Adam Michnik:
Gemeinsame Geschichte erfordert mehr Wahrheiten
Warschau
- Es ist sicherlich heutzutage kein
Geheimnis mehr, dass die europäische Geschichte um die beiden Weltkriege des letzten
Jahrhunderts von den Siegern geschrieben wurde. Sie ist nachweislich, von unzähligen
Fälschungen geprägt, die vor allen Dingen chauvinistische Historiker, Journalisten
und Politker aus Russland, Polen, Tschechien, USA und der Ukraine in die Welt getragen
haben. In ihrem Gefolge befinden und befanden sich aber auch deutsche, französische
und britische Kollegen, die teils auch aus wirtschaftlichen Gründen der umfangreichen
Geschichtsfälschung zu Diensten waren und sind. Viele prominente Namen sind unter
den Fälschern zu finden, was der Legalisierung von Unwahrheiten hochgradig entgegenkommt
und die Fälschungen so verschleiert. Interessant sind in diesem Zusammenhang immer
wieder die Annäherungsversuche polnischer und russischer Geschichtskommissionen,
welche sich regelmäßig wegen kontroverser Prägungen in den Haaren liegen. Polens
erster Liberaler, Adam Michnik und ein russischer Kollege erklärten am Dienstag
bei einer Debatte in der Universität Warschau warum das so ist.
Russen und Polen haben unterschiedliche Geschichtsbücher
Am deutlichsten unterscheiden sich die Ansichten der Russen und Polen in Fragen
um den Zweiten Weltkrieg. Hier dominieren auf der russischen Seite wie eh und je
sowjetisch diktierte Geschichtsbücher, die noch heute Verbrechen der Sowjets, wie
z.B. Katyn und Charkow, den Deutschen anlasten, als Beginn des zweiten Weltkrieges
den Sommer 1941 nennen und im "Großen vaterländischen Krieg" so gut wie im Alleingang
die Nazis besiegt hatten. Kein Wort von Massenmorden, millionenfacher Vergewaltigung,
Verschleppungen, Lagern oder ähnlichem Grauen. "Ältere, aber auch die jungen Generationen
in Russland wissen nicht und wollen wahrscheinlich auch nicht wissen, was damals
tatsächlich geschah, denn für sie ist die Verwendung von Stereotypen einfacher"
- sagte hierzu der bekannte russische Schriftsteller Viktor Jerofejew während der
Debatte in Warschau.
Warum ging es Großvater als Zwangsarbeiter so gut ?
Während in Russland das Interesse an der Geschichte der eigenen Nation eschon fast
a-historisch bezeichnet werden kann, lebt sie in Polen immer mehr auf. Gerade junge
Polen wollen wissen was damals geschah. " Warum haben die Deutschen die Juden vergast?
Warum mussten die Deutschen ihre Heimat eigentlich tatsächlich verlassen ? Was ist
mit den jetzt gefundenen mysteriösen deutschen Massengräbern in Polen ? Wer hat
Frauen und Kinder getötet? Warum töteten Nazis und Sowjets unsere Intelligenz? Stimmt
es wirklich, dass sie die Nazis Polen für eine mindere Rasse hielten und ausrotten
wollten ? Mein Opa sagte, dass er als Zwangsarbeiter in Deutschland war und eigentlich
recht gut behandelt wurde, das kann doch wohl nicht stimmen?" - sind Beispiele der
Fragen welche Nachkriegs-geborene Polen sich heute stellen und keine zufriedenstellende
Antwort finden. Ein Geschichtsverständnis nach sowjetischen Vorgaben, lehnen sie
ab.
"Wir waren nicht nur unschuldig und ethisch rein"
Politiker und fast alle bekannten polnischen Historiker beantworten die vielen offenen
Fragen der jungen Leute nur zaghaft, zögernd und auf Ungereimtheiten antworten sie
nach bekannter sowjetischer Doktrin und mit Stereotypen, zumindest wenn es hierbei
um die Deutschen und dem Kriegs-Schicksal von Minderheiten geht. Adam Michnik sagte
hierzu, dass die Anteilnahme Polens am zweiten Weltkrieg nur mit Martyrium und Heldentum
in Zusammenhang gebracht werde: "Wir müssen endlich von dem Gefühl loskommen das
Opfer aller gewesen zu sein, unschuldig und genetisch rein. Derartig praktische
Selbst-Idealisierung verzerrt nämlich das wahre Bild und steht oft im Widerspruch
zur historischen Wahrheit" - erklärte der Historiker, Journalist (Chefredakteur
Gazeta Wyborcza) und ehemalige Oppositionelle Adam Michnik, der aus einer jüdischen
Familie stammt und für Geschichtsschreibung und Versöhnung mit den Nachbarn Polens
"über die Wahrheit" steht.
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