»Wir Vertriebenen kommen nicht von
einem anderen Stern«
Auszüge aus der Rede der
BdV-Präsidentin Erika Steinbach
Wir arbeiten jetzt schon viele Jahre gemeinsam im
Präsidium des Bundes der Vertriebenen, und Herr von Gottberg war immer eine
konstruktive, kämpferische Kraft, die unsere Gesamtanliegen hilft
voranzubringen. Gemeinsam haben wir nach intensiven Diskussionen am 6. September
des Jahres 2000 die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ aus der Taufe
gehoben. Und wenn wir uns dieses Jahr betrachten mit all den
Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai, dann wird deutlich, daß diese Stiftung
besonders nötig ist.
Denn mit dem 8. Mai 1945 – das können wir alle
hier bezeugen – hatten Unmenschlichkeit und Grausamkeiten in Europa noch immer
kein Ende. Theodor Heuss sagte „Erlöst und vernichtet in einem“, und darin
spiegelt sich auch wider, was die Vertriebenen zu leiden hatten.
Nach dem 8. Mai 1945, viele Jahre danach noch,
wurden Deutsche aus ganz Mittelost- und Südosteuropa aus ihrer Heimat vertrieben
oder waren zu Zwangsarbeit verpflichtet oder hatten Vergewaltigungen zu erleiden
und wurden umgebracht.
Ob Säugling oder Greis, ob Mann oder Frau, alle
wurden in eine grauenhafte Politikhaftung genommen, wenn sie nicht aus dem
westlichen Teil Deutschlands oder dem mitteldeutschen Teil stammten. Von den
Ursachen her – das wissen wir alle hier, das braucht uns auch niemand zu sagen –
war das auch eine Folge der NS-Diktatur. Im Ergebnis aber war das genauso
menschenrechtswidrig wie alle anderen Menschenrechtsverletzungen auch.
Ein Historikerstreit darüber ist müßig, es reicht
völlig aus, die Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Hier im Saale sitzen
genügend Zeitzeugen, die so vieles erzählen können, das einem Menschen, der
davon nichts weiß (und auch nichts wissen kann, weil wenig darüber gesprochen
wurde), das Herz sich herumdrehen würde, wenn er es erführe. Jedes Wort von
„gerechter Strafe für die Verbrechen Hitlers“ bleibt einem im Halse stecken,
wenn man diese Einzelschicksale erfährt.
Hannah Arendt, aufgewachsen in Königsberg,
gehörte zu den vielen Opfern der Hitlerdikatur. Aber mit ihrem scharfen
Intellekt erkannte sie als eines der brisantesten Probleme der modernen
Zivilisation das Phänomen der Flüchtlinge; das erste Menschenrecht, sagt Hannah
Arendt, ist das Heimatrecht, denn der erste Verlust, den die Rechtlosen
erlitten, war der Verlust der Heimat. Ähnlich klingt es ja in der Charta der
deutschen Heimatvertriebenen. Denn „Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Welt“,
haben wir damals niedergeschrieben.
Heute, 60 Jahre nach dem Beginn der gezielten
Massenvertreibung, kann man hier in Deutschland von einer alles in allem
gelungenen Integration von über zwölf Millionen vertriebenen Menschen sprechen,
zusätzlich noch einmal von vier Millionen Aussiedlern und Spätaussiedlern.
Vieles, was in den 50er Jahren noch dringend und drängend war, die soziale Not,
massenhafte Obdachlosigkeit, das hat sich geregelt. Es war eine große
Eingliederungsleistung, die hier erbracht worden ist, von den Vertriebenen, von
den Aussiedlern und von den Einheimischen gemeinsam.
Diese großartige Gemeinschaftsleistung war ein
Wunder, denn erst daraus konnte Frieden entstehen und auch Wohlstand in
Deutschland wachsen. Und auch daraus konnte der Wille reifen, den Dialog mit den
Nachbarländern zu suchen. Das Motto Ihres Ostpreußentages „Im Dialog der Heimat
dienen“ ist gelebte Wirklichkeit.
Der französische Politikwissenschaftler Alfred
Grosser hat die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge als die größte
sozial- und wirtschaftspolitische Aufgabe und Leistung bezeichnet, die von
Deutschland erbracht worden ist. Dem können wir nur zustimmen.
Dennoch wird in der Darstellung der
Nachkriegsgeschichte Deutschlands diese grandiose Leistung praktisch nicht
benannt, sondern überwiegend verschwiegen. Man hat sie einfach vergessen. Und im
Falle der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts haben wir es auch noch mit
dem einzigartigen Fall zu tun, daß seit eineinhalb Generationen Dutzende
Schülerjahrgänge die Geschichte ihres Heimatlandes Deutschland nur in Fragmenten
kennenlernen. Deutsche Vertriebene hatten lange keinen Platz im Unterricht an
deutschen Schulen.
Aber wir Vertriebenen kommen nicht von einem
anderen Stern. Wir stammen aus seit Jahrhunderten kompakt deutsch besiedelten
Gebieten.
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Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung Ausgabe 23/05 vom 11.06.2005 |
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