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Richter in
Nürnberg: Die Nürnberger Prozesse waren insgesamt fair, doch den Siegern
fehlte der
Mut, Juristen aus neutralen Ländern oder auch unbelastete
Deutsche als Ankläger und Richter
einzubeziehen. Bild: dapd |
Deutsche Tabus
Bizarre Weglassungen über das Kriegsverbrechertribunal
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Neue Ausstellung
Über vier Millionen Euro lassen sich der Bund und
Bayern die neue Dauerausstellung zu den Nürnberger Prozessen kosten. Der
damalige Internationale Gerichtshof verdient diese Aufmerksamkeit durchaus, doch
in den offiziellen Reden zur Eröffnung blieb vieles ungesagt.
Achtzehn Todesurteile wurden bei den Nürnberger Prozessen ausgesprochen und
vollstreckt. Das ist nicht viel angesichts des gigantischen Blutvergießens, das
das NS-Regime in Europa verursacht hatte. Und doch beginnen an dieser Stelle die
Absonderlichkeiten der deutschen Geschichtspolitik: Wer die Urteile von Nürnberg
irgendwie zu hart findet, gilt in Deutschland schnell als Rechtsradikaler, wer
aber für die Todesstrafe ist, ebenfalls. Der Widerspruch ist offensichtlich.
Über solche Details wurde bei der Ausstellungseröffnung natürlich nicht
gesprochen, aber auch nicht über andere Widersprüche im Zusammenhang mit
Nürnberg.
Da ist vor allem der bemerkenswerte Umgang des
Tribunals mit Vertreibungen. Während Millionen Deutsche entwurzelt wurden,
stuften die Richter jegliche Vertreibung von Zivilbevölkerungen (etwa die von
rund einer Million Polen ab 1941) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.
Das setzt aber ein völkerrechtlich verbindliches Vertreibungsverbot spätestens
ab diesem Zeitpunkt voraus, denn die Urteile internationaler Gerichtshöfe
definieren verbindliches Völkerrecht („hard law“). Verbrechen gegen die
Menschlichkeit sind sogar unverjährbar, die Staatengemeinschaft darf durch sie
geschaffene Fakten ohne zeitliche Befristung nicht anerkennen. Anders gesagt:
Wer die Urteile von Nürnberg akzeptiert – und das tut das politische Berlin ohne
Zweifel und mit gutem Grund – der kann nicht gleichzeitig eine Politik der
Anerkennung von Vertreibungstatsachen verfolgen, wie Berlin sie gegenüber
Warschau und Prag aber unbestreitbar praktiziert. Auch über diesen Widerspruch
redet heute niemand.
Auch die „Martenssche Klausel“, mit der die
Nürnberger Richter oft argumentierten, verdient mehr Beachtung. Sie besagt
vereinfacht, dass auch bei fehlenden spezifischen Völkerrechtsnormen (etwa über
den Luftkrieg) militärische Ziele nur unter möglichster Schonung der
Zivilbevölkerung verfolgt werden dürfen. Nach dieser Klausel waren die
Flächenbombardements deutscher Städte spätestens ab dem Zeitpunkt
völkerrechtswidrig, als sich ihr geringer Nutzen gegen die deutsche
Rüstungsproduktion erwiesen hatte. Welcher deutsche Politiker, ja welcher
Journalist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen spricht solche Wahrheiten noch
aus?
Und noch ein Tabu: Großbritannien unter Winston
Churchill wollte keine aufwendigen Prozesse mit dem mühsamen Nachweis
individueller Schuld, wie sie dann auf Drängen der USA Gott sei Dank
stattfanden. London wollte zunächst kurzen Prozess gegen tatsächliche und
vermeintliche Nazis. Ob man es in der Ausstellung erfährt?
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