ihnen übertragene Aufgabe für überflüssig und hatten es vorgezogen, sich in die Bistritz-Front einzureihen und mit ihren Kameraden die Erste Armee zu bekämpfen. Nun drohte auch noch der linke Flügel der österreichisch-sächsischen Front nachzugeben und damit die Umklammerung. Moltkes Traum schien wahr zu werden, die Umklammerung des Feindes mit anschließender Vernichtung. Den Österreichern gelang jedoch der Rückzug Richtung Südosten gen Königgrätz. Abgesehen von den Sachsen, die den Rückzug ihrer österreichischen Waffenbrüder im Süden selbstlos deckten, verdankte die österreichische Infanterie dieses ihrer Kavallerie und ihrer Artillerie. Die ausgezeichnete österreichische Kavallerie preschte vor und füllte die Lücke, welche die zurückflutenden Infanteristen hinterließen. Sie hinderte die preußische Infanterie daran, dem geschlagenen Gegner nachzusetzen, lieferte der nun gegen sie eingesetzten preußischen Kavallerie eine der letzten großen Reiterschlachten der Kriegsgeschichte und verschaffte der Artilleriereserve die Zeit, eine neue Geschützfront zu bilden. Im Gegensatz zur Infanterie Österreichs war dessen Artillerie technisch gut ausgestattet, und so gelang es ihr unter großen Opfern, die Preußen lang genug aufzuhalten, um eine Vernichtung der Nordarmee zu verhindern. Wenn der geschlagenen Armee auch ihre Vernichtung erspart blieb, so war die Niederlage doch derart, daß sie als kriegsentscheidend eingestuft werden kann. Die Österreicher verloren 42812 Soldaten. Davon waren 330 Offiziere und 5328 Mann gefallen, 431 Offiziere und 7.143 Mann verwundet, 43 Offiziere und 7.367 Mann vermißt sowie 509 Offiziere und 21661 Mann gefangen. Hinzu kamen 1.501 Sachsen. Von denen waren 15 Offiziere und 120 Mann tot, 40 Offiziere und 900 Mann verwundet sowie 426 Mann vermißt. Gegenüber diesen 44313 Österreichern und Sachsen kann man die Verluste der Preußen mit 9153 Soldaten nur als auffallend gering bezeichnen. Von jenen waren 99 Offiziere und 1830 Mann gefallen, 260 Offiziere und 6688 Mann verwundet und 276 Mann vermißt. Am nächsten Tag kam es bei einer Verhandlung zwischen hochrangigen Parlamentären zu einem bemerkenswerten Dialog. Auf die Frage eines Preußen an seinen österreichischen Gast "Braucht Ihre Armee einen Waffenstillstand?" antwortete der Gefragte: "Mein Kaiser hat keine Armee mehr, sie ist so gut wie vernichtet." Diese Antwort ist zwar etwas übertrieben, macht aber deutlich, daß sich die Österreicher hinsichtlich des Charakters der Niederlage keinen Illusionen hingaben. Die Kombination aus dieser Einsicht auf Seiten Österreichs und der von Bismarck mit viel Einsatz durchgesetzten Bereitschaft auf Seiten Preußens, auf Gebietsabtretungen und Demütigungen des Gegners zu verzichten, ermöglichte eine schnelle Beendigung des Kriegszustandes. Nach dem Vorfrieden von Nikolsburg vom 26. Juli 1866 wurde am 23. August 1866 mit dem Prager Friedensvertrag der deutsche Bruderkrieg beendet. Wie es nach Schlacht und Krieg weiterging Als Sieger der Schlacht von Königgrätz und damit des Deutschen Krieges konnten die Preußen die folgende Friedensbedingung durchsetzen: "Seine Majestät der Kaiser von Österreich erkennt die Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes an und gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des österreichischen Kaiserstaates." Die Bedeutung dieser Aussage, die den deutschen Dualismus bis auf weiteres beendete, kann kaum überschätzt werden. Nun mußten die Preußen "nur" noch den Widerstand der Franzosen überwinden, die wie François Mauriac Deutschland so sehr liebten, daß sie froh waren, daß es mehrere davon gab, und der Weg zur kleindeutschen Lösung der deutschen Frage war frei. Weniger als ein halbes Jahrzehnt nach der Schlacht von Königgrätz wurde das Deutsche Reich gegründet, dessen Rechtsnachfolger 1949 die Bundesrepublik Deutschland wurde. Der 1871 gegründete Nationalstaat mit Berlin als Zentrum besteht - mit einer jahrzehntelangen Unterbrechung zwischen 1945 und 1990 und mittlerweile um Ostdeutschland verkleinert - bis zum heutigen Tage fort. Doch auch für den Verlierer von Königgrätz war der Ausgang des Ringens um die Vorherrschaft in Deutschland folgenschwer. Weitsichtig schrieb die "Neue Freie Presse" in Wien: "In der Annahme der Friedensbedingungen liegt eine wesentliche Einengung (oder vielmehr Vernichtung) der Großmachtstellung Österreichs. Wenn dieser Staat aus den Friedenskonferenzen auch an seinem Gebiet unverkürzt hervorgehen sollte ..., so wäre doch seine deutsche Stellung, der traditionelle Stolz und, bei gehöriger Benutzung, eine der ergiebigsten Quellen seiner Macht dahin. Österreich sähe dann eine große deutsche Macht neben sich, deren Einfluß neben dem unseren um so bedeutender wäre, je mehr sie uns an Homogenität der Bevölkerung und an intellektueller und volkswirtschaftlicher Entwicklung überragte. Preußens Wort wäre das entscheidende in allen mitteleuropäischen Fragen, und Österreich könnte seinen Einfluß höchstens noch gegen den Orient geltend machen. Die deutsche Nationalität Österreichs wäre hinfort nichts mehr als ein vom Leib geschnittenes Glied, sie wäre rückhaltlos dem Nationalitätenhader preisgegeben, der Österreich das Schicksal der Türkei zu bereiten droht." Die Prophezeiungen traten ein. Der Ausschluß der Deutschösterreicher von der Gestaltung Deutschlands unterminierte ihre Vorherrschaft im Habsburgerreich. Bereits ein Jahr nach Königgrätz mußten sie im sogenannten Ausgleich die Gleichberechtigung der Ungarn anerkennen. Doch auch damit kehrte kein Frieden ein. Nun forderten auch die anderen Volks- und ethnischen Gruppen des Vielvölkerstaates Gleichberechtigung. Tatsächlich beschränkte sich sein außenpolitisches Interesse fast nur noch auf den Balkan, auf den Orient, um es mit der "Neuen Freien Presse" zu sagen. Und tatsächlich ereilte das Vielvölkerreich der Habsburger das gleiche Schicksal wie das der Osmanen, und das auch noch zeitgleich am Ende des Ersten Weltkrieges: Das eine wurde wie das andere aufgelöst. Bemerkenswert ist schließlich, daß dem Ausschluß des österreichischen Kaisers von der Gestaltung Deutschlands der Ausschluß der (Deutsch-)Österreicher aus der deutschen Nation gefolgt ist, Selbst deutsche Patrioten sprechen heutzutage wie selbstverständlich von Deutschland und Österreich, wenn sie die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich meinen. Die der Schlacht von Königgrätz folgende
Entwicklung ist also zweifellos atemberaubend und bis heute von aktueller
Bedeutung. Ob ohne Königgrätz die Entwicklung allerdings eine andere gewesen
oder ob sie nur langsamer verlaufen wäre, ist eine andere Frage. M. R.
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